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Weißbach
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Die Ruhe in Weißbach lieben gelernt

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Die Gemeinde am Kocher mit ihrem Teilort Crispenhofen und dem zugehörigen Hagelbach hat ihren eigenen Rhythmus. Bei einem Spaziergang durch Weißbach erzählen Menschen über das Leben im Ort.

von André Daub
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Blick über Weißbach und auf das Langenbachtal: Der Teilort Crispenhofen versteckt sich hinter den Bäumen talaufwärts.
Fotos: André Daub
Blick über Weißbach und auf das Langenbachtal: Der Teilort Crispenhofen versteckt sich hinter den Bäumen talaufwärts. Fotos: André Daub  Foto: Daub, Andre

Der Marktplatz ist verwaist. Von einer Litfaßsäule hängen alte Plakate in Fetzen herab. Das Rauschen des hundert Meter entfernten Kocher wird vom Motorengeräusch der auf der Landstraße fahrenden Autos geschluckt.

Zum Anglerbrunnen hinab rinnt kein Wasser und die beiden Restaurants am Rande des Platzes, das Petri Heil und das Pizza Kebap-Haus, sind geschlossen. Ein Schild mit einen grünen Kreuz, weist auf einen am Marktplatz angebrachten Defibrillator hin.

Fahrradgang auf Streifzügen

Unter die Geräuschkulisse mischen sich von der Hauptstraße herab dringende Kinderstimmen. Die Arme über die Lenker ihrer Fahrräder gebeugt, stehen Max, David, Xavier und Olli beieinander. Das Quartett hat Pfingstferien und freut sich, dass über Weißbach berichtet wird. "Endlich steht Weißbach mal in der Zeitung", sagt Xavier, der die Nähe des Ortes zur Natur mag. "Die Bergstraße hoch, da kommt ein Wald mit vielen Steinen und Felsen." Schön sei es da oben.

Die vier verbringen viel Zeit draußen, fahren Fahrrad oder spielen Tischtennis. "Nur wenn das Wetter schlecht ist und es regnet, dann wird es etwas langweilig", sagt David.

Seit 15 Jahren lebt Minerva Schulz in Weißbach. Die Ruhe im Ort habe sie lieben gelernt.
Seit 15 Jahren lebt Minerva Schulz in Weißbach. Die Ruhe im Ort habe sie lieben gelernt.  Foto: Daub, Andre

Mit dem Fahrrad unterwegs

Sehr gerne fährt die Clique mit dem Fahrrad zum Aldi nach Forchtenberg. "Da holen wir uns dann was." Xavier hat diesen Ausflug auch schon das ein oder andere Mal mit dem Bus gemacht. "Nun habe ich aber wegen des Corona-Virus Angst um meine Großeltern", erzählt er.

Seit 2017 ist laut Regionalverband Heilbronn-Franken in Weißbach die Sterberate höher als die Geburtenrate. Seit 2014 haben bei zwei Zuzügen 17 Menschen den Ort verlassen. Letztes Jahr pendelten jeden Tag 1191 Menschen nach Weißbach ein, 786 arbeiteten außerorts. Die auf der anderen Kocherseite gelegene Hornschuch-AG garantiert Arbeitsplätze.

Ein schöner Ausblick auf den Ort.
Ein schöner Ausblick auf den Ort.  Foto: Daub, Andre

Den Defibrillator warten

Auf der Kochertalbrücke mit Blick auf die Fabrik steht Bauhofmitarbeiter Jörg Hilligardt und befestigt die Geranien. Unter dem 58-jährigen rauscht der Kocher an Kiesbänken und dem weit im Tal sichtbaren Fabrikschornstein vorbei. Als Bauhofmitarbeiter ist Hilligardt zuständig für die Wartung des Defibrillators. "An einem grünen Pfeil erkennen wir ob er geladen ist", erklärt er.

Fernab vom Strom ragt die Sonne über die Giebel einer Häuserzeile und scheint auf die Tische vor der Speisegaststätte "Bierstube". Dort sitzt Minerva Schulz mit einer Freundin aus dem benachbarten Ingelfingen und entspannt sich. Die 64-Jährige hat noch eine halbe Stunde, bevor sie mit dem Bus nach Künzelsau zur Arbeit fährt.

Seit 15 Jahren lebt Minerva Schulz in Weißbach. Die Ruhe im Ort habe sie lieben gelernt. "Es ist nicht so laut wie in der Stadt", sagt sie. Es gefalle ihr sehr, dass sie die Menschen im Ort vom Sehen her kenne. Die Bierstube besucht sie auch aus Solidarität mit ihrem Bruder. "Er betreibt die Kneipe seit ungefähr zehn Jahren", erzählt sie.

