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Neckarwestheim
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Kleiner ruhiger Ort mit regem Geschäftsleben

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In Neckarwestheim gibt es kreative Geschäfte, die Wert auf die Herkunft ihrer Produkte legen. Begegnungen mit vielen aufgeschlossenen Menschen sind in dem Dorf leicht zu finden.

von Bigna Fink
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Vor dem Rathaus rund um den Vier-Jahreszeiten-Brunnen hat es viel Platz. Wenn nicht Corona-Zeit ist, stehen hier zum Advent Weihnachtsmarktstände und im Sommer Tische vor dem neuen Café Lieblingsplatz. Foto: Mario Berger
Vor dem Rathaus rund um den Vier-Jahreszeiten-Brunnen hat es viel Platz. Wenn nicht Corona-Zeit ist, stehen hier zum Advent Weihnachtsmarktstände und im Sommer Tische vor dem neuen Café Lieblingsplatz. Foto: Mario Berger  Foto: Berger, Mario

Außer den Kirchturmglocken und dem Gurren der Ringeltauben ist an diesem Dienstagvormittag wenig zu hören in Neckarwestheim. An einem alten Brunnen, dem Schafhauser Brunnen, und einem im Jahr 1827 erbauten Backhäusle führt der Spaziergang vorbei. Es wird regelmäßig von den Landfrauen Neckarwestheim geschmückt und ein paar Mal im Jahr von Kindergruppen zum Brotbacken genutzt, wie Waltraud Mahr vom Back-und Knet-Team der Landfrauen erzählt.

Sind das Kamerunschafe? Auf jeden Fall sind diese Neckarwestheimer Bewohner sehr neugierig. Foto: Bigna Fink
Sind das Kamerunschafe? Auf jeden Fall sind diese Neckarwestheimer Bewohner sehr neugierig. Foto: Bigna Fink  Foto: Bigna Fink

Um die Ecke, ebenfalls mitten im Ort, gibt es eine umzäunte Wiese. Fünf braunschwarze Schafe laufen neugierig in Richtung Besucher, die sieben Hühner sind eher gleichgültig.

Das etwa zwei Kilometer entfernte Kernkraftwerk stört die Frühlingsstimmung wenig. Von vielen Stellen der 4000-Einwohner-Gemeinde ist der aufsteigende Wasserdampf zu sehen. Nicht sichtbar ist er am östlichen Rand des Ortes, wo Rieker's Hoflädle bis 12.30 Uhr offen hat, dann ist lange Mittagspause.

"Wir verkaufen je nach Saison eigene Kartoffeln, Äpfel, Zwetschgen oder Herbstkürbisse von unserem Aussiedlerhof", sagt Monika Rieker, die Mutter des Chefs Thomas Rieker. Die 63-Jährige trägt wegen der Corona-Bestimmungen eine rosa gemusterte Stoffmaske.

Monika Rieker arbeitet mehrmals in der Woche im Hofladen ihres Sohnes. Hier gibt es viele regionale und lokale Lebensmittel zu kaufen. Foto: Bigna Fink
Monika Rieker arbeitet mehrmals in der Woche im Hofladen ihres Sohnes. Hier gibt es viele regionale und lokale Lebensmittel zu kaufen. Foto: Bigna Fink  Foto: Bigna Fink

Seit 2005 gibt es das Geschäft, das sich aus einem Selbstbedienungsstand nebenan bei ihrem Elternhaus entwickelt hat. "Wir sind zufrieden", sagt sie über den Erfolg. Das Team legt Wert auf Produkte aus der nahen Region: Erdbeeren aus Kirchheim, Grünspargel aus Lauffen, Rhabarbernektar aus Brackenheim.

Größtes Kartoffelanbaugebiet Baden-Württembergs

Rund 200 Meter weiter, am östlichen Ortsrand, befindet sich das große Betriebsgebäude mit Lagerhalle von Kartoffel Stahl. Dort werden Kartoffeln, Zwiebeln, Schalotten, Knoblauch aufbereitet: nach Größe sortiert, gewaschen und gepackt für Handelsunternehmen und auch für Märkte. "Mein Urgroßvater hat die Firma gegründet", erzählt Jochen Stahl, "und die Ware mit der Kutsche auf den damaligen Großmarkt nach Heilbronn gefahren." Mit seiner Frau Sabine leitet der 43-Jährige das Familienunternehmen mit rund 100 Mitarbeitern. Im Dezember feiert die Firma eigentlich 100-jähriges Bestehen. Das Fest ist wegen der Corona-Krise aber verschoben, Sabine Stahl peilt dafür 2021 an.

Sabine und Jochen Stahl sind Geschäftsführer von Kartoffel Stahl und glücklich im Dorf.
Sabine und Jochen Stahl sind Geschäftsführer von Kartoffel Stahl und glücklich im Dorf.  Foto: Fink, Bigna

Die Frühkartoffeln kommen aus der Region. "Neben Südbaden ist hier das größte Kartoffelanbaugebiet Baden-Württembergs", sagt Jochen Stahl. Seiner Frau, die aus der Bodenseeregion stammt, gefällt das Leben in Neckarwestheim: "Ich mag persönlich die Größe des Ortes sehr", sagt die 41-Jährige. "Es ist hier klein und überschaubar, vieles noch persönlich, und doch gibt es ausreichend Läden und Kindergärten."

