Königliche Ausblicke
Ob Nebel oder Sonne: Auch im November lässt es sich gut draußen sein, auf dem Zollernburg- Panorama-Weg in Albstadt zum Beispiel.

Das Laub raschelt unter den Füßen. Laut! Mittlerweile haben die Bäume den größten Teil ihres üppigen, zuletzt so bunt leuchtenden Blätterdachs verloren. In allen erdenklichen Braun-, Gelb- und Rottönen liegt es auf dem Waldweg entlang des Albtraufs, der hier bei Albstadt steil abfällt. Tief atmen, ein und aus, befreit, ohne Corona-Gedanken, das fällt ganz leicht. Wegen der klaren, frischen Luft auf rund 900 Metern Höhe, aber auch, weil man gerade an einem Werktag, einem etwas trüben und windigen noch dazu, an diesem schönen Fleckchen Baden-Württemberg fast alleine ist.
Doch, es war die beste Entscheidung, an diesem Morgen früh ins Auto zu steigen, um ein Stückchen gen Süden zu fahren. Nur eineinhalb Stunden Fahrt sind es hinauf auf die Schwäbische Alb und doch ist es wie eine richtige Reise. Eine Wohltat für die Seele, für eine kurze Weile aus dem gefühlt eng gewordenen Alltag auszutreten, hinein in eine Welt, angenehm weit weg von Inzidenzzahlen und Pandemie-Beschränkungen.
Premiumwanderwege

Der Zollernburg-Panorama-Weg, auf den es an diesem Tag geht, ist der heimliche König der sieben Premiumwanderwege rund um Albstadt und wurde 2011 als zweitschönster Wanderweg Deutschlands ausgezeichnet. Auch zwei Wintertouren gibt es inzwischen. Die Traufgänge, Rundwanderwege mit Längen zwischen 5,2 und 16,8 Kilometern, sind in den zurückliegenden Jahren eine Marke geworden, die für abwechslungsreiche und gut ausgebaute Routen steht, mit Einkehrmöglichkeiten und phantastischen Ausblicken von den Bergen, die an der 1000-Meter-Marke kratzen.
Natürlich, in diesen Zeiten hat die lohnenswerte Gastronomie entlang der Strecke, das Nägelehaus und der Zollersteighof, leider geschlossen. Aber das Picknick steckt im Rucksack und wie bei allen anderen Premiumwegen auch, gibt es entlang des Weges viele gemütliche Bänke und Wellenliegen, auf denen man sich für ein Päuschen niederlassen kann.
Start am Nägelehaus
Der Tag beginnt am Wanderparkplatz beim Nägelehaus auf dem Raichberg hoch über Albstadt-Onstmettingen. Der Wind pfeift beim Aussteigen aus dem Auto. Ordentlich. Aber wer erst einmal in Bewegung kommt, friert nur noch selten. Das erste Stück - einfach immer dem Traufgangzeichen folgend - führt entlang der Albstadter Wiesen. Im Frühsommer werden sie regelmäßig zum gigantischen regenbogenbunten Blumenmeer, eines, das laut singt, so reich ist das Insektenleben hier. Nun liegen die Flächen still da. Es ist das Bild der Natur im Laufe der Jahreszeiten. Und so ist es auch jetzt schön hier. Weit. Friedlich.
Aussichtsbalkone und abfallende Kanten

Nicht weit, dann dreht der Weg gen Norden und führt hinein in den Wald und damit hin zum spektakulären Teil der Tour - den Aussichtsbalkonen, Felsspornen und senkrecht abfallenden Kanten, mit denen die Schwäbische Alb an ihrem Nordrand abbricht. Hier darf man sich Zeit nehmen - Platz nehmen auf einer der vielen Bänke, den Wind im Gesicht spüren, der vom württembergischen Flachland die Zollernalb hinauf weht, und den weiten Blick, der bis nach Tübingen ins Neckartal reicht, genießen. Am Aussichtspunkt Kohlwinkelfelsen zum Beispiel oder kurz darauf am Naturdenkmal Hangender Stein. Unter der Woche hat man auch das alles für sich.
Gewaltige Natur
Es ist eine fast erhabene Stimmung. Man fühlt sich sehr klein inmitten dieser Weite und doch auch irgendwie groß - ein winziger Teil dieser gewaltigen Natur. Dabei ist auch sie nur ein Spielball der Zeit. Wenige Schritte weiter führt ein Metallgitter über einen tiefen Graben. Eine etwa zwei Meter breite und rund 200 Meter lange Kluft. Sie trennt den schmalen Traufstreifen vom Raichberg-Massiv. Eines Tages wird die Kante vollständig abbrechen und ins Tal stürzen. Erosion lässt den Nordrand der Alb seit Millionen von Jahren zurückweichen. Zuletzt hat es hier 1879 gerumst.
In der ersten Reihe

Was für eben galt, bewahrheitet sich auch für das Zeller Horn, das wenig später erreicht ist. An manchen Tagen stehen die Leute Schlange, um ein Foto machen zu können. Denn von hier aus ist die Burg Hohenzollern wie auf dem Präsentierteller zu sehen. Heute, am Ende der Saison, sitzt man fast allein mit Vesperbrot in der Hand auf der Bank und kann den Stammsitz der Hohenzoller ungestört wie beim Fernsehen aus der ersten Reihe betrachten. Eine Kopfdrehung genügt, dann läuft links das Programm Schwarzwald mit der Zollernalb-Kreisstadt Balingen im Vordergrund, rechts sieht man Albvorland und Neckartal.
Kaum zwei Kilometer weiter, immer an der westlichen Bergkante entlang, die dicht bewaldet, steil, aber nicht senkrecht abfällt, liegt der Zollersteighof. Er ist eine Einkehr wert, sogar übernachten kann man - sollte man, wenn wieder bessere Zeiten anbrechen. Nun muss man sich entscheiden: In rund einer viertel Stunde geht es zurück zum Nägelehaus - die Highlights hat man auf den letzten acht Kilometern bereits mitgenommen. Oder man folgt dem Traufgang noch mal so lang auf einer großen Wald- und Wiesenrunde. Ja, dort ist Stille eingekehrt. Aber der Anblick weckt auch Vorfreude. Auf ein neues Jahr. Blühende Wiesen. Ein Wiedersehen in Albstadt.