Immer weniger Geschäfte im Fachwerk-Idyll an der Jagst
Die historische Altstadt von Möckmühl ist eine Augenweide. Doch beim Rundgang durch die Gassen erfährt man im Gespräch mit Möckmühlern nicht nur von Licht-, sondern auch von Schattenseiten. Im Herzen der Stadt schwinden Läden und gastliche Stätten zur Einkehr.

Es ist ein grau-trüber Vormittag Anfang März - zwei Wochen, bevor sich die Corona-Krise nach und nach mit drastischen Alltagsbeschränkungen zuspitzen wird -, als ich über die Jagstbrücke auf die Altstadt von Möckmühl zufahre. Außer vor vielen Jahren, als ich eine Freilicht-Aufführung der Jagsttalbühne besucht habe, war ich noch nie in der rund 8800-Einwohner-Stadt an Jagst und Seckach.
Aber ich weiß, dass sie einen historischen Kern mit schönen alten Fachwerkhäusern umgeben von einer Stadtmauer besitzt und hoch über ihr eine Burg thront. Diese Altstadt will ich heute erkunden und dabei mit Menschen ins Gespräch kommen, die dort wohnen und arbeiten. Was passt da besser als ein Donnerstag, wenn Wochenmarkt ist?

Freude an Fachwerk und Natur
Zunächst jedoch begebe ich mich auf Parkplatzsuche. Rasch finde ich einen in der Roigheimer Straße. Ob ich hier wirklich mehrere Stunden stehen darf? Kurzerhand frage ich einen Mann, der mit seinem Hund gerade vorbeikommt. Und schon entwickelt sich ein nettes Gespräch mit einem Möckmühler. "Ich gehe jeden Morgen mit Jessy durchs Jagsttal spazieren", berichtet Rentner Horst Ahnert (66).
Seit 20 Jahren wohnt der gebürtige Erfurter hier. "Wenn man wie ich ein Faible für Holz hat, lebt man in Möckmühl besonders gut." Doch so sehr dem einstigen Baumaschinenfahrer Fachwerk und Natur gefallen, "früher war es gemütlicher und schöner hier", meint er. Es habe mehr Geschäfte und gastliche Stätten gegeben. "Auf der Burg konnte man auf einer Café-Terrasse sitzen und auf Möckmühl gucken." Aber das gebe es schon eine Weile nicht mehr.
Heute sei die Burg in Privatbesitz. "Ich wünsche mir, dass die Innenstadt wieder belebter wird", sagt Ahnert. Und nennt einen weiteren Wermutstropfen: "Es tut sehr weh, dass unser ehemaliges Krankenhaus weg ist." Dann erklärt er mir, wo es Richtung Markt geht.
Über die Autorin
Bettina Hachenberg ist Redakteurin der Hohenloher Zeitung in Öhringen und hat bei der Aktion "50 Wochen - 50 Orte" das Los für den Ortsspaziergang in Möckmühl gezogen. Dahinter steckt die Idee, einen anderen Blick auf die Orte zu bekommen. Zuständig für Möckmühl ist Redakteur Simon Gajer.
Räumungsverkauf nach 70 Jahren
Mein Weg führt am renovierten Hexenturm, einem "ehemaligen Gefängnis", wie auf einem Schild zu lesen ist, vorbei. Seinen Namen hat der Turm mit Verlies an der Stadtmauer erhalten, weil dort 1655 eine als Hexe angeklagte Frau eingesperrt gewesen sein soll. Weiter geht es durch die Mühlgasse und Untere Gasse.
Am Abzweig zur Marktstraße sticht mir an der Fassade des Modehauses Weber ein großes rotes Transparent ins Auge: "Räumungsverkauf wegen Geschäftsaufgabe." Nach 70 Jahren schließt Mode-Weber, wie mir Chefin Nina Burggraf (48), Enkelin des Firmengründers Erwin Weber, berichtet. "Die Einkaufsgewohnheiten haben sich geändert, viele bestellen im Internet", bedauert die Textilbetriebswirtin.
Das Sterben des Einzelhandels in den Innenstädten sei branchenübergreifend. "Wir bauen nach der Schließung um und bieten Übernachtungsmöglichkeiten" erklärt Burggraf, deren Mann Andreas bereits Segway- und Quadtouren anbietet. Im Tourismus sehen die Burggrafs bessere Zukunftsperspektiven.

