Mehr als Schloss: Echt lässig, dieses Neuenstein
Wo man Kurzarbeit entspannt sieht, den Salat noch selbst anbaut und zufällig auf Adel trifft: Die Stadt in Hohenlohe hat neben altem Gemäuer und viel Natur auch menschlich einiges zu bieten.

Da gibt es ein Schloss“, ist das erste was ich über Neuenstein höre, als ich die Stadt zugeteilt bekomme. Als gebürtige Heilbronnerin muss ich mich ständig ermahnen, nicht Neuenstadt zu sagen, denn die Gemeinde in Hohenlohe ist mir komplett fremd. Umso mehr bin ich beeindruckt, als mich das Navi direkt zum Schloss führt: „Was für ein Teil!“ Mit Wassergraben und kleinen Türmchen und allem drum und dran.
Schnell das Auto abgestellt, und nun ist es meine Mission, so viel davon zu sehen, wie möglich. Ich ertappe mich dabei, wie ich mich an Bücher aus der Kindheit erinnere. All die Tagträume von damals scheinen plötzlich sehr lebendig.
Eine mittelalterliche Kühltruhe im hohen Gras
Einmal außen um das Schloss herum, lande ich schließlich im Park unterhalb der Stadtmauer, in dem die Wiesen voll sind von Löwenzahn und Gänseblümchen - ein harter Kontrast zu den sorgsam getrimmten Schlossanlagen. Außer mir ist an diesem Tag nur eine weitere Spaziergängerin im Park unterwegs. Vor 30 Jahren ist sie der Liebe wegen nach Neuenstein gekommen und trägt an diesem Tag ein Oberteil, auf dem die Blumen genau so sprießen wie in der Natur um sie herum. Neuenstein und seine Geschichte kennt sie inzwischen sehr gut. Das Eis aus dem Teich habe man im Winter früher in den Eiskeller gebracht. Zum Kühlen von Lebensmitteln? „Ich weiß nur von Bier.“ Tja, manchmal muss man eben auch Prioritäten setzen.
Ich habe Lust auf eine kleine Entdeckertour und will den sagenumwobenen Eiskeller sehen. So tief, dass unten die Luft knapp wird, soll er sein. Am denkmalgeschützten Schafhaus vorbei, kraxele ich den Hügel hoch. Was ich finde, ist eher unspektakulär. Die bemooste Steinplatte fällt kaum auf im hohen Gras. Darunter soll die mittelalterliche Tiefkühltruhe liegen.
Darüber weist der Turm der Stadtkirche den Weg zurück zur Stadtmauer. Ich passiere das Torhaus. Wo sich früher die heubeladenen Wägen der Bauern durchzwängten, kommt mir heute nur ein Tourist entgegen. Das Smartphone auf eine Halterung montiert, filmt er einen Rundumblick vom Schloss. Welche Bücher er wohl in seiner Kindheit gelesen hat?

Mein erwachsenes Ich braucht einen Kaffee. An Fachwerkhäusern vorbei, mache ich mich auf die Suche nach dem Stadtkern. Das Schuhgeschäft hat schon wieder geöffnet, auch der Florist und die Bäckerei, nur der Gasthof „Zur goldenen Sonne“ bleibt zu. Es werden neue Pächter gesucht, das Wirtshausschild knarzt bedenklich im Wind.Bei der Bäckerei Pfisterer und Oettinger bekomme ich einen Coffee-to-go und auf dem Vorstadtplatz finde ich einen Neuensteiner, der dort die Sonne genießt.
Mehr Wohngebiete um Neuenstein herum
Es entwickelt sich ein Gespräch von Bank zu Bank, 1,5 Meter Mindestabstand. Hans-Jürgen Schaaf arbeitet beim Getriebehersteller Magna, wie so viele Neuensteiner. Schon die fünfte Woche ist er wegen der Corona-Krise in Kurzarbeit, sieht die ganze Angelegenheit aber gelassen: „Könnten auch noch eine oder zwei Wochen mehr sein“.

Nur daheim hält er es nicht mehr aus, da fällt dem 57-Jährigen so langsam die Decke auf den Kopf. Dann lieber spazieren gehen oder auf dem Vorstadtplatz in der Sonne sitzen. Ab und zu kommt einer vorbei, den er kennt. Es ist ruhig hier, nicht nur wegen Corona.
Die Neuensteiner treffen sich in der Pizzeria, im Sportheim oder beim Kebap, weiß Schaaf zu berichten. Das Fest „Frühling im Städtle“ musste dieses Jahr leider ausfallen. In den 30 Jahren, die er hier lebt, habe sich Neuenstein stark vergrößert, es gebe immer mehr Wohngebiete drum herum.
Hier wird der Salat noch selbst gezogen

Weiter geht es für mich in Richtung alter Bahnhof und neue Haltestelle. Ich will mal eben auf die andere Seite gucken, gehe durch die Unterführung und lande schließlich bei Blumen Dietrich in Neuenstein. Erst seit heute ist der Laden wieder geöffnet. Und doch stehen schon einige Kunden davor. Statt Zierpflanzen kaufen sie Salat für den eigenen Garten. Die können das noch hier auf dem Land, Respekt.
Ich schaue etwas bedröppelt auf das neuseeländische Gänseblümchen in meinen Armen und begehe gleich den nächsten Faux-Pas, indem ich Klaus Dietrich einen Gärtner nenne, statt einen Floristen. Eine echte Beleidigung, schließlich ist der 54-Jährige ja fürs Kreative zuständig. Er hofft, dass das Muttertagsgeschäft in diesem Jahr aufgrund des Besuchsverbots nicht ausbleibt. Und der Mindestabstand? „Das kriegen wir schon hin.“
Echt entspannt, diese Neuensteiner. Auf dem Weg zurück zum Schloss komme ich an der alten Apotheke vorbei. Auf dem Balkon vom Haus nebenan ein roter Sonnenschirm, ein Haus weiter das gleiche Modell in Grün. Wenigstens ist der Sommer nicht abgesagt.
Viel cooler als in den Märchenbüchern

Zurück am Schloss, dem Ausgangspunkt, bin ich mir nicht sicher, ob ich Neuenstein vollumfänglich erlebt habe, oder ob es nicht doch noch mehr zu sehen gibt. Ich spreche eine Frau an: blonder Bob, Jogginghose, irgendwie besonders sieht sie aus.
Gemeinsam bewundern wir den imposanten Bau, bestimmt kann man sich da gut verlaufen. „Wir haben echt viel Arbeit damit, dass Schloss instand zu halten.“ Wir? Da habe ich doch tatsächlich eine echte Prinzessin im Homeoffice getroffen. Sie stellt sich vor als Carolin, nennt das Schloss einen „Riesenoschi“ und ist irgendwie viel cooler als die holden Damen in meinen Märchenbüchern.

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