So viel Stuttgart steckt im deutschen EM-Kader
Kein Spieler des VfB Stuttgart gehört zu den 26 Profis, die Bundestrainer Joachim Löw für die Fußball-Europameisterschaft nominiert hat. Doch es steckt trotzdem ein gar nicht so kleines Stück Stuttgart in der deutschen Nationalmannschaft.
In Stuttgart geboren oder einst im Trikot des VfB Stuttgart aktiv oder beides - im deutschen Europameisterschafts-Kader finden sich sechs Fußballer, die eine Stuttgarter Vergangenheit haben, mal mehr, mal weniger. Ein Überblick:
Bernd Leno, Torwart

Der heutige Keeper des FC Arsenal ist am 4. März 1992 in Bietigheim-Bissingen geboren worden. Das Fußballspielen lernte er beim SV Germania Bietigheim. 2003 wechselte Leno in die Jugend des VfB Stuttgart. In der Saison 2008/09 wurde er deutscher B-Juniorenmeister. Ab der U17 absolvierte er Länderspiele, beim VfB schaffte er es aber nicht über die zweite Mannschaft hinaus, in der er schon als A-Jugendlicher eingesetzt wurde. Vor einigen Wochen erzählte Leno über diese Zeit: „Ich habe top gespielt, durfte aber nie mit den Profis trainieren. Warum auch immer, keine Ahnung."
Beim VfB fühlte er sich als 19-Jähriger nicht richtig wertgeschätzt. In einem Interview sagte Leno damals: „Ursprünglich wurde mir ein fairer Zweikampf mit Sven Ulreich um die Nummer eins zugesichert. Das wurde nicht eingehalten. Schon nach dem zweiten Training hieß es: Du stehst in Bielefeld bei der zweiten Mannschaft im Tor. Da habe ich mich schon ein bisschen getäuscht gefühlt. Deshalb war für mich klar, dass ich das Angebot aus Leverkusen annehmen werde."
Im August 2011 wechselte er als Leihspieler zu Bayer Leverkusen, zeigte dort gleich Klasseleistungen und wurde Anfang 2012 für acht Millionen Euro Ablöse fest verpflichtet. 2018 wechselte Leno zum FC Arsenal nach London. Sein Debüt in der deutschen A-Nationalmannschaft gab er am 29. Mai 2016 im Freundschaftsspiel gegen die Slowakei, doch Bernd Leno blieb in der Folge allenfalls die Nummer drei hinter Manuel Neuer und Marc-André ter Stegen.
Antonio Rüdiger, Verteidiger

Im Sommer 2015 hat Rüdiger den VfB Stuttgart verlassen. Er nahm ein Angebot der AS Rom an, auch um Deutschland ganz bewusst zu verlassen. „In Deutschland gab es damals sehr viel Kritik, was meine Person und Spielweise betraf. Natürlich habe ich durch meine Roten Karten auch etwas dazu beigetragen. Ich habe gemerkt: Dieses Image bekommst du so schnell nicht wieder los.“ Das Abwehrtalent wollte in Rom unbelastet Fußball spielen. „Ich habe mir gedacht, ich starte im Ausland einen Neuanfang. Ich bin jemand, der es mag, ins Risiko zu gehen."
Nach wechselhaften Jahren in Stuttgart überzeugte Rüdiger in Italien. 2017 wechselte er zum FC Chelsea in die Premier League. Dort gab es auch Tiefen, aber unter dem deutschen Trainer Thomas Tuchel ist der Ex-Stuttgarter, inzwischen 28 Jahre alt, momentan absoluter Stammspieler. Im Frühjahr 2011 hatte der gebürtige Berliner als Juniorenspieler von Borussia Dortmund einen Vertrag beim VfB Stuttgart unterschrieben, obwohl er wegen dieses Wechsels ein halbes Jahr lang nicht spielberechtigt war. In der Bundesliga debütierte er am 29. Januar 2012 im Heimspiel des VfB Stuttgart gegen Borussia Mönchengladbach.
Nach Rom wurde Antonio Rüdiger erst für vier Millionen Euro Gebühr verliehen und später von der AS für weitere neun Millionen fest verpflichtet. Vor der EM 2016 in Frankreich war er der große Pechvogel. Rüdiger, heute 40-maliger A-Nationalspieler, gehörte zum Kader von Bundestrainer Joachim Löw, zog sich jedoch im Training in Évian-les-Bains eine schwere Knieverletzung zu und wurde durch Jonathan Tah ersetzt.
Joshua Kimmich, Mittelfeld