Alles für die Kleinsten 

Für die Kleinsten und ihre Eltern gibt es im nordöstlichen Gewerbegebiet seit Dezember 2018 einen ganz besonderen Laden: die Babymajawelt. Aurelia Schenk hatte vor zwölf Jahren, nachdem ihr erstes Kind geboren wurde, einen Onlinehandel rund um Stillkissen, Stoffwindeln und Strampler gegründet. "Ich wollte das anfangs nebenbei machen", erzählt die 38-jährige Mutter dreier Mädchen. Die Idee entstand, weil es in ihrem Heimatland Polen viel mehr Auswahl an Babysachen gibt. Schenks Angebot kam gut an, und sie bekam immer mehr Anfragen von Kundinnen, die die Ware auch vor Ort anschauen wollten.

In der Babymajawelt von Aurelia Schenk finden werdende und junge Eltern einiges rund um Stillkissen, Stoffwindeln und Strampler. Foto: Bigna Fink
In der Babymajawelt von Aurelia Schenk finden werdende und junge Eltern einiges rund um Stillkissen, Stoffwindeln und Strampler. Foto: Bigna Fink  Foto: Bigna Fink

Neben bekannten Herstellern führt Aurelia Schenk eine eigene Marke, die Babymajawelt. Eine Textilfirma in Polen fertigt dafür Kuscheltiere, Babybettwäsche und vieles mehr. Jetzt lässt sie auch Stoffmasken nähen, die stark nachgefragt sind. Mehrere 1000 sind gerade in Bestellung. "In Neckarwestheim fühlen wir uns pudelwohl", sagt die Geschäftsfrau. "Ich finde, für die Familien wird hier sehr viel getan."

"Leute in Neckarwestheim sind wahnsinnig aufgeschlossen"

Kreative Unternehmerinnen finden sich noch mehr. Rebecca Sigl ist in Neckarwestheim aufgewachsen und betreibt nach dem Modedesign-Studium ein Ladengeschäft in der Ortsmitte. In ihrem Sani Designstudio finden Frauen von Größe 36 bis über 56 farbenfrohe Kleidung. Auch gibt es fair gehandelte Teesorten und Schokolade, regionale Spezialitäten wie Heimat-Gin aus Schwaigern und Dekoartikel.

Kunden von weit her kommen zum Sani Designstudio, das von Rebecca Sigl gegründet und geleitet wird. Foto: Bigna Fink
Kunden von weit her kommen zum Sani Designstudio, das von Rebecca Sigl gegründet und geleitet wird. Foto: Bigna Fink  Foto: Fink, Bigna

Für ihre Eigenmarke Sani lässt die 28-Jährige in einer Textilfirma im griechischen Thessaloniki produzieren, zu dem Familienunternehmen fährt sie mehrmals im Jahr: "Wir haben engen Kontakt." Jede Woche frischen neue Teile die Kollektion auf.

"Das Bewusstsein für die Herkunft der Produkte wird größer", stellt Rebecca Sigl fest. Und: "Die Leute in Neckarwestheim sind wahnsinnig aufgeschlossen. Der Laden wird sehr gut angenommen." Vor ihrem Geschäft lädt - wenn nicht Corona-Krise ist - eine liebevoll gemachte Sitzecke mit Gartentisch Kunden zum Kaffeetrinken ein. Ein richtiges Café sei das aber nicht. "Seit 2019 gibt es den Lieblingsplatz, ein neues Café am Marktplatz", empfiehlt Rebecca Sigl.

Martina Kreutzer und ihr Mann gründeten vor zehn Jahren K-Linos, ein kleines Familienunternehmen, das kaltgepresstes Leinöl herstellt. Foto: Bigna Fink
Martina Kreutzer und ihr Mann gründeten vor zehn Jahren K-Linos, ein kleines Familienunternehmen, das kaltgepresstes Leinöl herstellt. Foto: Bigna Fink  Foto: Bigna Fink

Kundin Martina Kreutzer möchte eine Stoffmaske kaufen. Auch sie ist kreativ. Vor zehn Jahren hatte sie die Idee, kaltgepresstes Leinöl herzustellen. Vor fünf Jahren übernahm ihr Sohn, Philipp Kreutzer, die Geschäftsleitung von K-Linos, so der Name der Firma. Ab 5 Uhr täglich fängt die Familie in einem gemieteten Raum in Neckarwestheim an, mit der Schneckenpresse das als sehr gesund geltende Bio-Öl herzustellen.

Hilfe unter Nachbarn

"Wir sind alles Reingeschmeckte", sagt Alexander Wacker (Mitte), obwohl die drei Nachbarn schon Jahrzehnte in Neckarwestheim wohnen.  Foto: Bigna Fink
"Wir sind alles Reingeschmeckte", sagt Alexander Wacker (Mitte), obwohl die drei Nachbarn schon Jahrzehnte in Neckarwestheim wohnen. Foto: Bigna Fink  Foto: Bigna Fink

Gemeinsam Sache machen auch drei Nachbarn in Neckarwestheim. Vor einem Hauseingang stehen die Männer, zwischen 49 und 62 Jahre alt, jeweils etwa drei Meter voneinander entfernt und plaudern miteinander. Alexander Wacker, Michael Kohrt und Georgias Pasmakis treffen sich seit der Corona-Krise mit gebührendem Abstand etwa zweimal die Woche zu einem Schwätzchen und einem Bier.

"Wir leihen uns Werkzeuge aus, helfen uns bei Verschiedenstem, etwa beim Geländer bauen", beschreibt Kohrt ihre Beziehung. Toll seien das Strohhaufenfest oder der Bikerday des Kinderhilfsvereins Neckarwestheim. "Man fühlt sich wohl hier", sagt Pasmakis.


Über die Autorin

Bigna Fink ist Volontärin und hat bei "50 Wochen - 50 Orte" das Los für den Ortsspaziergang in Neckarwestheim gezogen. Dahinter steckt die Idee, einen anderen Blick auf Orte zu bekommen. Zuständig für die Gemeinde ist Claudia Kostner.

 
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