Wo ist die Leiche von Leni H.?
Ein Mordfall hielt einst die Region in Atem. Weil der entscheidende Beweis fehlt, wird die Verhandlung zum Indizienprozess. Vor Gericht spricht ein Zeuge, der mit Leni H. unterwegs gewesen sein will, nachdem sie als vermisst gemeldet worden war.

Wird ein Mensch umgebracht, sind für Angehörige und Ermittler zwei Dinge wichtig: Wer ist der Täter und wo ist die Leiche? Beim sogenannten "Mord ohne Leiche" bleibt die zweite Frage unbeantwortet.
Denn der wegen Totschlags verurteilte Kurt S. bestreitet, mit dem Verschwinden von Leni H. etwas zu tun zu haben. Obwohl die Beweislage erdrückend ist. "Wir möchten, dass er endlich sagt, wo sie ist. Damit wir Frieden finden können." Das sagt die heute 53-jährige Tochter hörbar verzweifelt. Sie ist eine von vier Kindern, die die damals 27-jährige Leni H. zurücklässt.
Es kommt zu einem Indizienprozess, bei dem das Gericht auf Beweisanzeichen angewiesen ist, die auf Tatsachen schließen lassen. Ein Geständnis des Täters, Tatzeugen und eine Leiche gibt es nicht. Der Fall hält in den 1970er-Jahren über Monate Justiz, Polizei und Menschen in der Region in Atem. Der heute 77-jährige Gerd Bornschein erinnert sich noch sehr gut an den Fall. Es ist sein erster als Kriminalbeamter, den er selbständig bearbeitet. "Der Fall war für mich was Besonderes." Ein Rückblick.
Die Spur verliert sich

Es ist der 15. September 1975. Magdalena H. aus Güglingen, die alle nur Leni nennen, verbringt mit Kurt S. aus Brackenheim-Botenheim den Abend bei einem Weinfest in einem Festzelt in Lauffen. Das ist das letzte Mal, dass die vierfache Mutter gesehen wird. Danach verliert sich ihre Spur.
Zwei Tage später erstattet die Mutter von Leni H. eine Vermisstenanzeige. Sie gibt an, dass ihre Tochter von einem Ausflug mit einem Bekannten nicht mehr zurückgekommen ist - Kurt S. ist der Bekannte. Schnell gerät der damals 31-jährige ins Visier der Ermittler und wird wenige Tage später befragt. "Er gab zu, dass er mit Leni H. unterwegs gewesen ist, sie aber gegen 21 Uhr bei ihrer Mutter abgesetzt habe", sagt Bornschein heute.
Die Polizei erstellt eine maßstabsgetreue Skizze des Festzelts, zeichnet Tische ein, rekonstruiert die Gäste jenes Abends. Diese widersprechen den Angaben des Tatverdächtigen. Sie haben ihn zusammen mit Leni H. bis gegen Mitternacht auf dem Weinfest gesehen. Daraufhin befragen Bornschein und seine Kollegen den Tatverdächtigen erneut. Dieser verstrickt sich in Widersprüche.
Roter Schuh von Leni H. gefunden

Polizisten untersuchen akribisch seinen Opel Rekord und entdecken Blutspritzer von Leni H. auf dem Rücksitz, der Autotür und der Außenseite des Opels. Kurt S. erklärt, das Blut stamme von seinen Hasen. Die Ermittler stellen Sekrete von menschlichen Körperflüssigkeiten im Innenraum des Autos sicher. Und sie finden einen roten Schuh von Leni H., versteckt in einem Hasenstall hinter der Wohnung von Kurt S.
Um ihm die Tat nachzuweisen, startet im Zabergäu eine groß angelegte Suchaktion. Bulldozer der damals in der Region stationierten US-Armee legen Mülldeponien frei, erklärt Bornschein. Hundertschaften durchqueren das Gelände. Hubschrauber suchen aus der Luft nach Hinweisen. Ermittler beauftragen sogar einen Wahrsager, der im Aufspüren von Vermissten bereits erfolgreich gewesen sein soll. Und Kurt S.? Streitet die Tat beharrlich ab. Stattdessen erklärt er, dass Leni H. möglicherweise freiwillig die Region verlassen habe. Diese Version nimmt ihm die Polizei nicht ab. "Sie hat ihre vier Kinder über alles geliebt", sagt Bornschein.
Eine Verwechslung

Eine überraschende Wende nehmen die Ermittlungen, als sich ein Zeuge meldet, der im Dezember, also drei Monate nach dem Verschwinden von Leni H., mit ihr in Stuttgart unterwegs gewesen sein will. Eine Verwechslung. Die Begleiterin sieht der Vermissten ähnlich. Ein weiterer Zeuge sagt im Prozess, dass Kurt S. ihm die Tat gestanden habe. Das Gericht zweifelt an der Aussage.
Der Prozess endet nach 27 Verhandlungstagen. Mehr als 150 Zeugen wurden gehört. Der Staatsanwalt fordert 14 Jahre wegen Totschlags. Diesem Antrag folgt das Schwurgericht. Kurt S. ist in diesem Indizienprozess schuldig gesprochen worden. Doch Fragen bleiben unbeantwortet. Zum Leidwesen der Polizei - und vor allem der Kinder.
Indizienprozess
In einem Indizienprozess versucht die Staatsanwaltschaft das Gericht anhand von Indizien von der Schuld des Angeklagten zu überzeugen. Ein Indiz ist ein Anzeichen, auf dem sich mit großer Wahrscheinlichkeit ein bestimmter Ablauf, ein Sachverhalt, oder eine Entwicklung schließen lässt. Ein Indiz allein reicht nicht zu einer Verurteilung aus. Es sind die Summe an Indizien, die ein Gesamtbild ergeben.