Apotheken-Notdienst: Seelentröster zu später Stunde
Beim Notdienst in der Medikün-Apotheke gibt Julian Bockmann 24 Stunden lang dringende Arzneimittel aus.

Nur einzelne Autos sind um kurz vor ein Uhr auf den Straßen. Von vorweihnachtlicher Hektik ist nichts mehr zu spüren. Entlang der Künzelsauer Hauptstraße blinkt der Weihnachtsschmuck, eine Straße weiter wird auch das weniger. Ein auffälliges Licht durchbricht die Dunkelheit. In den Innenräumen der Medikün-Apotheke ist gefühlt Tag. Die Schiebetüre öffnet sich und Julian Bockmann kommt ziemlich ausgeschlafen zwischen den Regalen hervor.
"Um diese Zeit ist es meistens recht ruhig, da kann es schon auch mal sein, dass ich mich hinlege", erklärt der Inhaber der Künzelsauer Medikün-Apotheke. Ein Notdienst dauert einen ganzen Tag, von 8.30 Uhr bis zur selben Zeit am nächsten Tag. "Tagsüber sind natürlich auch meine Kollegen da, da hat man schon Zeit, sich einmal auszuruhen", erklärt der 33-Jährige. Ein paar Leute seien in den frühen Abendstunden schon da gewesen, fasst er zusammen. "Solange die Leute wach sind, so bis 23 oder 24 Uhr, ist schon was los, aber es ist alles machbar." Auch seitdem es das Krankenhaus nicht mehr gebe, sei es deutlich ruhiger.
Alles rund um Husten und Schmerzen
Was Menschen nachts in die Apotheke bringt, ist stark von der Jahreszeit abhängig. Derzeit hoch im Kurs steht alles rund ums Thema Husten und Schmerztabletten. Eine bestimmte Kundenschicht kann man nicht ausmachen. Genervt von Lapalien, die ihn nachts unter Umständen auch mal aus den Träumen reißen, ist er nicht. "Notfälle sind subjektiv", meint er. Große Diskussionen muss er nicht führen. Die meisten wollen schnell nach Hause. Natürlich komme es besonders am Wochenende auch mal zu Gesprächen über "diskrete Themen, aber dafür sind wir doch da". Auch peinlich müsse nichts ein. "Manche denken, wir würden uns hinterher über einige Themen lustig machen oder es peinlich finden, dabei habe ich das dann oft schon vergessen, es gehört halt zu meinem Job."
Notfallsortiment muss vorhanden sein
Laut Betriebsverordnung muss eine gewisse Auflage eines Notfallsortiments immer auf Vorrat sein. Dazu gehören starke Schmerzmittel, Cortison und Mittel bei einem allergischen Schock oder Kohle bei Vergiftungen. Die Bedürfnisse hätten sich in den vergangenen zehn Jahren nicht verändert. Im Sommer seien es oft Mittel gegen Verbrennungen, die nachts geholt werden. "Der Klassiker ist auch, dass Leute oft anrufen, ob man wirklich Notdienst hat, dann wird man halt zwei Mal geweckt", sagt er lachend. Auch viele Eltern suchen nachts Hilfe in der Apotheke, gerade weil derzeit viele akut vor allem unter Husten und Schmerzen leiden. Im Gegensatz zum vergangenen Jahr gibt es auch wieder genug Schmerz- und Fiebermittel. Bei Antibiotika gibt es indes vereinzelt Probleme. Klar, ein bisschen Seelentröster sei man nachts, auch das gehört zum Job, meint Bockmann. Ebenso klemmt er sich nachts ans Telefon, um Rücksprache mit einem Arzt zu halten, etwa wenn jemand ein Medikament aus dem Krankenhaus bekommen hat.
Langweilig wird dem Apotheker, der schon an verschiedenen Stellen wie auch in Ulm - "da gab es nachts wenig bis gar keinen Schlaf" - gearbeitet hat, dennoch nicht. "Ich nutze die Abendstunden ganz gerne, um das aufzuarbeiten, was eben über den Tag so liegengeblieben ist." Anschließend bleibt etwas Zeit zum Schlafen. Er öffnet einen länglichen Schrank mitten im Büro und klappt ein gemütliches Bett herunter. Für ein paar Stunden Schlaf ist es ideal. Der Vater zweier Kinder ist genügsam. Nachtschichten etwa alle 13 Tage gehören eben dazu im ländlichen Bereich, sagt er um zuckt gelassen mit den Schultern. Privat sei er allerdings eher ein Morgenmensch. Die Medikün-Apotheke hat er zusammen mit seiner Frau im Oktober des Jahres 2019 übernommen.
Auch eine schnelle Einschätzung von Befindlichkeiten gehört zu den Aufgaben nebenher, die der erfahrende Fachmann beim kurzen Blick aus dem Notfallfenster nebenbei erledigt. Man verschaffe sich einen kurzen Überblick über das Erscheinungsbild, stellt ein oder zwei Fragen. Manchmal könne es sein, dass man Leute direkt ins Krankenhaus schickt. "Natürlich hat man auch eine gewisse Verantwortung", betont Bockmann, "das ist ja auch das Schöne an dem Beruf."