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Weißbach
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Fabriksirene gab den neuen Takt an

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Der Ort Weißbach hat sich im Laufe der Jahrhunderte vom Dorf zum internationalen Industriestandort gewandelt. Das Dörfliche ist trotzdem geblieben.

Von Renate Väisänen
Kurt Bühler im Jahr 1939 mit Schwester Ruth vor dem elterlichen Bauernhaus in Guthof. Im Weißbacher Weiler werden bis heute zwei Hofstellen bewirtschaftet.
Kurt Bühler im Jahr 1939 mit Schwester Ruth vor dem elterlichen Bauernhaus in Guthof. Im Weißbacher Weiler werden bis heute zwei Hofstellen bewirtschaftet.  Foto: privat

Sein ganzes Leben hat Kurt Bühler in Weißbach verbracht. Oder besser gesagt im idyllischen Weiler Guthof. "Hoch und frei über dem linken Kocherufer gelegen", wird der Ort in historischen Dokumenten beschrieben. Als Bub sei er täglich auf einem Fußpfad in die Schule nach Weißbach gelaufen, erinnert sich der heute 85-Jährige, dessen Vorfahren seit 1848 eine der drei Hofstellen in Guthof bewirtschafteten. In seiner Konfirmandenzeit musste Bühler zusätzlich noch die halbstündige Wegstrecke von Weißbach nach Crispenhofen bewältigen. Dort befand sich nämlich bis 1972 die für Weißbach zuständige Pfarrstelle.

Abenteuerliche Fußmärsche

Der Fußmarsch sei vor allem in schneereichen Wintern abenteuerlich gewesen. "Erst nach meiner Hochzeit 1958 wurde Guthof durch eine Straße an Weißbach angeschlossen", berichtet Bühler. "Vorher gab es nur einen Weg, der nicht einmal mit dem Schlepper zu schaffen war." Von der Prosperität, die die Firma Hornschuch nach dem Krieg in die Kochertaler Ortschaft brachte, habe man hier oben wenig verspürt. "Der damalige Bürgermeister war ein einfacher Bauer. Da hat es halt an einem Experten im Verwaltungswesen gefehlt", meint der Landwirt, dessen Sohn heute die Hofstelle bewirtschaftet.

Kurt Bühler heute am Sammelpunkt eines Bataillons im ersten Weltkrieg.
Kurt Bühler heute am Sammelpunkt eines Bataillons im ersten Weltkrieg.  Foto: Renate Väisänen

Einen Hof betrieb auch Helmut Bauers Familie unten im Tal. Der 72-Jährige bezeichnet sich als Ureinwohner. "Den typischen Weißbacher gibt es nämlich gar nicht", hat der Anlagentechniker festgestellt. "Wie denn auch - nach dem Krieg ist mit der Industrialisierung die Einwohnerzahl von 300 auf 1500 hochgeschnellt", meint er. Einst hätte das Elf-Uhr-Glockenläuten den hiesigen Tagesrhythmus vorgegeben: so sei die Bauersfrau für das Zubereiten des Mittagessens an den Herd gerufen worden. Nach dem Krieg sei es die Fabriksirene der Firma Konrad Hornschuch gewesen, die den Takt vorgegeben hätte.

Sonntäglicher Kirchgang als feste Größe

Vor dem Strukturwandel, sei Weißbach landwirtschaftlich geprägt gewesen, weiß Bauer. Neben kleinen und größeren Betrieben mit Viehzucht, Acker-, Obst- und Weinbau habe es im Ort einen Wagner, einen Schmied, drei Schreiner, einen Schuhmacher, einen Bäcker, eine Metzgerei und mehrere Gasthäuser gegeben. Das Leben im Kocherdorf sei eher karg gewesen. So dass sich damals Weißbacher sogar beim Bau der Bagdad-Bahn verdingt hätten, sagt Bauer.

Schmucke Architektur im Dorf: Die Crispenhofener (v. l) Hans Nicklas, Gerhard Matter, Manfred und Rolf Herdtweck vor dem historischen Pfarrhaus.
Fotos: Renate Väisänen
Schmucke Architektur im Dorf: Die Crispenhofener (v. l) Hans Nicklas, Gerhard Matter, Manfred und Rolf Herdtweck vor dem historischen Pfarrhaus. Fotos: Renate Väisänen  Foto: Renate Väisänen

"Eine feste Größe im Leben der Weißbacher war damals der sonntägliche Kirchgang", erinnert sich der Senior. Vor jeder Hofstelle sei auf der unbefestigten Dorfstraße damals eine Art Platte gelegen. "Da hüpfte man dann von Platte zu Platte, um ja nicht mit schmutzigen Schuhen in die Kirche zu gelangen", so Bauer.

So wie die Weißbacher aufgrund ihres einstigen, kärglichen Daseins "Krappenstecher" (Rabenstecher) bezeichnet wurden, sagte man den Bewohnern im architektonisch etwas vornehmeren Crispenhofen nach, dass sie Mehl aus der Hülsenfrucht der Wicke gewinnen würden.

Das Dorf oberhalb des rechten Kocherufers war einst vom Weinbau geprägt. Und das eher mit mäßigem Erfolg: "Brr, das ist Crispenhofener Wein", hätte einst ein Ingelfinger Graf nach einem Schluck aus dem Kommunionskelch bemerkt.

Dazu machten Erdrutsche, Reblaus und Hagel mehrere Male die Trauben- und Getreideernte zunichte. Das berichten die beiden "Wickesäck" Rolf Herdtweck und Gerhard Matter. "Im Gedenken an ein schweres Unwetter im Jahr 1874 wird bis heute am 14. Juli der Hagelsonntag begangen", so Matter.

Kultureller Treffpunkt der bäuerlichen Einwohner von anno dazumal sei neben den Gottesdiensten in der Dorfkirche das Gasthaus "Traube" gewesen. Ob zu Feiern des Gesangvereins Liederkranz, zum Dorftanz oder Laientheater. Eine ähnliche Nahversorgung wie im früheren Weißbach, hätte es auch in Crispenhofen gegeben, berichten Manfred Herdtweck und Hans Nicklas.

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