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Eberstadt
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Mit neuen Nischen auf den Wandel in Eberstadt reagiert

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Ein Stammtisch in der Tankstelle, ein Café in der Ex-Metzgerei: In Eberstadt entsteht nach Schließungen in Einzelhandel und Gastronomie einiges neu. Zugezogene loben besonders die Offenheit der Einheimischen.

von Carsten Friese
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Rentner Dietmar Herbst vor der Figur am Eberbrunnen. "Der Eber gehört zum Ort dazu", sagt der 67-Jährige. Er genießt die Natur rund um den Ort.
Fotos: Carsten Friese
Rentner Dietmar Herbst vor der Figur am Eberbrunnen. "Der Eber gehört zum Ort dazu", sagt der 67-Jährige. Er genießt die Natur rund um den Ort. Fotos: Carsten Friese  Foto: Friese, Carsten

Vom Hügel mit der markanten Ulrichskirche und am schmucken Rathaus vorbei läuft man unweigerlich auf ihn zu: den bronzenen Kraftprotz des Eberbrunnens auf dem Marktplatz. Recht einsam steht die bullige Eberfigur an diesem Montagmorgen da. Im Ort mit den 3127 Einwohnern ist es gegen 10 Uhr relativ ruhig.

Natur um den Ort ist für viele ein großer Pluspunkt

Rentner Dietmar Herbst kommt auf dem Weg zur Bank vorbei. Eine Wildsau als Markenzeichen: Steht man dahinter? Herbst bejaht, der Eber gehöre zu Eberstadt dazu mit den vielen Wäldern außenrum. Er schätzt am Ort das gute Vereinsleben, dass sich fast alle kennen. Die Natur um den Ort sei zum Beispiel für seine Nordic-Walking-Gruppe "ein Genuss".

In jüngerer Zeit gab es schmerzhafte Einschnitte, in Gastronomie und Handel. Metzgerei, Bäckerei, ein Schlecker-Markt im Ort schlossen, Gaststätten ebenfalls. Ohne den neu angesiedelten Netto-Markt am Ortsrand "wäre hier tote Hose. Der Markt war ein Glücksfall für die Eberstädter", findet Herbst. Was er sich wünschen würde? "Eine gescheite Metzgerei."

Blickfang: die Skulptur "Die Badende" mitten im Ort. Ein naher Brunnen komplettiert das Ensemble.
Blickfang: die Skulptur "Die Badende" mitten im Ort. Ein naher Brunnen komplettiert das Ensemble.  Foto: Friese, Carsten

Wer durch den Ort schlendert, dem fallen schmucke Fachwerkhäuser auf, das tolle Anwesen der früheren "Krone", in der seit Ende 2015 kein gastronomisches Herz mehr schlägt. An einer Stelle stolpert man fast über die kuriose Skulptur einer "Badenden".

Pfarrer findet in Eberstadt Gefallen am ländlichen Leben

Eberstadt, Weinort, Wohngemeinde, Standort der Laborgeräte-Firma Hirschmann und umgeben von markanten Höhenzügen wie dem Eberfirst, hat für die Einwohner Pluspunkte im Zusammenhalt und der Offenheit der Menschen. Pfarrer Bernd Burgmaier (57), seit 13 Jahren hier, will auch im Rentenalter im Ort bleiben. "Ich bin hier zur Landpomeranze geworden", sagt er trocken. Er genießt das gute Miteinander in Eberstadt, fühlt sich mit seiner Frau hier wohl.

Viele Kinder hat er in der Ulrichskirche mit dem mächtigen Turm, dem Kreuzgewölbe und der besonderen Orgel mit den Engelsfiguren zuletzt getauft. In eine größere Stadt, sagt er, wolle er wegen der Reizüberflutung nicht mehr zurück.

Neubaugebiet erschließen, ist ein großer Wunsch

Fast jeder dritte Einwohner ist im Sportverein VfL. Für Vereinschef Thomas Dierolf ist das "ein sehr guter Wert". Er schätzt die Ruhe inmitten von Wald und Weinbergen in seinem Ortsteil Lennach. "Das ist Erholung pur." Ur-Eberstädter seien ortstreu und Neubürgern gegenüber aufgeschlossen, bodenständig und ehrlich, findet er. Das Neubaugebiet müsse jetzt aber vorangetrieben werden, ist sein Zukunftswunsch.

