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Erinnerungen an die kanadische Kampflinie

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Vier Olympiasiege hat der Ilmenauer Bobpilot André Lange eingefahren, am emotionalsten aber ist sein letztes Rennen bei den Spielen 2010 in Vancouver, wo er Silber holt. Inzwischen arbeitet der Thüringer als Trainer bei den Chinesen und steht in Peking unter besonderem Druck.

Von Tino Meyer
Emotional feiert André Lange seine Medaillen und sagt: "Jede hat ihre eigene Geschichte." Inzwischen arbeitet der Ilmenauer als Trainer der Chinesen.
Emotional feiert André Lange seine Medaillen und sagt: "Jede hat ihre eigene Geschichte." Inzwischen arbeitet der Ilmenauer als Trainer der Chinesen.  Foto: Cj Gunther

Ausgerechnet die Silbermedaille im letzten Rennen feiert der erfolgreichste Olympia-Bobpilot aller Zeiten am emotionalsten. Als nach vier Olympiasiegen Platz zwei bei den Winterspielen 2010 in Vancouver feststeht, bricht es aus André Lange heraus. Er schreit, tobt und tanzt im Zielbereich des Whistler Sliding Centre. So extrovertiert-euphorisch hat man den coolen und kontrollierten Thüringer noch nie gesehen - jedenfalls nicht öffentlich. Doch all die Freude, die Anspannung und Erleichterung müssen raus.

"Ich habe fünf große olympische Momente erleben dürfen", sagt Lange, der im nächsten Jahr seinen 50. Geburtstag feiert, "doch die Silbermedaille in Vancouver war ein besonderer Moment. Und ja, wahrscheinlich war es auch ganz besonders emotional." So hört sich also zwölf Jahre danach gefühliges Understatement an.

Lieber Taten statt Sprüche

Wobei Lange noch nie einer für große Worte gewesen ist, auch im Eiskanal hat der Ilmenauer, der seine Karriere als Rodler begann, lieber mit Taten überzeugt. Das Reden überließ er anderen, bei den ganz großen Rennen meist seinem kongenialen Anschieber Kevin Kuske.

Zusammen sind sie zu vier Olympiasiegen gefahren, mehr hat keiner erreicht in der knapp hundertjährigen Geschichte: 2002 in Salt Lake City im Vierer, 2006 in Turin der Triumph mit Gold im kleinen und großen Schlitten sowie 2010 in Vancouver der erneute Sieg im Zweier. Und schließlich jene Silberne mit dem Vierer. "Jede Medaille hat ihre eigene Geschichte. Daher möchte ich keine priorisieren oder hintenanstellen. Olympia, das sind immer ganz spezielle Momente", sagt Lange, der mittlerweile als Trainer für die Chinesen arbeitet.

Olympia wird kein Zuckerschlecken

In Peking wird "Bärchen", so sein Spitzname, schon seine zweiten Spiele als Trainer erleben, nachdem er 2018 in Pyeongchang für die damaligen Gastgeber als Rodel-Trainer tätig gewesen ist. "Olympische Spiele", meint er, "sind immer etwas Besonderes, und diesmal erst recht mit dem großen Damoklesschwert, das über allem schwebt: Corona. In einem Land mit Null-Covid-Strategie wird das kein Zuckerschlecken."

Seit Sommer 2018 arbeitet er für den chinesischen Verband unter Leitung des kanadischen Cheftrainers Pierre Lueders, wie Lange eine Ikone seiner Sportart. Er habe in den letzten dreieinhalb Jahren viele schöne Momente erlebt, so Lange, eine interessante, aber auch schwierige Zeit. "Da prallen Kulturen aufeinander. Wir können uns nicht vorstellen, wie gewisse Dinge hier ablaufen", sagt er - und meint nicht nur den Umgang mit Corona.

Dem Reiz widerstanden

Aerodynamisch durch den Eiskanal von Whistler (von rechts): Pilot André Lange, Alexander Rödiger, Kevin Kuske und Martin Putze sind für ihre Akribie und saubere Linienwahl bekannt.
Fotos: dpa
Aerodynamisch durch den Eiskanal von Whistler (von rechts): Pilot André Lange, Alexander Rödiger, Kevin Kuske und Martin Putze sind für ihre Akribie und saubere Linienwahl bekannt. Fotos: dpa  Foto: Arne Dedert

Als unvergleichlich bezeichnet Lange die neue Olympiabahn in den Bergen Yanqings etwa 80 Kilometer nordwestlich von Peking. Überdacht und mit knapp 1,9 Kilometern die längste der Welt. Fahrerisch eine Herausforderung, die selbst Lange gereizt hätte. Fast wäre er schwach geworden und nochmal in den Bob gestiegen. "Aber ich habe es nicht gemacht", sagt er. Der zweite Platz bei Olympia 2010 bleibt vielleicht auch daher besonders in Erinnerung. Weil es das letzte Rennen in Langes beeindruckender Karriere gewesen ist. Seitdem ist er nie mehr an den Lenkseilen gesessen - von der Gaudi beim History Race in alten Bobs am Königssee abgesehen. Vermutlich aber liegt es doch an Langes Gefühlsausbruch im Ziel.

"Nach dem zweiten Lauf waren wir fast schon tot", sagt er, was erst mal übertrieben klingt. Andererseits hat die berüchtigte Kurve 13 auf der schnellen Bahn in Kanada ihren Namen nicht ohne Grund bekommen: Fifty-Fifty. Heißt: Die Chancen liegen bei 50 Prozent, dass man gut durchkommt. Tatsächlich endet Olympia für etliche Teams hier, und auch Lange fährt nach Rückstand im ersten Lauf "Kampflinie", wie Kuske sagt, entgeht nur knapp einem Sturz.

Spezieller Moment im Ziel

Das bedeutet Platz drei nach dem ersten Tag, was angesichts Langes Erfolgsbilanz mit den vier Olympiasiegen zuvor, den acht WM-Titeln und 45 Weltcupsiegen öffentlich als Enttäuschung durchgeht. Auch Lange will mehr, wenngleich der Sieg durch den wie entfesselt fahrenden US-Amerikaners Steven Holcomb ein Ding der Unmöglichkeit ist.

Lange greift nochmal an, bleibt aber auch nach dem dritten Lauf Dritter. Dann der vierte und unwiderruflich letzte Lauf: Bestzeit am Start, Bestzeit in der Bahn. Es ist noch einmal eine Demonstration der Stärke, und reicht zu Silber. Als Team Rush mit 0,01 Sekunden Rückstand ankommt, ist der Jubel bei Lange und seinen Anschiebern grenzenlos. Vier starke Männer liegen sich in den Armen. Vier Olympiasiege hat er, doch im letzten Rennen "auf Platz zwei vorzufahren, war für uns etwas sehr Spezielles".

 
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