Geselliger Schwabe mit italienischen Wurzeln
Vor 58 Jahren kam Enrico Iachelini nach Deutschland − In der Region Heilbronn hat er sein Glück gefunden

Was ist Heimat? Versonnen blickt Enrico Iachelini aus dem Fenster, während seine Gedanken ins rund 600 Kilometer entfernte italienische Dimaro im Val di Sole im Trentino schweifen. Dort, im damals 400 Einwohner zählenden Dörfchen, rund 80 Kilometer nördlich des Gardasees, stand seine Wiege. "Doch meine Heimat ist längst hier", sagt der 80-Jährige. Vor 58 Jahren kam er nach Deutschland, seit 1960 lebt er in Massenbachhausen. Und wenn ihn ein Einheimischer fragt, ob er sich wohl fühlt, dann platzt es mit einem Lachen aus ihm heraus: "Ich bin schon viel länger hier als Du."
Die Verhältnisse in dem ärmlich geprägten italienischen Bergdorf sind für den jungen Enrico Iachelini nicht einfach. Als eines von zehn Kindern hütet er während der drei Monate andauernden Schulferien schon als Neunjähriger mutterseelenallein in den Bergen Ziegen und Kühe, übernachtet auf rund 1200 Metern Höhe in einer der spärlich angesiedelten Hütten. Nach dem Schulabschluss lernt er Bäcker, arbeitet als Kaminfeger und Waldarbeiter. Doch wirklich ernähren kann die Region die vielen jungen Menschen nicht.
Entscheidung

So fällt ihm im Frühjahr 1959 die Entscheidung nicht schwer. Frohen Mutes und mit der Hoffnung auf ein besseres Leben verlässt er als 22-Jähriger sein Heimatdorf, sucht zusammen mit seinen zwei Brüdern Renato und Viglio in Deutschland sein Glück. "Ich war jung, und ich war es gewohnt, bei fremden Leuten zu leben und zu arbeiten."
Am 3. März 1959 kommt er mit dem Zug nach Pleidelsheim, wo er beim Hohlblockhersteller Beweco Akkord arbeitet. Zusammen mit sechs Freunden aus der Region Trentino ist er in einem kleinen, engen Bauwagen untergebracht: "Damals wollte ich gleich wieder nach Hause. Ein Strohsack diente als Matratze." Doch Iachelini bleibt. Und das hat einen Grund, einen blonden. Sein Arbeitskollege Karl Walter nimmt ihn an den Wochenenden mit ins Leintal, nach Massenbachhausen. Im Gasthaus Krone lernt er seine Gertrud kennen.
Benehmen

Nicht alle Menschen im ländlich geprägten Flecken haben zu dieser Zeit ein feines Benehmen: "Manche waren anständig, aber es gab auch welche, die haben mich beschimpft." Enrico Iachelini sieht darüber hinweg, will sich integrieren. Nach und nach lernt er die deutsche Sprache. In der Tasche steckt immer ein Büchlein, in welches er neu gelernte Worte einträgt. Der Italiener macht den Führerschein, sammelt von nun an mit dem Firmenbus die Kollegen ein.
1960 zieht er nach Massenbachhausen. An den Gedanken, dass ihre Tochter einen jungen Mann aus Italien liebt, müssen sich auch die Eltern von Gertrud Baumann gewöhnen. Immerhin hat der Zukünftige ein großes Ass im Ärmel: Enrico Iachelini hat die richtige Religion. 1961 läuten die Hochzeitsglocken in der katholisch geprägten Kommune. Sohn Uli und Tochter Carmen werden geboren.
"Schaffe, spare, Häusle bauen − die Schwaben und Norditaliener sind sich sehr ähnlich", sagt Enrico Iachelini. Für seine Familie baut er ein heimeliges Nest. Für die Gemminger Firma Reimold fährt er Lastwagen. Seine unkomplizierte Art, der italienische Charme, den er sich bis heute erhalten hat, erleichtert ihm den Kontakt zu den Einheimischen. In Massenbachhausen findet er Anerkennung und viele Freunde. Er gehört dazu: "Wir hatten eine tolle Clique." Am Abend trifft sich die Dorfgemeinschaft auf dem Bänkle vor dem Haus, am Wochenende geht er mit seinen Kumpels ins Wirtshaus.
Zuhause

Mit dem Bau einer Seilbahn hält in der einstigen Heimat Dimaro der Tourismus und damit der finanzielle Aufschwung Einzug. "Doch auch dann wollte ich nicht mehr zurück", sagt der Massenbachhausener. "Ich war zu lange weg, die Leute kannten mich nicht mehr und ich habe mich dort auch fremd gefühlt." In Italien macht er gerne Urlaub, besucht dort die noch lebenden Geschwister, wie eben in den Pfingstferien. "Danach freue ich mich wieder aufs Schwabenländle, dann will ich wieder heim. Ich bin hier Zuhause." Sagt’s, und zündet seine Pfeife an.