Brackenheim ist viel mehr als Theodor Heuss und Wein
Brackenheim bietet einen spannenden Mix aus Alt und Neu. Das Zentrum setzt urbane Akzente und besitzt trotzdem dörflichen Charme. Ein Spaziergang.

Wer als Fremder zum Spaziergang nach Brackenheim fährt, hegt vor allem jene vielfach verbreitete Erwartung, dass einem dort der Nachlass des großen Sohnes der Stadt, Ex-Bundespräsident Theodor Heuss, und die geballte Wucht von Württembergs größter Weinbaugemeinde auf Schritt und Tritt begegnen. Wer die Altstadt dann mit geschärftem Blick durchstreift, stellt fest: So furchtbar viel Heuss und viel Wein ist hier gar nicht zugegen.
Natürlich: Es gibt den historischen Rundgang "Auf den Spuren von Theodor Heuss", und das Heuss-Museum nebst der berühmten Bronzestatue. Und selbstverständlich kommt der Gast hier im Zentrum in den Genuss des heimischen Weins, in der "WeinKostBar", zum Beispiel. Aber irgendwie verschieben sich die Schwerpunkte Stunde um Stunde. Und die Erkenntnis reift: Brackenheim und der Wein - das ist vor allem eine Sache der Teilorte. Bekannter Weindörfer wie Neipperg oder Dürrenzimmern, die sich wie ein Kreis um den Hauptort schmiegen. Und Heuss? Lebt vor allem im Geiste dieser Stadt immerfort. Als stolzes Erbe. Aber vor allem als Lockmittel.
Überrascht ist der Betrachter am Ende von der bunten Vielfalt, der intakten Infrastruktur, den kurzen Wegen, dem spannenden Mix aus Alt und Neu, aus Ruhe und Betriebsamkeit, durchaus urbanen Akzenten und dem liebenswert dörflichen Charme in engen Gassen, die so viele hübsche Fachwerkhäuser zieren.
Eine Stadt mit vielen Kreiseln
Rasch spürt man: Brackenheim, das ist eine ziemlich runde Sache. Das fängt schon beim ersten Kreisverkehr innerorts an, der aus Richtung Hausen zu passieren ist. Und in dessen Rund der Leitspruch "Eine Stadt - acht Teile" trefflich symbolisiert ist: mit den acht Wappen, alle in gleicher Größe. Es gibt aber nicht nur viele Kreisverkehre, die etwa die innige Beziehung Brackenheims zu seinen Partnerstädten widerspiegeln. Sondern es macht gleichfalls Sinn, den Stadtkern nicht nur von Nord nach Süd und von Ost nach West zu durchkreuzen, sondern einmal ganz zu umrunden. Und dabei die fließenden Übergänge zu den angrenzenden Quartieren vor Augen zu haben: in Richtung der Schulen und Sportanlagen, der Wohn- und Neubaugebiete, oder des geschlossenen Krankenhauses, das nun durch ein neues Gesundheitszentrum ersetzt wird.

Eine runde Sache: Das ist Brackenheim auch für Monika Rehn. Die 65-Jährige ist vor drei Jahren in den Nachbarort Nordhausen gezogen, fünf Kilometer sind es von dort bis zur Diakonie in der Kirchstraße 10, wo sie Kindern bei der Erledigung ihrer Hausaufgaben hilft. Warum hat sie Heidelberg den Rücken gekehrt? "Weil ich Rentnerin bin und der Liebe wegen", schmunzelt sie. "Ich komme aus der Stadt und genieße das Kleine." Sprich: das Flair, die Übersichtlichkeit, den Erholungsfaktor. "Man kriegt hier unheimlich viel geboten: in den Geschäften genauso wie kulturell", sagt sie. Und: Monika Rehn ist durch ihr Ehrenamt ganz nah dran und "hat den Ort dadurch lieben gelernt".
Ein paar Meter weiter sitzen Wolfgang Klein (61) und Eva Häß (61) vor der Markthalle und lassen sich Zwiebelkuchen und Kaffee schmecken. Sie wohnen in Neckarbischofsheim, stehen mit ihrem Wohnmobil in Güglingen und sind an diesem Tag mit dem Rad nach Brackenheim gefahren. Ein lohnendes Ziel, wie sie finden. Vor allem wegen der "schön instandgesetzten alten Häuser". Es ist in der Tat ein Erlebnis, all die historischen Gebäude in Seelenruhe zu bestaunen und zu studieren. Spezielle Routen weisen den Weg. Genauso vorbildlich sind die erklärenden Schilder. Da steckt Struktur dahinter.
Zwischen Vergangenheit und Zukunft