Begegnung auf dem Wochenmarkt
Von Ingelfingen-Eberstal in seine Heimatstadt Möckmühl zurückgezogen ist Roland Erhardt. Gerade kommt der 54-Jährige mit seinen Einkäufen vom Wochenmarkt zurück. Mit seiner pflegebedürftigen Frau lebt er in der Marktstraße. "Hier braucht man keinen Führerschein, kann alles zu Fuß erledigen." Doch auch er klagt: "Immer mehr Geschäfte geben auf. Früher war hier viel mehr."
Nur wenige Meter weiter am Unteren Marktplatz haben vor der Kulisse des schmucken Fachwerk-Rathauses (erbaut 1589 bis 1592) und der evangelischen Stadtkirche von 1900 die Markthändler ihre Stände aufgebaut: Gemüse, Obst, Salat, Eier, Nudeln, Käse, Fisch, mediterrane Spezialitäten... das Angebot ist verlockend.

Hier treffe ich auf Susanne Domino (50). Bei Marktbeschicker Bernd Rothenbücher aus Neuenstein füllt die Kinderkrankenschwester ihren Korb mit frischem Gemüse. "Ich bin hier aufgewachsen. Das ist meine Heimat. Ich mag die verwinkelten Gassen und das Kleine, Überschaubare", erzählt mir die 50-Jährige. Doch auch sie sagt, dass die Bandbreite an Geschäften früher viel größer gewesen sei. "Es gibt hier zum Beispiel keine Kinderschuhe."

Ehrenamtliches Engegament im "Spendenlädle"
Dann nimmt sie mich mit ums Eck vorbei am Mechita-Brunnen, der sagenumwobenen Gestalt der Ortsgründerin von Möckmühl, zum "Spendenlädle" am Oberen Marktplatz. Es geht zurück auf Kleidersammelaktionen für Flüchtlinge 2015. Daraus entstand die Idee, dass Ehrenamtliche hier gespendete, gut erhaltene Kleidung, Schuhe und Haushaltsartikel zum Wertschätzungspreis anbieten.
Mittwochnachmittags, donnerstagvormittags und einmal im Monat samstags hat das Lädle geöffnet, erklärt Initiatorin Elfriede Liebl (70). Von 1,50 Euro für ein Paar Socken bis 15 Euro für eine Jacke bewegen sich die Preise. "Den Erlös spenden wir an soziale Zwecke in der Region."
Wunsch nach mehr Frequenz
Mich zieht es nun viele Treppenstufen hinauf zur Burg auf den Schlossberg. Es hat begonnen zu regnen, aber das stört mich nicht. Von hier reicht der Blick weit über die Stadt hinweg ins grüne Umland. Ich erfreue mich an prächtigen Fachwerkhäusern wie der Alten Apotheke von 1758. Den Schlossberg wieder hinunter geht es zum Kirchplatz, wo mein Blick auf die schmucke Radlerherberge im Küferhaus von 1700 fällt.

Dann vorbei an weiteren Fachwerkhäusern, von denen manche gerade saniert werden, in die Hauptstraße 2. Hier ist seit 1981 Werkstatt und Laden der beiden Töpfermeister Iris und Andreas Capelle. Drei Standbeine haben sie: Laden, Internet-Shop und Töpfermärkte. Besonders bekannt sind sie für ihre Capelle-Backform. Auch sie wünschen sich für die Altstadt, in der zunehmend auch gastliche Stätten fehlen würden, mehr Frequenz.
Geschäftsinhaber mit Sorgen
An einem Laden komme ich nicht vorbei: Dem i-Tüpfelchen an der Ecke Untere Gasse/Marktstraße. Mehrmals an diesem Tag ist mein Blick schon durch die hübsch dekorierten Schaufenster auf die Gäste gefallen, die dort Kaffee trinken. Im Laden selbst empfängt mich Inhaberin Marlies Hertwig (65). Ob Deko oder Geschenkartikel, Pralinen, Kaffee, Tee, Wellnessprodukte... alles ist individuell und liebevoll gestaltet.

Vor 18 Jahren hat sie ihren Laden eingerichtet. Und vor acht Jahren die richtige Idee gehabt: ihn mit gemütlichen Café-Ecken in Wohnzimmeratmosphäre zu bereichern. "Wir haben viele Stammkunden", erzählt sie. Sabine Schell nickt. Die 50-Jährige ist eine von ihnen. Doch auch Hertwig treibt die Sorge um: Wie geht es weiter mit den Läden in der Altstadt? "Wenn alle hier einkaufen würden, müsste man kein Geschäft zumachen", sind sich die Frauen einig.

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