Der kleine Kerl mit dem großen Mentalitätspotenzial hat nie ein Bundesligaspiel für den VfB Stuttgart absolviert. Aber der damalige VfB-Trainer Alexander Zorniger bezeichnete Kimmichs Verkauf als Jugendspieler an RB Leipzig im November 2015 als „fatale Fehlentscheidung”. Zorniger wollte „gern jeden erschlagen, der an dieser Entscheidung beteiligt war”, ein Vorwurf, der vor allem den damaligen VfB-Sportdirektor Fredi Bobic traf. Zorniger grantelte: „Man hätte ihn niemals gehen lassen dürfen.”
2013 war Joshua Kimmich aus der A-Jugend des VfB Stuttgart zum damaligen Drittliga-Aufsteiger RB Leipzig gewechselt. 2015 ging es weiter zum FC Bayern München. Da die Transferrechte beim VfB lagen, kam ein Großteil der 8,5 Millionen Euro Ablöse für den 19-Jährigen in Stuttgart an. Heute taxiert das Portal transfermarkt.de den Wert Kimmichs auf 90 Millionen Euro. Sein A-Länderspieldebüt für Deutschland gab der gebürtige Schwabe am 29. Mai 2016 in Augsburg im Testspiel gegen die Slowakei. In Joachim Löws Elf ist er ein unverzichtbares Element.
Jamal Musiala, Offensivspieler

Musiala hat in dieser Saison beim FC Bayern München den Durchbruch geschafft. Der 18-Jährige debütierte im März in der deutschen Nationalmannschaft. Jamal Musiala wurde am 26. Februar 2003 in Stuttgart geboren, aber diese Verbindung ins Schwäbische ist in seinem Leben nichts Prägendes. Seine Mutter kommt aus Stuttgart, hat deutsch-polnische Wurzeln, sein Vater stammt aus Nigeria.
Als kickender Bub begann er im osthessischen Fulda beim TSV Lehnerz, bevor die Familie mit dem siebenjährigen Jamal nach England zog. Dort spielte er auch in den Nachwuchs-Nationalmannschaften. Nach acht Jahren beim FC Chelsea wechselte Musiala im Sommer 2019 zum FC Bayern.
Serge Gnabry, Stürmer

Er ist am 14. Juli 1995 als Sohn eines Ivorers und einer Schwäbin in Stuttgart geboren worden, war 2005/06 bei den Stuttgarter Kickers und von 2006 bis 2011 beim VfB Stuttgart, wechselte aber bereits im Jugendalter nach England. Der FC Arsenal verpflichtete ihn, der VfB bekam 100.000 Euro Ausbildungsentschädigung. Als Gnabry nach Deutschland zurückkam, spielte er erst für Werder Bremen, dann nahm 2017 der FC Bayern München den Stürmer unter Vertrag. Zunächst wurde Gnabry aber an die TSG Hoffenheim verliehen.
Am 11. November 2016 hatte er im WM-Qualifikationsspiel in San Marino beim deutschen 8:0-Sieg erstmals in der deutschen A-Nationalmannschaft gespielt und gleich seine ersten drei Länderspiel-Tore erzielt. An der für Deutschland so furchtbar verlaufenen Weltmeisterschaft 2018 nahm Gnabry, der verletzt war, nicht teil. Lange galt er als ewiges Talent, jetzt gehört er zur Weltspitze.
Timo Werner, Stürmer

Ein Schwabe, absolut. Am 6. März 1996 in Stuttgart geboren. Ein Jahrzehnt lang in der Jugend des VfB am Ball. Dann im Alter von 17 Jahren, vier Monaten und 25 Tagen jüngster Pflichtspieldebütant in der ersten Mannschaft des VfB. Das war am 1. August 2013 in der Qualifikationsrunde der Europa League gegen Plowdiw. Im Sommer 2016 wechselte Werner vom gerade aus der Bundesliga abgestiegenen VfB Stuttgart zu RB Leipzig, dort kam er groß raus. In der Saison 2019/20 wurde Timo Werner mit 28 Treffern hinter Robert Lewandowski zweitbester Bundesliga-Torschütze.
Es folgte der Wechsel zum FC Chelsea. Und es folgte im vergangenen Winter eine schwere Zeit der Torlosigkeit. Aber Joshua Kimmich, sein früherer Mitspieler in der Jugend des VfB Stuttgart, hat seine Aussage nie zurückgezogen, die da einst lautete: „Timo Werner ist eine absolute Waffe." Sollte der 25-Jährige das nun bei der Europameisterschaft sein, wären alle glücklich. Er selbst am meisten. Der Schwabe ist ein Sensibelchen. Aber er hat Härte gelernt. Im Dezember 2016 wurde Werner nach einer Schwalbe im Spiel gegen den FC Schalke 04 mit einem Shitstorm in den sozialen Medien und zahllosen Hasskommentaren belegt. Später wurde der Angreifer von RB Leipzig in vielen Stadien ausgepfiffen.