Rustikal, aber gemütlich.
Rustikal, aber gemütlich.  Foto: Daub, Andre

Orchideen am Hang unter Naturschutz 

Am Bett des von Diebach zum Kocher herabströmende Langenbach entlang, führt der Weg steil bergan nach Crispenhofen. Seit 1974 gehört der Ort mit dem Weiler Halberg zu Weißbach. In sanften Kurven steigt die Straße an abgestorbenen Fichten vorbei auf den Teilort zu. In den Talhängen lässt sich bei einem Spaziergang auch die ein oder andere wilde Orchidee entdecken. Die stehen unter Naturschutz und dürfen daher nicht ausgegraben oder gepflückt werden.

An einem kleinen Brunnen in der Ortsmitte spielen zwei Mädchen mit einem Roller. Rege ist der Verkehr auf der vom Brunnen zum Friedhof führenden Brunnengasse. Das Surren einer Kreissäge erfüllt die Luft. Vor einer Scheune steht Daniel Lang. "Wir machen gerade Feuerholz für den Winter", erzählt der 21-jährige. Die Bäume habe seine Familie selbst gefällt "Wir haben noch einige Waldstücke, da meine Großeltern in der Landwirtschaft tätig waren."

Zahl der Landwirte rückläufig

Die Zahl der Landwirte im Ort sei seit Jahren rückläufig, berichten Bärbel und Manfred Egner. Das gelte besonders für die Tierhaltung. Die Egners haben selbst bis vor kurzem noch Schweine gehalten. Aus Kosten- und Gesundheitsgründen mussten sie den Betrieb aber einstellen. "Ich hatte einen Schlaganfall", berichtet Manfred Egner.

Nun betreibe die Familie noch Ackerbau im Nebenerwerb und wird dabei von der EU gefördert. Dafür hielten sich die Egners an Vorgaben zur ökologischen Landwirtschaft. "Auf einem unserer Äcker streuen wir eine Blumenwiese aus", erzählt Bärbel Egner. Daraus ergebe sich in diesem Jahr auch kein wirtschaftlicher Nachteil, da auf dem Acker wegen der Trockenheit keine gute Ernte zu erwarten sei. Manfred Egner fehlt die Tierhaltung: "Ich habe die Schweinchen sehr gern gehabt", sagt er.

Überall findet sich ein grünes Plätzchen.
Überall findet sich ein grünes Plätzchen.  Foto: Daub, Andre

Auch an der Kultur scheint Crispenhofen seine Freude zu haben. In einem kleinen Häuschen, der Bücherstube, reiht sich Buch an Buch. Fein sortiert nach Genre und Fachrichtung. "Die Bücherstube wird von Patinnen betreut, die den Bestand regelmäßig kontrollieren und erneuern", heißt es auf einem Schild. 24 Sunden am Tag, kann kostenlos geschmökert werden. So lässt sich die Fahrt ins Tal zur Bücherei in der Weißbacher Grundschule sparen.

Schwierige medizinische Versorgung

"Ohne Auto ist es hier schwierig", sagt die 64-jährige Angelika Bürgert. Sie befindet sich mit Gerhardt Matter und Katharina Lebsack auf dem Friedhof unterhalb des Crispenhofener Dorfgemeinschaftshauses in der alten Schule. Eine Wiederaufnahme der 1981 stillgelegten Kochertalbahn befürworten die drei. "Dann könnten wir mit der Bahn bis Künzelsau fahren", sagt Bürgert. Entlang der rückgebauten Trasse verläuft nun der Kochertalradweg. "Wir fahren aber beide nicht mehr Fahrrad", sagt Bürgert mit einem lauten Lachen und blickt auf Gerhardt Matter. Der 83-jährige ist in Crispenhofen geboren: "Ich wurde noch von einer Hebamme zur Welt gebracht."

Die medizinische Versorgung stufen beide als schwierig ein. "Vor einem Jahr hat das Krankenhaus in Künzelsau geschlossen", erzählt Matter. Zwar gebe es in Weißbach einen Arzt und in Westernhausen einen Notarzt. Die nächsten Kliniken befänden sich aber in Schwäbisch Hall, Öhringen und Bad Mergentheim.

Katharina Lebsack lebt mit ihrer Familie seit 26 Jahren in Crispenhofen. Die Mutter von elf Kindern kann sich nicht vorstellen, jemals wieder wegzuziehen. Zwei ihrer Söhne leben derzeit in Stuttgart und München. "Beide wollen aber zurück und im Neubaugebiet bauen", erzählt sie erfreut. Nur einer habe bisher allerdings einen der Bauplätze erhalten.

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