Gespräch in einem Heilbronner Bordell über die Arbeit und die Liebe
Am Küchentisch einer Terminwohnung nehmen sich zwei Sexdienstleisterinnen und die Vermieterin Zeit, um mit uns offen über ihren Job und die Liebe zu sprechen. Schnell stellt sich heraus: Die Sichtweisen der Frauen auf Gefühle am Arbeitsplatz sind sehr unterschiedlich.

Irgendwo in Heilbronn befindet sich die Terminwohnung von Renate. Dora und Steffi (alle Namen geändert) mieten sie in manchen Wochen an und haben dort Sex mit ihren Gästen. Die Frauen ziehen danach weiter, arbeiten woanders, fahren für eine Weile nach Hause und kommen wieder in das kleine Bordell zurück. In der Zwischenzeit wohnen andere Sexdienstleisterinnen in der Wohnung.
Steffi arbeitet seit 15 Jahren als Sexdienstleisterin, Dora ist mit Unterbrechungen 20 Jahre in dem Geschäft aktiv. Ist Liebe ein Thema in diesem Metier?
An einem Mittag im Februar nehmen sich die zwei Frauen und ihre Vermieterin Renate am Küchentisch Zeit für ein offenes Gespräch. Während sich Dora warm angezogen und eine dicke Decke um sich geschlungen hat, trägt Steffi nur Dessous. Doras Sohn ist 23, Steffi hat eine 25-jährige Tochter. Beide Frauen leben in langjährigen Ehen.
Wie darf ich Sie nennen?
Renate: Auf keinen Fall Nutte, das ist ein absolutes Schimpfwort. Sexdienstleisterin trifft es am besten, denn das ist der Service, den die Frauen hier anbieten.
Dora: Das Wort Prostituierte ist negativ besetzt, wir werden zu oft in einen Topf geworfen mit Zwangsprostituierten, dem Straßenstrich.
Steffi: Ich fand es schön, wie die Frauen mit diesem Beruf im Mittelalter genannt wurden: Gespielin, Konkubine, Mätresse des Königs.
Warum machen Sie diese Arbeit?
Steffi: Weil ich Bock drauf habe. Du kannst dem Alltag zu Hause entfliehen.
Dora: Ich habe damit angefangen, weil der Job für mich als Alleinerziehende gut gepasst hat: Ich arbeite nachts, verdiene gut, und habe tagsüber Zeit für meinen Sohn.
Was bedeutet für Sie Liebe?
Steffi: Ach, Liebe ist ein dehnbares Wort. Liebe kann man nicht definieren, wie Schönheit. Sie liegt im Auge des Betrachters.
Dora: Es gibt ganz verschiedene Lieben: Ich liebe mein Kind anders als meinen Mann.
Wie gehen Ihre Ehepartner damit um, dass Sie Fremden Sex anbieten und mit ihnen schlafen?
Steffi: Mein Mann, mit dem ich jetzt zehn Jahre verheiratet bin, ist ein ehemaliger Gast von mir. Auch meine vorigen Beziehungen ging ich mit Bordellgästen von mir ein. Meinen Mann lernte ich ganz klassisch näher kennen, indem wir uns abends öfters verabredeten, uns hunderte SMS schrieben. Er duldet, was ich mache. Begeistert ist er davon nicht. Ich mache trotzdem, was ich will.
Dora: Mein Mann ist gelassen in Bezug auf meinen Job. Er wusste lange Zeit nicht, was ich arbeite. Aber es ist okay für ihn, er geht mit dem Thema Sexualität locker um. Wenn mein Mann Callboy wäre, wäre das für mich kein Problem. Auch wenn er in den Puff gehen würde, wäre das nicht so schlimm. Bei einer Affaire allerdings würde ich die Beziehung beenden, da sind ja Gefühle mit im Spiel.

Können Sie sich beim Sex von Ihren Gefühlen trennen?
Dora: Ja, ich trenne das komplett. Da unterscheide ich mich vollkommen von Steffi, ich würde nie mit Gästen außerhalb der Arbeit einen Kaffee trinken gehen. Im Zimmer bin ich eine komplett andere Person. Wenn Männer so etwas wie Romantik oder Liebe von mir wollen, dann verkaufe ich eine Illusion davon. Klar habe ich daran auch mal Spaß. Aber zu 90 Prozent habe ich gar nichts davon, nur sein Geld.
Steffi: Bei mir ist alles Realität. Wenn ich arbeite, bin ich nicht anders als sonst. Klar, wir versuchen, Wünsche zu erfüllen, und die Männer in ihrem Wunschdenken zu belassen. Aber ich habe durchaus Gefühle bei der Arbeit. Sie sind einfach ein Teil davon. Es geht dann um Mögen. Wenn ich einen Gast sympathisch finde, bin ich ganz anders. Lockerer.
Dora: Ja, Sympathie ist wichtig, und gegenseitiger Respekt. Bei Sympathie und Gepflegtheit des Gastes biete ich zum Beispiel auch Zungenküsse an, die für uns Sexdienstleisterinnen in der Regel intimer sind als Geschlechtsverkehr.
Dieser Artikel ist Teil unserer Monatsserie "Zeichen der Liebe". Alle Teile gibt es hier in der Übersicht.
Wollen Ihre Gäste hauptsächlich das Eine?
Dora: Nein. Manche Männer bleiben mehrere Stunden bei mir. Ich habe das Gefühl, das ist Balsam für ihre Seele.
Steffi: Das geht mit mir nicht. Die Gäste können höchstens zwei Stunden bleiben.
Renate: Einige Männer kommen zu uns, weil ihre Frau gestorben ist. Sie wollen in den Arm genommen werden, suchen das Gespräch. Viele Männer reden, wenn sie bei uns sind, wie ein Wasserfall, öffnen sich. Ein Gast will manchmal auch einfach nur zu zweit Karten spielen.
Wie wichtig finden Sie Sex in einer Liebesbeziehung?
Renate: Ganz einfach: Sex in einer Beziehung ist wie das Salz in der Suppe.
Dora: Natürlich ist Sex sehr wichtig, aber das ist nicht alles. Es ist daheim ganz anders als bei der Arbeit. Zu Hause habe ich dabei sehr viel Gefühl.
Steffi: Sex ist auf jeden Fall nicht das Allerwichtigste.

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