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Dichterspuren in der Dunkelheit

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Eduard Mörike widmete der Geisterstunde ein Gedicht und wirkte in Cleversulzbach als Pfarrer und Poet. Ein Spaziergang um Mitternacht.

Von Barbara Cunietti
 Foto: nicht angegeben

Verschleiert hinter Wolkenfetzen kämpft sich der Mond hervor. Die Luft ist klar, der Asphalt glänzt vom Regen des Tages. Es ist still in Cleversulzbach um Mitternacht. "Gelassen stieg die Nacht ans Land, lehnt träumend an der Berge Wand", schrieb Eduard Mörike in dem Gedicht "Um Mitternacht" im Jahr 1828.

Mörike, der einmal hier durch diese Straßen ging. Mörike, einer der bedeutendsten deutschsprachigen Lyriker des 19. Jahrhunderts, "vielleicht der feinste Lyriker der Gegenwart" schrieb sein Freund und Arzt Justinus Kerner. Wenn er der Nacht Gedichte gewidmet hatte, dann geht es nun auf seinen Spuren in dieser besonderen Zeit des Tages.

Ein Museum für den Dichter

1804 in Ludwigsburg geboren, zieht Mörike am 3. Juli 1834 mit Mutter und Schwester als Pfarrer in Cleversulzbach ein. Doch das häufige Predigen gilt ihm eher als Last. Lieber liegt er im Gras, sinniert im Pfarrgarten und gibt seine Gedanken und Eindrücke im literarischen Werk zurück.

"Mörike war ein Stück weit ein Lebenskünstler", sagt Werner Uhlmann. Der 77-Jährige ist der Initiator des Mörike-Museums in dem Neuenstadter Ortsteil und langjähriger erster Vorsitzender des Freundeskreises des Museums. Seine Verbundenheit mit dem Dichter stammt aus der Kindheit - dank einer Lehrerin, die Mörike besonders liebte und dank seiner Mutter, die oft das Gebet "Herr, schicke was du willst" sprach. Er ist die Seele und das Gedächtnis im Alten Schulhaus, in dem einst Mörike Religions- und Konfirmandenunterricht hielt und das nun eine moderne Gedenkstätte für den Dichter ist.

Aus Mörike-Stube wird literarisches Gasthaus

"Manche würden sagen, ohne mich gäbe es das Museum nicht", erzählt Uhlmann. Er steht im Eingangsbereich neben einer Tafel, die die Geschichte der Einrichtung erläutert. Alles begann in einem Gasthaus, dem "Adler". Dort kehrte gerne Klara ein, die Schwester Mörikes, die nach dessen Tod in das Mörickestift in Neuenstadt kam. "Doch sie hatte nicht viel", erzählt Uhlmann. Sie bezahlte ihre Rechnungen bei der Wirtin Margarete Seebold mit Stücken aus dem Fundus der Familie. Seebold, die laut Uhlmann für Mörike gelebt hatte, sammelte das alles.

1918 wurde dann die Mörike-Stube eröffnet, aus der sich in den 50er-Jahren ein literarisches Gasthaus entwickelte, in dem man inmitten der Erinnerungsstücke saß. Nachdem die Wirtin 1994 starb, bemühten sich Uhlmann und weitere Mörikefreunde darum, die Sammlung zu erhalten. Nach einigen Absagen bekam Uhlmann einen Zuschuss und 1996 konnte das Museum im Alten Schulhaus neben der St. Jost-Kirche eröffnen. Deren altem Turmhahn, den Mörike bei einem Schmied fand und zu sich nahm, widmete Mörike eines seiner berühmtesten Gedichte, die Heimat-Idylle "Der alte Turmhahn".

Im Pfarrhaus spukt es

Von der Kirche brechen die Glocken die Stille. Nur wenige Lichter brennen in den Häusern. Uhlmann geht die Treppe hinunter zur Straße, biegt rechts ab. An der Eberstädter Straße steht wenige Meter weiter ein unscheinbares Haus. Die Außenwände weiß, die Fenster dunkel. "Das war das Gasthaus ,Zum Löwen'", erzählt er, dort war Mörike gerne Gast bei Kaffeerunden. Eine Stele erinnert daran. So eine steht auch die Straße weiter beim Haus der Familie Herrmann.