Augenfällig ist der stete Wechsel von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Besonders schön abzulaufen zwischen Marktstraße und Obertorstraße. Das historische Rathaus mit der hübschen Rokoko-Fassade und der moderne Anbau daneben: Das passt und das hat was. "Gemeinsam für Klimaschutz": Noch so ein Slogan der Stadt. Dass Brackenheim "elektrisiert", verkörpert die E-Ladestation. Und dass man dieses ernste Thema auch humorvoll vermarkten kann, davon zeugt der nahe Fahrradständer, der hier "Klimaschutzumsetzungsgerätefestmachstelle" heißt. Am anderen Ende verweist das Schloss auf die illustre Geschichte Brackenheims, doch es steht zugleich für einen Neubau, um den lange gerungen wurde und der jetzt umgesetzt wird: das Hotelprojekt "Weinzeit".
Sozialprojekt im Alten Dekanat

Diese "Weinerlebniswelt" werde zu einem "neuen Magnet für die Innenstadt", sagt Stephan Weber (59). Der Unternehmer ist "mit Leib und Seele" Brackenheimer, "verbandelt" mit Vielem vom "Kulturforum bis zur Kolpingsfamilie". Und seit drei Jahren mit dem Sozialprojekt "Altes Dekanat - Ein Teil von mir". Das ehrwürdige Gemäuer ist seit März 2018 aufgeblüht: mit einem besonderen Café samt eigener Rösterei. 40 unbegleitete minderjährige Asylbewerber (UMA) haben dort seitdem ein Praktikum absolviert. Eine einmalige Geschichte in der Region. Doch am 31. Dezember 2020 ist Schluss. Die Umsätze reichen nicht, um die Kosten zu decken. Dann kam Corona und gab dem Vorzeigeprojekt den Rest. Wie das Alte Dekanat danach genutzt wird, sei noch "komplett offen". Stadt und Kirche "sehen den Bedarf einer Begegnungsstätte", etwa für "ältere und vereinsamte Menschen". Oder geht es doch weiter mit einer gewerblichen Nutzung? Keiner wisse es. Weber würde sich wünschen, dass ein Folgeprojekt weiter zur "Belebung der Innenstadt" beträgt.
Bewegung in der Gastronomie
In gastronomischer Hinsicht habe sich zuletzt "einiges getan", nennt er spezielle Adressen wie das Eiscafé "Natural Vanilla" oder das Restaurant "Burgermaister Grillamt". Auch andere Läden könnten sich sehen lassen. "Zu uns kommen viele Leute aus Leingarten oder Lauffen zum Einkaufen, die sagen: Bei euch gibt es wenigstens noch gescheite Einzelhandelsgeschäfte." Von allem ein bisschen was - auf überschaubarem Raum: Das gefällt Stephan Weber. Und der Luxus, "auf dem Land zuhause, aber auch ganz schnell in allen relevanten Ballungszentren zu sein".
Am großen Kreisverkehr ist es am quirligsten
Dass neuer Wohnraum in der Brackenheimer Innenstadt ein gefragtes Gut ist, beweist das "Kohl-Carré". Auf dem Bauschild steht: "22 moderne Wohnungen zu vermieten". Regiert in der verschlafenen Rosengasse noch beschauliches Fachwerk, wird es ein paar Meter weiter immer lauter und dominiert eine stattliche Baustelle die Szenerie. Sie passt sich damit der näheren Umgebung sehr gut an. Hier, am großen Kreisverkehr zwischen Volksbank, Tourist-Info Neckar-Zaber und Busbahnhof, ist Brackenheim am quirligsten. Und die breite Heilbronner Straße gleich im Anschluss erscheint mit ihrer kerzengeraden Führung und den ansehnlichen Neubauten am städtischsten. Spätestens jetzt wird klar: Brackenheim hat auf wenig Fläche sehr viel zu bieten.
Das sieht Peter Däuber (57) aus Bönnigheim genauso. Er arbeitet in Schluchtern und lässt es sich nicht nehmen, auf dem Heimweg "mindestens zweimal in der Woche" einen Zwischenstopp einzulegen. Meist schleckt er dann vor dem "Natural Vanilla" ein Eis - "weil es hier so gemütlich ist und am besten schmeckt". Und wo ist der schönste Platz, um der Altstadt mal kurz den Rücken zu kehren und den Spaziergang in der Natur fortzusetzen? Rathaus-Mitarbeiterin Martina Schmidhuber empfiehlt: "Fahren Sie auf den Zweifelberg." Gesagt, getan. Und so wird die erste Erwartung an das vielgepriesene Weinparadies am Ende doch noch vollauf bestätigt.
Über den Autor
Ralf Reichert ist seit Herbst 2006 Redaktionsleiter der Hohenloher Zeitung. Er hat bei der Aktion "50 Wochen - 50 Orte" das Los für Brackenheim gezogen. Hintergrund ist die Idee, einen anderen Blick auf den Ort zu werfen. Zuständig für Brackenheim ist der Redakteur Wolfgang Müller.