Von Zimmer zu Zimmer im Pflegestift
Im Dr. Carl-Möricke-Stift ist nie Feierabend: Nachts kümmert sich Pflegefachkraft Johanna John um das Wohl der Bewohner.

Aus der Hosentasche von Johanna John piept es. Ein eindringlicher Ton, der die Stille bricht. Die Frau nimmt ein Telefon in die Hand, schaut darauf. "Ich muss!", sagt sie und geht raus in den Flur. John ist Pflegefachkraft im Dr. Carl-Möricke-Stift. Sie arbeitet im Nachtdienst und kümmert sich von 21 bis 6.45 Uhr um die Bewohner des Heims. Auch eine weitere Pflegekraft arbeitet nachts.
Fast alle Türen in dem hellen Flur sind geschlossen. "Manche schlafen aber mit offener Tür", erzählt John, "das gibt ihnen etwas Sicherheit." Mit schnellen Schritten geht sie zu einer Tür, an der ein rotes Licht leuchtet. Sie drückt den Griff nach unten: "Kuck, kuck", schaut sie ins Zimmer hinein. Eine Frau hat den Alarmknopf gedrückt, um auf die Toilette zu gehen. John hilft ihr, bringt ihr auch frisches Wasser. "Gute Nacht dann, es gibt ja noch ein bisschen Schlaf, gell?", sagt sie. "Ja noch ein bisschen, danke schön", antwortet die Frau mit leiser, gebrechlicher Stimme.
Notfälle und Dokumentation
Es sind Fälle wie diese, die die Pflegefachkraft in der Nacht beschäftigen. Was sich hinter jedem Licht verbirgt, erfährt sie erst, wenn sie das Zimmer betritt. Alles muss sie protokollieren, jeden Anruf, jeden Alarm, jeden Notfall, jeden Sturz. "Zu 100 Prozent, sogar 110 Prozent, kann ich sagen, dass keine Nacht wie die andere ist", sagt die gebürtige Polin, die in Hardthausen lebt.
Während ihrer Schicht macht sie drei Kontrollgänge. Jetzt um 2.30 Uhr hat sie schon zwei hinter sich. "Ich gehe in jedes Zimmer", erzählt sie. Die Kontrollen seien wichtig, denn es kann immer passieren, dass jemand stürzt, aber es nicht mehr schafft, den Alarm zu aktivieren. Bei manchen Menschen, die dazu neigen, oft aufzustehen, sind Bewegungsmelder im Zimmer angebracht. Da bekommt John ein Extra-Alarm-Signal auf ihrem Display angezeigt. "Ein Bewohner ist zum Beispiel heute Nacht schon fünf Mal aufgestanden", sagt die Pflegerin. Andere können nicht schlafen und möchten einfach ein wenig reden. Kontrolle, Dokumentation, immer wieder alles liegen und stehen lassen und losgehen, wenn es piept. Nachtdienst bedeutet nicht, einfach Wache zu halten.
Emotionaler Moment
Im Flur ist es ruhig, man hört Schnarchen, in manchen Zimmern läuft noch der Fernseher. "Das ändert sich beim dritten Kontrollgang", sagt Johanna John, "Hallo! Guten Morgen! Um vier Uhr wachen die ersten schon auf."
Seit 28 Jahren arbeitet sie im Dr. Carl-Möricke-Stift, seit sechs ausschließlich nachts. In ihrem Gesicht ist aber keine Spur der Müdigkeit zu sehen, ihre Art ist resolut, aber auch gefühlvoll, wenn es um die Bewohner geht. In all den Jahren hat sie vieles erlebt. Ein Sterbefall hat sie besonders berührt. "Wir wussten, dass es für diese Bewohnerin Zeit war, zu gehen." John erzählt, dass man es sieht, wenn jemand nah am Tod steht. Da sie einen Kontrollgang zu Ende machen musste, hat sie den Moment verpasst. "Ich konnte mich nicht verabschieden, es war zu spät, als ich in ihr Zimmer kam", sagt sie.

Herausforderungen in der Pflege: Gleichgewicht zwischen Menschen und Büroarbeit
In einem Arbeitszimmer gibt es einen Schreibtisch mit PC, viele Ordner sind aneinandergereiht, Formulare liegen in Fächern. Die Bürokratie beschäftigt die Pflegefachkraft sehr. "Früher war es weniger", sagt sie. "Es ist schwierig, ein Gleichgewicht zwischen Menschen und Büroarbeit zu finden", bedauert sie. "Aber trotzdem: Es sind meine Leute, für mich ist der Mensch das Wichtigste." Wie in einem Zopf versuche sie, alle Aspekte miteinander zu verflechten.
Diese Hingabe hat John schon früh entdeckt. Als sie 14 Jahre alt war, hatte ihre Großmutter mit 70 einen Sturz erlitten, der Oberschenkel war gebrochen. Wegen ihrer Krankengeschichte konnte sie nicht operiert werden und musste im Bett bleiben. "Für mich war es dann natürlich, dass wir uns um Oma kümmern", sagt sie, "wir waren immer bereit". Lächelnd erzählt sie, wie die Großmutter immer gewunken hat, als sie von der Schule nach Hause kam.
Erst Dreh-Fräsmaschinen, dann in die Pflege
"Für mich war Pflege nie ein Fremdwort", resümiert sie - obwohl sie erstmal eine ganz andere Richtung eingeschlagen hat. "Ich habe Dreh-Fräsmaschinen repariert." Den Wechsel bereut sie keine Sekunde. "Man lebt hier wie eine Familie, man erlebt alles". Das Lachen, das Weinen, den Austausch, das alles sei für sie mit nichts zu vergleichen.
Pflegefachkraft zu sein, sei ein harter Job. Körperlich geht es an die Substanz. Mental sei herausfordernd, dass die Fachkräfte immer wieder versuchten, Zeit zu haben, wenn es eigentlich keine gibt. Fast zwölf Jahre muss Johanna John noch arbeiten, bevor sie in Rente geht. "Wenn die Gesundheit mir es erlaubt, will ich bis dahin hier weiterarbeiten." John sagt es und seufzt. "Mir gefällt es, ich freue mich immer darauf."
Dann geht es wieder los. Bewegungsmelder. John steht auf, macht sich auf den Weg zu einem Zimmer. Hier schlägt der Pieper den Takt der Nacht.