Wie sah der Täter aus? So entsteht ein Phantombild
Stimme-Leserin Gaby Bannwarth aus Flein wagt ein Experiment: Als Zeugin beschreibt sie für den Phantombildzeichner Oliver Reinhardt einen unbekannten Mann, den sie nur kurz gesehen hat. Wir haben sie zur Personenbeschreibung ins Polizeipräsidium Heilbronn begleitet.
„Das ist schwer, das ist schwer“, murmelt Gaby Bannwarth leise vor sich hin. Konzentriert starrt sie auf den Monitor, der vor ihr auf dem Schreibtisch steht. Hunderte Porträtfotos schaut sie an. Die Männer auf den Bildern haben nicht viel gemeinsam. Sie sind etwa um die 30 Jahre alt und hellhäutig. Bannwarth stellt sich als Zeugin zur Verfügung. Die 59-jährige Lehrerin aus Flein soll aus den Hunderten von Fotos ein neues erstellen, das einem Täter ähnlich sieht. Die Aufgabe hat es in sich.
Ein grauer Nachmittag. Termin im Präsidium Heilbronn. Die Polizei gewährt Bannwarth im Rahmen einer Stimme-Aktion einen Einblick in die Arbeit eines Phantombildzeichners. Damit das unter realistischen Bedingungen vonstattengeht, lässt sich Polizeisprecher Frank Belz etwas einfallen. Er empfängt Bannwarth draußen vor der Tür. Auf dem Weg ins Gebäude rempelt ihn ein Mann an, der ins Handy vertieft ist. Es folgt ein unfreundlicher Wortwechsel, von dem Bannwarth später sagen wird, sie habe den Mann, der Belz anstieß, maximal 30 Sekunden lang gesehen. Tatsächlich dürfte die kleine Inszenierung wesentlich kürzer gewesen sein.
Erst Fragen beantworten, dann Bilder schauen

In einem kleinen, zweckmäßigen Büro sitzt Gaby Bannwarth Polizeihauptmeister Oliver Reinhardt gegenüber. Der 50-Jährige gehört zur Kriminaltechnik und ist einer von drei Phantombildzeichner im Präsidium. Los geht’s.
Zunächst stellt Reinhardt Fragen über Fragen. Was genau ist passiert? Wie lange hat sie den Mann gesehen? Lichtverhältnisse? Alter, Größe, Statur? Hat der Mann was gesagt? Hat sie etwas gerochen? Haare, Nase, Mund, Bekleidung? Bannwarth antwortet präzise, Reinhardt macht sich Notizen. Und dann sagt er einen Satz wie aus dem „Tatort“: „Wenn Sie eine Pause brauchen oder einen Kaffee, sagen Sie Bescheid.“

Nach der Befragung geht es an die Bilderschau. Die Fotos, die sich Bannwarth am Computer anschaut, sind bereits im Vorfeld verändert worden und zeigen deshalb keine realen Personen mehr. Datenschutz. „Von Bild Nummer 923 vielleicht die Nase“, sagt Bannwarth, nachdem sie eine Reihe von Fotos gesehen hat. „Weiter. Weiter.“ Pause. „Weiter.“ Reinhardt ruft per Mausklick die nächste Bilderreihe auf. Vom Mann auf dem Bild mit der Nummer 2372 wählt Bannwarth die Augenbrauen, von einem anderen den Bart. „Ich merke, wenn jemand falsche Angaben macht und zum Beispiel eine Straftat vortäuscht“, erzählt der Polizist nebenbei. Im Schnitt dauere das Erstellen eines Phantombilds gut und gern zwei Stunden. Liege das Bild bereits nach 25 Minuten vor, weiß der Ermittler: Entweder der Zeuge oder der Geschädigte erzählt Geschichten oder er will sich wichtigmachen.
Geduld ist bei der Aufgabe von Vorteil

„Es ist anstrengend“, sagt Bannwarth. Jedes neue Gesicht vergleicht sie im Kopf mit denen, die sie schon gesehen hat. Wenn sie denkt, das könnte passen, versucht sie, das Störende auszublenden. Schließlich muss sie ein Porträt aus der Datenbank als Grundform für das Phantombild wählen. Reinhardts Job ist es, darauf die Nase von Bild Nummer 923 zu setzen, die Augenbrauen von Nummer 2372 und so weiter und die Elemente zu bearbeiten und anzupassen. Das Bildbearbeitungsprogramm Photoshop ist sein Handwerkszeug. Reinhardt kennt sich mit Proportions- und Gesichtslehre aus, kann sich gut in die Beschreibungen der Zeugen hineinversetzen und – vielleicht das Wichtigste – er ist geduldig.

Mit Feuereifer ist Gaby Bannwarth bei der Sache. Die Augen des Mannes seien hell gewesen, „aber nicht so blau wie die von Terence Hill“. Die Haut? „Sah gesund aus, mit einer leichten Sommerbräune.“ Der Bart – „sehr gepflegt“. Sie stelle es sich unendlich schwer vor, einen Täter zu beschreiben, wenn bereits ein paar Tage vergangen seien, sagt sie. Opfer von Sexualstraftasten beispielsweise entscheiden sich oft erst später, zur Polizei zu gehen. Andererseits seien Opfer von Gewalttaten häufig besser als Zeugen in der Lage, einen Täter zu beschreiben, weil sie sich mit der erlebten Situation intensiver auseinandersetzen, sagt Reinhardt.
Am Ende ist Gaby Bannwarth zufrieden mit dem Phantombild. „Es ist nicht eins zu eins die echte Person, aber die Ähnlichkeit liegt über 50 Prozent.“ Sie wäre enttäuscht, wenn sie völlig danebenliegen würde, sagt sie. Umso mehr ist sie erleichtert, als der junge Mann dann leibhaftig vor ihr steht. Sie hat ihn gut getroffen. „Aber es war ganz, ganz schwer.“
Oliver Reinhardt absolviert an diesem Nachmittag eine kleine Trainingseinheit. Ob im Ernstfall ein Phantombild veröffentlicht wird, entscheidet ein Staatsanwalt. Aber selbst im Fall, dass es nicht freigegeben wird, kann es helfen. Es geht dann an die Streifen draußen mit dem Hinweis, die Augen offenzuhalten.