Mörike war mit dem Metzgermeister Georg Balthasar Herrmann befreundet. "Wenn der Dichter mit seiner Familie das Pfarrhaus für ein paar Tage verließ, dann hatte er geschaut, dass jemand dort wohnte", erklärt Uhlmann. Doch es waren keine erholsamen Nächte in dem Haus. Einmal schlief der Metzger im Bett, als "er fühlte, wie etwas sein Bein berührte, so rau wie Baumrinde", erzählt Uhlmann. "Keine Minute bleibe ich noch in diesem Haus!", mimt der ehemalige Ortsvorsteher im Straßenlaternenlicht Herrmann nach.

Wie der Spuk in Erscheinung tritt

Im Pfarrhaus war ein Spuk. Mörike selbst soll von der "grauenhaften Empfindung" geweckt worden sein, "als legte sich ein fremder, harter Körper in meine Hüfte auf die bloße Haut". So beschreibt der Dichter die merkwürdigen Erscheinungen, die später als "Der Spuk im Pfarrhaus zu Cleversulzbach" von Mörikes Freund Kerner veröffentlicht wurden. Klopfen, ein weißer Schein, eine purpurrote Helle: 1834 soll ein besonders spukreiches Jahr gewesen sein. Aber es endete damals nicht: "Wir hatten eine Pfarrerin in den 80er Jahren, die sagte: ,Im Pfarrhaus ist was.'", so Uhlmann. Aus einem Schrank sei ein intensiver, angenehmer Geruch geströmt. Die heutigen Bewohner hätten bisher aber nichts gemerkt, sagt Uhlmann.

Doch Mörike zeichnete nicht nur die Erscheinungen im Pfarrhaus auf. "Von dort beobachtete er ein Storchennest auf dem Dach der Scheune hier gegenüber", zeigt Uhlmann eine Stelle, an der nun eine Baulücke ist. "Er notierte, wann die Störche gekommen sind, wer brütete und ob Herr Storch beim Füttern mitgeholfen hat", sagt Uhlmann zum Storchentagebuch des Dichterpfarrers.

Die Grabstätte der Mütter

Nun weiter, die Neuenstädter Straße entlang. "O holde Nacht, du gehst mit leisem Tritt, auf schwarzem Samt, der nur am Tage grünet", schrieb Mörike im "Gesang zu zweien in der Nacht". Zu zweit im schwarzen Samt der Erde liegen auf dem Friedhof die Mütter von Mörike und Friedrich Schiller. Letztere starb 1802 im Pfarrhaus, nachdem sie krank dort zu ihrer Tochter eingezogen war. Diese hatte den damaligen Pfarrer geheiratet. Uhlmann öffnet das Tor und geht zwischen Gräbern und Urnenfeld. Auf der rechten Seite wacht einsam eine Linde über zwei von Schmiedeeisen umzäunte Steinkreuze und eine Stele - die Grabstätte von Elisabeth Dorothea Schiller und Charlotte Dorothea Mörike.

Die Ruhestätte von Schillers Mutter war verwahrlost, als Mörike sie 1834 entdeckte. Er ließ sie wieder herrichten. 1837 stellte er ein Kreuz auf und meißelte selbst die Inschrift "Schillers Mutter" ein. "Das sei mir so gut gelungen, dass sich jeder Steinmetz darum rühmen würde", zitiert Uhlmann aus einem Brief des Dichters. 1841 starb Mörikes Mutter, "das war die hohe Zeit von Schiller und man würde sagen, Mörike sei großwahnsinnig gewesen", sagt Uhlmann, denn der Dichter ließ seine Mutter neben der von Schiller begraben. "Das ist einmalig", sagt der ehemalige Ortsvorsteher.

Immer noch hat der Mond es nicht geschafft, aus den Wolken heraus zu strahlen. Werner Uhlmann verlässt die Grabstellen, schließt das Tor hinter sich. Der Friedhof liegt im Dunkeln. Das Dorf ist still. Doch viele Geschichten liegen in der Luft, "Sie singen der Mutter, der Nacht, ins Ohr, vom Tage, vom heute gewesenen Tage."

 
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