Die kleine Schwester vom großen Kocher
Auf dem Radweg entlang der Brettach über Neudeck, Langenbeutingen und Langenbrettach bis nach Neuenstadt

Grau ist die Brettach. Von Erde und Mineralien, die der Regen in sie gespült hat. Wie Wolken aus Milch quellen Schwebstoffe nach oben und sinken rasch wieder hinab ins Trübe. Das Wasser hat keine Ruhe. Dabei strömt der Fluss von weitem betrachtet unaufgeregt dahin. Nur das Rimmlingsbächle spurtet schnell von rechts heran − gerade noch rechtzeitig, bevor die Brettach in einer weiten Linkskurve Hohenlohe verlässt und das Heilbronner Land erreicht.
Der Kocher ist das Ziel, von Wasser und Radweg. Der begleitet den Fluss schon einige Kilometer lang, seit Geddelsbach, am anderen Ende des Brettachtals. Es ist eine stille Weise, sich mit dem Wasser Neuenstadt zu nähern. Meist abseits der großen Straßen und mit ungewohnten Ansichten auf die Orte entlang des Weges. Denn die Brettach folgt ihrem eigenen Lauf, und auch als ihr Begleiter treibt man entspannt dahin, im eigenen Fahrwasser, fast ein wenig zeitvergessen.
Zu schön ist es auch, durch die erwachte Natur zu fahren, die im Hier und Jetzt des beginnenden Frühlings schlicht und einfach das Leben lebt. Aus den hohen Eschen im Wald rechts zwitschert und piept es. Und auch aus dem Dickicht des Ufersaums, den Sträuchern und Bäumen pfeift und tiriliert das Vogelvolk, findet sich zu Paaren, baut Nester für die künftige Familie. Es regiert: der pure Optimismus, konsequent allen Ungewissheiten trotzend, die die Zukunft bereithält.
Wie anders ist doch der Mensch. Ängstlich, den Kopf voll mit mal großen, mal kleinen Sorgen. Dem Augenblick immer einen Schritt voraus.

Doch der Fahrtwind macht den Kopf frei, die Augen weit, die Ohren auf. Ein Rauschen kündigt Neudeck an. Den Hügel hinauf ziehen sich die Menschennester. Doch die Brettach interessiert sich nicht für sie, dreht nach rechts, verschwindet in einem breiten Streifen aus saftigen Futterwiesen. Lila, gelbe und weiße Blütenköpfe recken sich durch dicke Grasbüschel. Allein die Insekten sind, so früh im Jahr, noch rar.
So geht es nach Langenbeutingen. Ein Schild weist auf den Dorfladen mit Café im Ortsinneren hin. Genossenschaftlich betrieben, feiert er 2024 zehnten Geburtstag. Ein Erfolg für die Menschen, die damit ihrem Zuhause seine Seele erhalten.
Der Radweg biegt in entgegengesetzter Richtung ab. Führt zwischen Neudeck, Streuobstwiesen und Pferdekoppeln auf der einen, der Brettach, Futterwiesen und Langenbeutingen auf der anderen Seite zum ehemaligen Freibad, wo nach dem Abriss eine Kindertagesstätte mit Familienzentrum entstanden ist.
Den Ort im Rücken ändert sich das Tal, wird weit, zur offenen Fläche, darin: zahlreiche Äcker. Auf manchem Feld sprießt es schon grün. Andere liegen noch aufgerissen in wuchtigen braunen Schollen brach. Der Weg steigt an, gibt Sicht auf Wiesen und Obstbaumanlagen. Tief unterhalb schließlich: die Sportplätze von Brettach. Apropos: Wo ist die eigentlich?
Es dauert ein wenig, bis auf kurvigen Pfaden, kreuz und quer zur Hauptstraße, ein Rauschen klingt. Und wie schön ist das Wiedersehen mit dem Wasser: am Kulturdenkmal Brettacher Mühle, mit Sitzgelegenheit in der lauen Frühlingssonne. In wenigen Wochen wird sie vielleicht schon zu kräftig dafür sein. Nichts steht sill. Das Wasser macht es vor. Weiter also.
Das letzte Stück bis Neuenstadt folgt versetzt der Verkehrsachse nach Öhringen. Dort ragen Produktions- und Lagerhallen bollig in den Nachmittagshimmel. Fast hätte man"s vergessen − das Hektische, das Laute des Alltags. Doch der Radweg umkurvt auch sie. Schleicht stattdessen still und leise vorbei an Kita, Sportanlagen, dem Vereinsheim des TSV, aus dem es nach Pizza duftet, Schulen, noch einer Kita und dem Spielplatz im Park am Mühlweg. Nicht nur in den Vogelnestern am Fluss, auch die Menschen kümmern sich also um den Nachwuchs.
Und dann, unvermittelt, unter Brücken versteckt und inmitten vom Getöse der Straßen, findet die Brettach ihren großen Bruder, den Kocher. Ganz still und leise reichen sie sich die Hände, und ziehen fortan gemeinsam weiter, immer weiter.