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Der Stammtisch als mystischer und als politischer Ort

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Der Fotograf Volker Schrank war dem Mythos Stammtisch auf der Spur. Mit seinen Fotografien hat er einen Bildband von dem Platz in einer Gaststätte gestaltet, an den sich - schon vor der Corona-Pandemie - nicht jeder setzen durfte.

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Ein Platz für die, die immer da sind: Volker Schrank hat sich zig Stammtische im süddeutschen Raum angeschaut, sie fotografiert und einen Teil der Aufnahmen in einem Bildband veröffentlicht. Für ihn handelt es sich bei Stammtischen um mystische Orte. 

Was darf's für Sie sein, Herr Schrank, Pils oder Export?

Volker Schrank: Export. Aber eigentlich bin ich Weintrinker. 

 

Die Stammtischbrüder sind nur im Bild an der Wand zu sehen. Die Aufnahme stammt aus dem Langenburger Gasthof zur Post. Foto: Volker Schrank
Die Stammtischbrüder sind nur im Bild an der Wand zu sehen. Die Aufnahme stammt aus dem Langenburger Gasthof zur Post. Foto: Volker Schrank

Sie haben zig Stammtische gesehen - haben Sie auch mal Platz genommen?

Schrank: Nein, denn das Schild auf dem Tisch sagt einem wie mir ja schon: Du darfst dich nicht hinsetzen. Wenn ich beruflich unterwegs bin, halte ich in jedem Dorf an und schaue, ob dort etwas machbar ist. So habe ich zirka 1000 Restaurants gesehen. Aber nicht immer passt es fotografisch. 


Was muss ein Stammtisch mitbringen, damit er für Sie passt?

Schrank: Bei den Aufnahmen habe ich versucht, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren: Auf den Tisch und das Emblem, meistens ein Aschenbecher oder ein Wimpel, plus die Wand, die sich dahinter befindet. Sie darf nicht versaut sein. Alles, was ablenkt, funktioniert nicht. Es muss wie eine Theaterkulisse wirken. 


Stammtischgänger sind keine zu sehen. Hätten die auch abgelenkt?

Schrank: Prinzipielle Idee ist, dass man sich die Leute vorstellt. Jeder kennt das ja aus seinen Erinnerungen, wie die meist älteren Herren da sitzen. Das funktioniert nicht, wenn man ein Gruppenbild hat. 


Was zeichnet den Stammtisch aus? 

Schrank: Es gibt typische Merkmale. Die Resopalplatte zum Beispiel, ein Relikt aus den 60er-Jahren. Oder eine Faltwand im Hintergrund als Abgrenzung zum Nebenraum, was ein bisschen aus der Zeit gefallen ist, weil man diese Räume heute nicht mehr so braucht. 

 

Der Stuttgarter Fotograf Volker Schrank. Foto: privat
Der Stuttgarter Fotograf Volker Schrank. Foto: privat

Ist es nicht auch aus der Zeit gefallen, zum Stammtisch zu gehen?

Schrank: Wenn ich mir die aktuellen Demos anschaue, den Trend, auf die Straße zu gehen, dann ist das die Fortführung des Stammtisches, wo jeder am Tisch etwas sagen konnte. Auch Meinungen, die nicht konform sind: von frauenfeindlich bis rassistisch. Das wandert jetzt entweder ins Internet oder auf die Straße ab.


Der zweifelhafte Ruf kommt also nicht von ungefähr?

Schrank: Deshalb gibt es ja auch den Begriff Stammtischniveau. Auf der anderen Seite gilt die Aussage von Franz-Josef Strauß, der sagte, dass man den Stammtisch mitnehmen müsse. Das heißt in diesem Fall, ihn in Debatten einzugliedern. Wenn man das nicht macht, sieht man, was passiert. Der Stammtisch ist auch politisch relevant. 


Verschwindet der Stammtisch bald vollends aus den Lokalen?

Schrank: Die alten Stammtische, die gibt es, glaube ich, nur noch auf dem Dorf. Die Hälfte der von mir fotografierten existiert bereits nicht mehr. Es ist zum Teil etwas Aussterbendes, die Gastronomen haben das Möbelstück aufgelöst und vergessen, dass damit eine Menge Charme verloren geht. In Franken ist die Kultur beispielsweise noch ein bisschen anders. Aber: Es gibt auch moderne Stammtische - von Frauen oder speziellen Gruppen. 

Der Stuttgarter Fotograf Volker Schrank ist stets auf der Suche nach mystischen Orten, die ambivalent zu sehen sind. Daher verwundert es nicht, dass er sich nach Vereinsheimen und Stammtischen bald Beichtstühlen fotografisch widmet. Der Mitfünfziger hat die Weltmeisterelf von 1974 Jahre nach dem Titel in einer Porträtreihe gezeigt. Er ist für Publikationen wie 11freunde, aber auch für Firmen wie EBM-Papst tätig. 


Geändertes Freizeitverhalten spielt sicher eine Rolle. 

Schrank: Der Meinungsaustausch findet nicht mehr am Stammtisch, sondern vermehrt in den sozialen Medien statt. Ich wäre aber vorsichtig, zu behaupten, er verschwinde komplett. Durch die Corona-Zeit werden vielleicht einige Gastronomien verschwinden, aber danach gibt es vielleicht mal wieder ein Bedürfnis nach den alten Zeiten. 


Wie kommt man überhaupt auf die Idee, unbesetzte Stammtische zu fotografieren?

Schrank: Was ich suche, sind mystische Orte. Stammtische sind ambivalent zu sehen. Durch die Diskussionen, die dort seit Jahrhunderten stattfinden, waren und sind sie soziale Plattformen - nur vergleichbar mit den britischen Pubs, wo man im Stehen ins Gespräch kommt. In Deutschland gab es eben den Stammtisch, um zu quatschen. 


Manche waren davon aber ausgeschlossen.

Schrank: Nicht nur manche! Das wurde sehr rigide gehandhabt. Allen voran Frauen waren ausgeschlossen - und junge Leute. Die durften irgendwann dazukommen, nachdem sie es sich auf irgendeine Art und Weise verdienen mussten. 

 

Stammtisch in der Bamberger Mahrs Brauerei. Foto: Volker Schrank
Stammtisch in der Bamberger Mahrs Brauerei. Foto: Volker Schrank

Wie verlief die Kommunikation mit den Wirten bei Ihrem Projekt?

Schrank: Manche dachte, sie müssten etwas bezahlen, um in den Bildband reinzukommen - was natürlich nicht der Fall war. Zum Fotografieren war ich vor oder nach Schließung in den Lokalen, also dann, wenn keine Gäste da waren. Es war durchaus ein technischer Aufwand. Eigentlich ist es am Stammtisch eher duster, ich habe die Szenerie mit fünf, sechs Blitzlampen ausgeleuchtet, so entsteht das Theaterhafte. Im Bamberger Schlenkerla war es so, dass wir den Termin auf 7 Uhr angesetzt haben - denn um 8 Uhr kamen die ersten Gäste mit ihren Krügen, um sich ein Rauchbier zu holen. 

 

 

 

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