Aus der Not eine Tugend gemacht
Gemeinschaften wie der Mostverein Nagelsberg stellen im Herbst ihre Kelter zur Verfügung. Zusätzlich bieten sie frisch gepressten Saft zum Verkauf an.

Samstags ab halb acht herrscht reger Betrieb in der Ortsmitte von Nagelsberg. Rund um die alte Kelter im hoch über dem Kocher gelegenen Stadtteil von Künzelsau stehen Autos mit Anhänger voll mit Äpfeln und Birnen. In der Kelter läuft inzwischen die Mostpresse langsam warm. Der Saft fließt in Strömen in die bereitgestellten Fässer, Wannen oder Kanister.
Seit mehr als 20 Jahren hat das Mosten in Nagelsberg Tradition. Jeden Samstag wird gepresst, was das Obst hergibt, von Mitte September bis Ende Oktober – rund 200 Zentner am Tag, bis zu 50?000 Liter im Jahr. Dabei haben die Nagelsberger aus der Not eine Tugend gemacht. Denn als der Künzelsauer Unternehmer Helmut Sigloch die alte Kelter im Ort an die Stadt Künzelsau verkaufte, wurden engagierte Nagelsberger aktiv und gründeten den Mostverein als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). "Nicht nur unsere Mitglieder konnten seither jährlich Obst keltern, wir haben auch allen Bürgern angeboten, bei uns Most zu pressen", erinnert sich der langjährige Vereinsvorsitzende Johannes Rückgauer. Das Angebot sei auch gut angenommen worden, der Trend sei aber zunächst unten gegangen. "Vor etwa zehn Jahren setzte dann ein Umschwung ein und wir haben das Angebot sogar auf Quitten- und Traubenmost ausgeweitet", schildert Rückgauer.
Im Jahr 2018 haben die Mitglieder die GbR in einen Verein umgewandelt, um den bürokratischen Aufwand zu minimieren. "Ich habe auch das Gefühl, dass wieder mehr Leute kommen, um Saft zu pressen und auch wieder Anlieferer mit größeren Mengen darunter sind", freut sich der neue Vereinsvorsitzende Manfred Bohner. Für jeden Zentner Obst wird eine Gebühr von drei Euro fällig. Jeder Lieferant erhält den Saft von seinen Äpfeln, was übrig bleibt, wird verkauft. Auch jüngere Leute sind in den vergangenen Jahren zum Mostverein Nagelsberg gestoßen. "Die Mitglieder sind sehr nett, viele bringen auch ihre Kinder mit. So wird jeder Samstag zum Fest", sagt Bohner lachend. Mit dem Herbstfest zum Auftakt der Mostsaison gibt es in der Alten Kelter aber auch tatsächlich ein große Feier. Die richtet der Verein aber traditionell zusammen mit dem deutlich größeren Sportverein FC Phoenix Nagelsberg aus.
Der Mostverein Nagelsberg ist in der Region einmalig, einzigartig ist er nicht. Denn auch in Duttenberg wird in der historischen Kelter alljährlich Most gepresst. Zwar wird das historische Gebäude im kleinsten Stadtteil von Bad Friedrichshall überwiegend von der Musikschule Unterer Neckar und verschiedenen Vereinen genutzt, doch auch die alte Kelter ist noch intakt. Dort nimmt der Obst- und Gartenbauverein Duttenberg unter der Leitung von Josef Mandel alljährlich im Herbst, Äpfel, Birnen und Trauben entgegen, die gegen eine geringe Gebühr auf einer Amos-Presse zu Most gepresst werden. In der Regel nehmen die Anlieferer den frisch Gepressten wieder mit nach Hause und bauen ihn selbst aus. Man kann sich den Saft aber auch gleich in Fünf-Liter Tetrapacks abfüllen lassen.