Eine Besonderheit: Regelmäßig wird die Tankstelle mit dem Ortspanorama zum Stammtisch-Treff. Betreiber Volker Klemm und Angestellte Cora Kegel freut es.
Eine Besonderheit: Regelmäßig wird die Tankstelle mit dem Ortspanorama zum Stammtisch-Treff. Betreiber Volker Klemm und Angestellte Cora Kegel freut es.  Foto: Friese, Carsten

Wer im Ort nachfragt, findet besondere Nischen-Angebote. Wie die freie Tankstelle von Volker Klemm an der Landstraße Richtung Weinsberg. Hier kommt in die kleine Bistro-Ecke im geräumigen Verkaufsladen regelmäßig ein Stammtisch von ehemaligen Mitarbeitern der Firma Hoerner zusammen; die Gemeinde bringt Senioren mit dem Bürgerbus zum Kaffeeklatsch hierher in die Ecke mit dem großen Panorama-Bild vom Ort.

Vor dem Gebäude steht ein Automat, in dem man abgepackte Wurst und Steaks eines Bretzfelder Metzgers kaufen kann. Betreiber Volker Klemm ist nach drei Jahren zufrieden. Auch nach der Arbeit kämen Gäste im Bistro vorbei, im Sommer gebe es draußen einen Biergarten. "Es ist schon ein Treffpunkt für den Ort."

Ruhiger Wohnort, einen Parkplatz findet man immer

Getränkehändler Thorsten Scharly kennt die Eberstädter gut. Er hat die "Krone" früher beliefert. "Das war bereits ein Traditionsgasthof zu Zeiten, als es noch Pferdekutschen gab." Als einen Höhepunkt im Ort nennt Scharly das Weinfest Anfang Mai. Welchen Wein die Eberstädter am liebsten trinken? Samtrot, sagt Scharly, habe Trollinger-Lemberger inzwischen abgelöst.

Kindergarten, Grundschule, Apotheke, Wochenmarkt gibt es im Ort, Fahrschule und Reisebüro, das Sportheim, den Gasthof Lamm. Ob es für junge Menschen nicht zu ruhig ist? "Viel los ist nicht", sagt Lara Barthau (23). Aber: Sie will nicht in der Stadt wohnen. Man kenne sich gut, finde immer einen Parkplatz. Was sie vermisst: eine Kneipe für Jüngere.

In den Straßen geht es bei unserem Besuch recht ruhig zu. Als Gemeindevollzugsbedienstete Rita Grano im Ortskern unterwegs ist, fällt kein Eberstädter als Parksünder sofort ins Auge. Wie brav die Bürger hier ihr Auto parken? Es gebe immer mal wieder ein schwarzes Schaf, berichtet die Frau in Uniform. Aber: "Es ist alles im grünen Bereich. Wir sind hier auf dem Land."

Stammkunden halten Café-Kleinod in ehemaliger Metzgerei am Leben

Im Café Pause, eröffnet in einer ehemaligen Metzgerei, treffen sich Stammgäste. Die Biene-Maja-Figur bekam Betreiberin Sabine Ilhan (re.) von einer Kundin.
Im Café Pause, eröffnet in einer ehemaligen Metzgerei, treffen sich Stammgäste. Die Biene-Maja-Figur bekam Betreiberin Sabine Ilhan (re.) von einer Kundin.  Foto: Friese, Carsten

Noch so eine Nische: Das Café Pause von Sabine Ilhan am Rathaus. In einer früheren Metzgerei hat sie vor fünf Jahren ein Kleinod aufgebaut, gemütlich, mit Wohnzimmer-Ambiente. Bilder hängen an der Wand, ein Holzboden und ein kleines Sofa verströmen Atmosphäre. Getränke und kleine Speisen, Brötchen, Wurst, warmen Fleischkäse, Salate bietet sie werktags an, auf einem Tisch verkauft sie selbstgestrickte Schals einer fast blinden Frau. Öffnungszeiten hat sie schon gekürzt. "Ohne meine Stammkunden könnte ich nicht überleben", sagt sie. Die genießen die besondere Atmosphäre.

