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"Wenn es gefällt, habe ich etwas falsch gemacht"

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Der Güglinger Bildhauer und Zeichner Gunther Stilling spricht im Interview über seinen Zugang zur Kunst und die Frage, was am Ende bleibt.

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Wie sein Kunstwerk am Ende aussehen wird, sieht Gunther Stilling anfangs nur ungefähr. Was es am Ende leisten muss, um zu bleiben, weiß der 76-jährige Bildhauer aber genau.
Foto: Mario Berger
Wie sein Kunstwerk am Ende aussehen wird, sieht Gunther Stilling anfangs nur ungefähr. Was es am Ende leisten muss, um zu bleiben, weiß der 76-jährige Bildhauer aber genau. Foto: Mario Berger  Foto: Berger, Mario

Bei seinen Arbeiten lässt sich der Güglinger Bildhauer und Zeichner Gunther Stilling am liebsten treiben. Was am Ende dabei herauskommt, kann er anfangs gar nicht sagen. Die bronzenen Werke, die der 76-Jährige in seinen Ateliers in Güglingen und im italienischen Pietrasanta (Toskana) schafft, sollen den Menschen nicht gefallen, sondern sie berühren. Nur wenn ein Kunstwerk merkwürdig erscheint, bleibt es im Gedächtnis, lautet das Credo des Kunstprofessors.

 

Herr Stilling, Sie haben als Künstler zahlreiche Arbeiten geschaffen. Erinnern Sie sich an Ihr Erstlingswerk?

Gunther Stilling: Das kommt darauf an, was man unter einem Erstlingswerk versteht. Ich kann mich erinnern, dass ich als Junge, der noch nicht zur Schule ging, viel gezeichnet habe.

 

Ich meine ab der Zeit, in der Sie sich als Künstler definieren.

Stilling: Ich habe mich immer als Bildhauer aufgefasst. Wobei Zeichnen hierbei ein zentraler Baustein ist. Der Stein oder die Bronze sind nicht geschmeidig. Man kann sie nicht einfach verformen. Man muss sich vorher schon etwas überlegen. Und da ist die Zeichnung für jeden Bildhauer essenziell. Sie ist eine Annäherung an das Werk und eine Gedächtnisstütze. In den ersten Jahren an der Akademie war das Zeichnen nach dem Aktmodell oder dem Gegenstand wichtig. Ich habe alles aufbewahrt, weil mir das sehr wichtig war und immer noch ist.

 

Wie beurteilen Sie diese Erstlingswerke aus heutiger Sicht?

Stilling: Ich habe mir die alten Arbeiten tatsächlich hin und wieder angesehen. Dabei geht es nicht darum, ob ich sie gut oder schlecht finde. Wichtig ist: Sie haben standgehalten. Weil ich schon damals der Sache sehr ernsthaft nachgegangen bin und nicht nach dem Effekt geschaut habe. Ich würde sie gerne einmal ausstellen.

 

Wenn Sie diese Arbeiten nicht ausstellen, was bleibt von ihnen übrig?

Stilling: Ich habe diese Arbeiten für mich gemacht. Ich habe sie einfach gebraucht. Verkaufen kam erst auf, als ich in der Bronzegießerei war. Da musste ich Geld investieren. Und dieses Geld musste ich verdienen.

 

Sie verkaufen Arbeiten. Haben Sie auch eine Richtung, in der Sie unabhängig von Aufträgen gezielt inhaltlich etwas schaffen wollen?

Stilling: Ja und nein. Ich taste mich immer an der Arbeit entlang. Ich weiß anfangs nicht, was am Ende sein wird.

 

Sie haben demnach anfangs keine konkrete Idee, um etwas auszudrücken, sondern begeben sich in einen Prozess, dessen Ende anfangs nicht absehbar ist?

Stilling: Richtig. Es ist mir nicht klar, was als Endresultat herauskommt. Und bin manchmal selbst überrascht. Ich habe auch schon große Güsse am Ende mit der Flex wieder zersägt, weil ich sie nicht mehr mochte.

 

Lassen Sie sich von solchen Gedanken während Ihrer Arbeit leiten?

Stilling: Nein. Es geschieht aus sich heraus. Ich bin eigentlich nur derjenige, der versucht, aus dem Strudel herauszukommen. Ich mache weniger etwas daran gezielt, als dass das, was da ist, mit mir etwas macht. Mein Wunsch ist es, dass am Ende das Werk etwas sagt, von dem ich vorher nichts weiß.

 

Können Sie fassen, was das mit Ihnen macht?

Stilling: Es gibt Dinge, die ich nicht erklären kann. Und die ich auch nicht erklären will. Die mich einfach berühren, die ich aber nicht berühren kann. Die gewissermaßen Besitz von mir ergreifen.

 

Was leitet Sie in diesem Prozess an?

Stilling: Es ist die Neugierde. So wie ich mit dem Fahrrad nach Südfrankreich gefahren bin, als ich noch gar nicht wusste, wo das Mittelmeer ist.

