Unerwartete Handball-Erfolge für Rena Keller in der Corona-Saison
Aus der Pandemie-Zwangpause heraus auf Titeljagd: Handball-Torhüterin Rena Keller aus Gronau im Bottwartal darf ihr kurios verlaufenes Sportjahr nun bei der U 20-EM veredeln.

Am 6. März, Samstagabend, klingelte Rena Kellers Handy. Der Anrufer war Markus Gaugisch, Trainer des Frauen-Bundesligisten SG BBM Bietigheim. Der Grund seines Anrufs ist ein tragischer: die norwegischen Stammtorhüterin Emily Sando fällt wegen einer Infektion am Herzen bis zum Saisonende aus. Die 17-jährige Keller soll einspringen. "Ich verfiel in eine Schockstarre, war echt überrollt. Ich habe es aber noch geschafft, zuzusagen", erinnert sich die Gronauerin, die im Mai ihren 18. Geburtstag feierte.
Nur vier Tage nach dem Gespräch mit Gaugisch stand das Bundesliga-Topspiel gegen die Tussies aus Metzingen auf dem Programm. Gerade einmal zwei Trainings hatte Keller bis dahin mit den Bundesligaprofis absolviert. Und die verliefen nicht gerade verheißungsvoll. "Es war anfangs schwierig, überhaupt mal eine Hand an den Ball zu bekommen. Die Wurfqualität ist eine ganz andere als in der A-Jugend."
Den ersten Bundesliga-Ball hat sich gleich gehalten
Trotzdem darf Keller gegen Metzingen in den zehn Schlussminuten ins Tor, hält gleich den ersten Wurf. Ab diesem Zeitpunkt ist sie Bundesliga-Torhüterin.
Ohne Corona-Pandemie wäre es vielleicht nicht dazugekommen, denn dann wäre Keller für die SG Schozach-Bottwartal in der 3. Liga im Einsatz gewesen. Doch die Saison 20/21 der SGSB bestand nur aus dem Auftaktspiel. Danach war Schluss. Keine Spiele mehr, kein Training mehr. Monatelang. Durch ihr Zweitspielrecht für die Bietigheimer Bundesliga-A-Juniorinnen kam Keller zumindest ab Jahresbeginn wieder in den Genuss eines regelmäßigen Trainingsbetriebs. "Ohne Pflichtspiele ist es aber schwer, die Motivation hochzuhalten, wirklich Leistung zu bringen. Das war schwer für mich", gibt Keller zu. Dazu kam der anstrengende Wechselunterricht am Schickardt-Gymnasium in Stuttgart. "Wenn man den ganzen Tag zu Hause vor dem Laptop sitzt, ist es gar nicht so einfach, am Abend im Training in Bewegung zu kommen."
Das Vertrauen des Trainers gibt ihr Mut
Doch mit dem Anruf vom 6. März endet die Corona-Lethargie. In zehn Bundesligaspielen kommt Keller bis zu einer ganzen Halbzeit zum Einsatz. "Das Vertrauen hat mich sehr gefreut." Neun Spiele werden gewonnen, Bietigheim wird Vizemeister. Ab Ende April steigen die A-Juniorinnen mit dem Achtelfinale um die deutsche Meisterschaft wieder in den Spielbetrieb ein. Erstmals schafft die SG den Sprung ins Final Four. Das Halbfinale gegen Bayer Leverkusen geht unglücklich im Siebenmeterwerfen verloren. Die Bronzemedaille tröstet zumindest ein wenig über den verpassten Titel hinweg, den sich der HC Leipzig sichern kann.
Das noch deutlich größere Highlight war jedoch das Final Four um den DHB-Pokal Ende Mai in Stuttgart - dieses Mal mit Happy End. Durch Siege gegen Metzingen und Rosengarten-Buchholz gewinnt die SG die Trophäe. Keller durfte in den engen Partien zwar nur einmal für einen Siebenmeter aufs Feld, darf sich aber natürlich Pokalsiegerin nennen.
Und ihr verrücktes Handballjahr geht weiter. Am Donnerstag beginnt die U20-Europameisterschaft in Slowenien mit dem Auftaktspiel gegen die Schweiz. Beim Vorbereitungsturnier in Spanien überzeugte das deutsche Team unter Dortmunds Meistertrainer André Fuhr. Portugal, Frankreich und die Gastgeberinnen wurden bezwungen, der Turniersieg eingefahren. "Wir können unsere EM-Gegner aber kaum einschätzen, weil ja praktisch keine Länderspiele stattgefunden haben. Wir werden aber alles geben", versichert Keller, die ihre Saison mit DM-Bronze und dem DHB-Pokalsieg gerne mit einer EM-Medaille veredeln würde.
Nun wieder 3. Liga: Alles bloß kein Rückschritt
Unabhängig vom Turnierausgang steht Keller in der Saison 2021/22 wieder in die 3. Liga bei der SGSB im Tor. Als Rückschritt empfindet die 18-Jährige dies jedoch nicht: "Ich werde mich sicher nicht langweilen, weil ich jeden Ball halte." Und wer weiß, vielleicht gibt es im Frühjahr 2022 eine Meisterschaft zu feiern.