"Ich bin hier im Ort mit offenen Armen empfangen worden", erzählt Achim Tarnowski. Die Eberstädter seien angenehmer als Menschen in umliegenden Orten, verteilt er ein dickes Lob. Was er nicht versteht: Dass die Gemeinde eine neue Eberfirsthalle ohne Küche gebaut hat. Da sollte nachgebessert werden.

Appell, mehr im Ort einzukaufen

Erika Klaffel hat für Gäste einen Tipp: einen Spaziergang zum Eberfist. Die Aussicht sei "romantisch". Am Blick von den Höhenzügen ins Tal kann sich auch Rolf Kästle (79) nicht satt sehen. Was er sich wünschen würde? Ein Lokal, wo man sonntags nach einem Spaziergang durch die Natur einen Kaffee oder Wein trinken kann.

Ende der Hauptstraße: Im Weiler Buchhorn hat man nur noch die Hügel, Wald und Weinberge vor sich.
Ende der Hauptstraße: Im Weiler Buchhorn hat man nur noch die Hügel, Wald und Weinberge vor sich.  Foto: Friese, Carsten

Letzte Station: Das Landtechnik-Geschäft Wieland, wo es neben Weinbergstraktoren, Mulchgeräten, Hochgrasmähern oder Fahrrädern eine Postagentur, Schreibwaren, Spielsachen und viele kleine Geschenkartikel gibt. Ein uriger Querbeet-Laden, in dem auch Bilderrahmen, Tassen, Sparschweine oder Lichterketten in den Regalen liegen. Der Urgroßvater ihres Mannes habe das Geschäft 1889 als Huf- und Wagenschmiede aufgebaut, erzählt Martina Wieland. Die Postagentur sei der Frequenzbringer.

Arzt und Apotheke müssten im Ort auf jeden Fall bleiben, gerade für Ältere, ist ihr Wunsch für die Zukunft. Eine Kundin (55) hat einen Tipp, wie vorhandene Angebote sich halten können. "Die Bürger müssten mehr in Eberstadt einkaufen. Jeder Einzelne kann dazu beitragen."


Fakten und Termine zu Eberstadt

Eberstadt teilt sich auf in die Ortsteile Eberstadt und Hölzern sowie die Weiler Buchhorn, Klingenhof und Lennach. Im Ort leben 3127 Einwohner (Hauptwohnsitz, Stand Ende 2019). Die Ulrichskirche, ein ehemaliges Klostergebäude, das Rathaus und das Alte Schulhaus von 1880 sind besondere Gebäude.

Besonderheit: das Kreuzgewölbe mit Deckenmalereien in der Eberstädter Ulrichskirche (Baujahr 1585).
Besonderheit: das Kreuzgewölbe mit Deckenmalereien in der Eberstädter Ulrichskirche (Baujahr 1585).  Foto: Friese, Carsten

Wichtige Veranstaltungen im Jahr 2020 sind zum Beispiel:

30.1. Marktplatzglühen, 9. bis 11.5. Weinfest Winzer vom Weinsberger Tal, 23./24.5. Gewerbeschau, 25.6./16.7. After-Work-Party Marktplatz, 4./5.7. Seefest, 5. bis 7.9. Wein- und Straßenfest Eberstädter Markt, 20.9. Kultur im Alten Rathaus mit dem Trio Eulenflug, 28./29.11. Dorfweihnacht.

 
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Kommentare

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Irmgard Otter am 15.01.2020 16:03 Uhr

Hallo HerrFriese!
Ein sehr guter Bericht über Eberstadt. Ich selbst wohne seit über 50 Jahren hier und war in diversen ehrenamtlichen Funktionen tätig.
Was wir noch brauchen ist WLAN an diversen Plätzen, z.B. Marktplatz, Eberfirsthalle, im Alten Schulhaus und evtl beim Netto .
Jürgen Otter

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