 

Welches ist denn für Sie das Kriterium, ein fertiges Werk als gut zu betrachten oder es wieder zu zerstören?

Stilling: Wenn es anfängt, den Menschen zu gefallen, habe ich etwas falsch gemacht. Es muss sie bewegen. Es muss sie ans Schienbein treten. Das gleiche gilt für mich. Wenn eine Arbeit anfängt, mir zu gefallen, sage ich mir: "Stilling, jetzt pass auf."

 

Warum darf es den Menschen nicht gefallen?

Stilling: (zeigt auf seine Sammlung afrikanischer Skulpturen) Sehen Sie hier irgendeine Figur, die schön ist? Nein. Aber sie sind eindrucksvoll. Ein Kunstwerk zeichnet aus, wenn es einen Menschen bewegt. Wenn es anfängt, Ihnen zu gefallen, haben Sie einen Lutscher.

 

Sie wollen mit Ihrer Arbeit demnach beeindrucken?

Stilling: Richtig. Betrachten Sie die Arbeiten von Hironimus Bosch. Der damalige spanische König hat viele davon gekauft. Deswegen sind heute so viele Bilder von Bosch in Madrid zu sehen. Er wäre sicher auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden, wenn man gewusst hätte, dass er sie gemalt hat. Was ist das? Ich weiß es nicht. Mich faszinieren seine Arbeiten. Nicht nur, weil es obskur und genial gemacht ist. Sondern, weil es bemerkenswert ist. Es ist merkwürdig. Wenn Kunst merkwürdig ist, dann ist sie es wert, sie sich zu merken.

 

Am Ende muss es also merkwürdig sein, damit es bleibt. Ist es nur schön, ist das Werk nur eine Episode.

Stilling: Richtig. Es ist ja mit Menschen genauso. Wenn mich jemand bewegt, wenn mich jemand berührt oder wenn mir jemand weh tut, bleibt er. Wenn ich nur lachen muss, ist es nur ein Witz. Der Dichter Gottfried Benn zum Beispiel hat mich tief bewegt. Von Jugend an. Und er tut es heute noch. Benn gibt mir etwas, was mir Mörike nicht gibt.

 

Aber am Ende hat es vor Ihren eigenen Augen nur Bestand, wenn es bei anderen Menschen Erstaunen auslöst, vielleicht sogar ein Befremden.

Stilling: Ja. Was ich nicht haben möchte, ist, dass jemand gleichgültig bleibt, wenn er das Werk sieht.

 

Ist es aber nicht auch immer eine Frage des Zeitgeistes, was gefällt und was als merkwürdig empfunden wird?

Stilling: Ja, das ist richtig.

 

Es könnte ja sein, dass Generationen nach uns Ihre Werke als schön empfinden und eben nicht als merkwürdig. Was bleibt dann vom Werk übrig?

Stilling: Das ist mir wurst. Ob das nach mir jemand so empfindet, wie ich es empfinde, halte ich für unwesentlich. Meine Mutter hat immer gesagt, sie verstehe nicht, was ich da mache. Aber gleichzeitig meinte sie: "Es wird schon recht sein."

 

Ich kaufe es keinem Künstler ab, dass er nicht Wert darauf legt, wie sein Werk gesehen wird. Zu Lebzeiten und darüber hinaus. Dass man eben etwas Bleibendes schaffen möchte.

Stilling: Es spielt bestimmt eine gewisse Eitelkeit des Künstlers dabei eine Rolle, etwas Besonderes sein zu wollen. Das kann schon sein. Für mich spielt aber das Machen die größte Rolle. Ich möchte es so machen, dass ich das Gefühl habe, ich würde es gerne noch einmal so machen. Das ist, glaube ich, für mich das Entscheidende.

 

Was glauben Sie, was von Ihnen bleibt?

Stilling: Keine Ahnung. Die Wahrscheinlichkeit, dass von mir etwas bleibt, ist sehr gering. Das ist dem Zufall unterlegen. Natürlich, wenn ich vorher wüsste, dass da etwas bliebe, würde ich mich schon sehr freuen. Ich würde alles verschenken. Vielleicht könnte man alles in einem schönen Park unterbringen. So könnte man vielleicht ein bisschen gegensteuern.

 

Dass man vergessen wird?

Stilling: Ja. Vielleicht über eine Stiftung. Aber da braucht man jemanden, der mitmacht. Wenn es so kommt, sage ich Ja.

 

Zur Person

Gunther Stilling ist 1943 in Jugoslawien als jüngstes von fünf Kindern geboren. Seine Familie floh Ende des Zweiten Weltkriegs nach Deutschland. In Bissingen besuchte er die Oberschule und studierte in den 60er Jahren an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart. Seit 1979 hat der Bildhauer eine Professur für plastisches Gestalten an der FH Kaiserslautern. 1992 erhielt er Lehraufträge an den Universitäten Karlsruhe und Brighton. Stilling lebt und arbeitet in Güglingen und Pietrasanta. 

 
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