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Leut, lasst uns Theater machen

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Wenn am 19. Juni dieses Jahres die 63. Spielzeit eröffnet wird, dann blicken die Neuenstadter Theatermacher auf viele denkwürdige Inszenierungen zurück. Wie die Stadt zum Sommertheater kam: Eine kleine Chronik der Freilichtspiele.

Von Waltraud Langer

 

Der Gasthof Stern in Neuenstadts Hauptstraße hat eine lange Tradition. Auf alten Fotos baumelt das Gewerbezeichen noch über Kopfsteinpflaster. Im ersten Stock befindet sich bis heute ein Saal, und dort hat nach dem zweiten Weltkrieg alles angefangen: beim alljährlichen Wintertheater vom Liederkranz. Aber wie kamen die theaterbegeisterten Sänger auf die Freilichtbühne im Schlossgraben?

Nach dem verheerenden Bombenangriff im April 1945 lag die Innenstadt zu 80 Prozent in Trümmern. Beim Wiederaufbau sollte der Schlossgraben mit dem Schutt befüllt werden, aber zum Glück kam es nicht dazu. Es waren beherzte Neuenstädter Bürger die in vielen freiwilligen Arbeitsstunden Zuschauerränge in den Schlossgraben schlugen und ein Bühnenrund aufbauten.

Aus einer kleinen Idee wurde etwas Großes

Im Juli 1951 war Neuenstadt Austragungsort eines bedeutenden Sängerfestes. Damit sollte die Feierstätte eingeweiht werden. Die Presse jubilierte: "Die sonnenbestrahlten Straßen der Stadt, die hellen Wände der Neubauten und die schattigen Winkel in der alten Lindenstadt zusammen mit dem Bild vieler, wohl einiger tausend Besucher, ähnelte der Szenerie eines südlichen Volksfestes." Es muss beeindruckend gewesen sein.

Und nun sollte der hergerichtete Schlossgraben wieder sich selbst überlassen bleiben? Günther Schmidt, das letzte noch lebende Gründungsmitglied der Freilichtspiele, erinnert sich: "Nach einem Gastspiel in Lampoldshausen haben wir auf der Heimfahrt herumgesponnen", sagt der 82-Jährige. Das Wintertheater der Sänger hatte bereits einen guten Ruf, warum sollte man nicht auch im Sommer spielen, zumal es ja schon einen Ort gab, wo sich das verwirklichen ließ. Trotzdem: "Nie hätte ich gedacht, dass unsere Idee solche Formen annimmt", sagt Schmidt.

Entscheidend sei 1966 der Kauf des Vereinsheims, eine neben der Freilichtbühne gelegene Arztvilla aus der Jahrhundertwende, gewesen. 70.000 Mark waren aufzubringen. "Da gab es Mitglieder, die dem Verein Kredite gaben oder persönlich bürgten", erzählt Schmidt. Das erste Stück hieß "Es zogen drei Burschen", ein "Laienspiel aus der Biedermeierzeit mit Gesang um Liebe, Lust und ein wenig Leid", wie im Neckar-Echo vom Juli 1958 zu lesen war.

Theatermacher haben sich quer durch die Literatur gespielt

Wenn am 19. Juni dieses Jahres der Bürgermeister die 63. Spielzeit eröffnet, dann blicken die Neuenstädter Theatermacher auf viele denkwürdige Inszenierungen zurück. Stolz sind sie darauf, dass bisher kein Stück zweimal über die Bühne ging. Quer durch die Theaterliteratur hat man sich gespielt vom Volksstück über den Klassiker bis zum Musical und zur Boulevardkomödie.

Eberhard Birn hat Stücke bearbeitet, mehrmals Regie geführt und als Darsteller unter anderem einen unvergesslichen Tevje in "Anatevka" gegeben. Er erinnert sich: "Mein Kollege im Vermessungsamt, Eugen Kress, der damals im Vorstand war, hat mich gefragt, ob ich nicht mitmachen möchte auf der Bühne, man würde Wilhelm Tell spielen und bräuchte noch Leute. Heute weiß ich gar nicht mehr, wen ich gespielt habe, aber seit dieser Zeit im Jahr 1969 bin ich dabei".

Frühzeitig die richtigen Entscheidungen getroffen

Wenn das Familienfest eskaliert: Bei der Premiere vom "Konfirmandefescht" im vergangenen Sommer gab es für die Freilichtspiele Standing Ovations.
Foto: Archiv/Andreas Veigel
Wenn das Familienfest eskaliert: Bei der Premiere vom "Konfirmandefescht" im vergangenen Sommer gab es für die Freilichtspiele Standing Ovations. Foto: Archiv/Andreas Veigel  Foto: Veigel

Wichtig für die Entwicklung der Freilichtspiele findet er die Tatsache, dass man sehr früh professionelle Regisseure mit ins Boot holte, und die engagierte Nachwuchsarbeit. Benjamin Ehnle hat davon profitiert. "Ich war in der Jugendgruppe und als 15-Jähriger zum ersten Mal auf der großen Bühne, da musste ich bei den Weibern von Windsor einen Wäschekorb über die Bühne tragen", so der heute 37-Jährige. Seither hat er viele Rollen gespielt und führte beim diesjährigen Jugendstück Regie.

In den mehr als sechs Jahrzehnten ihres Bestehens haben die Freilichtspiele dank umsichtiger Führungsriegen, die amtierende wird von Andreas Großkopf geleitet, den Theaterbetrieb auch räumlich ausgebaut. Jüngstes Kind ist der neue Theatersaal mit Platz für fast 100 Personen.

Ob auf oder hinter der Bühne, die Freilichtspiele leben vom Ehrenamt und vom Zusammenhalt in der Vereinsfamilie. So feuerte bei der jüngsten Generalversammlung der für den Spielbetrieb zuständige Vorstand, Lars Tönnies, seine Zuhörer an, wie es vermutlich schon die Altvorderen taten: "Leut, lasst uns Theater machen!"

 

Die Freilichtspiele

Die Abteilung des Liederkranzes 1835 wurde von Karl Hübner, Fritz Walter, Ernst Tenscher, Günther Schmidt und Eugen Kreß gegründet. Das erste Stück ging 1958 über die Bühne im Schlossgraben. Heute bietet die Spielstätte 838 Sitzplätze, und die Aufführungen werden alljährlich von rund 20.000 Zuschauern besucht. Neben dem Sommerstück hat sich auch die Junge Kammerbühne im Neubau an der Lindenstraße etabliert.

 

 
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