Auf Schloß Stetten: Zur Geisterstunde zwischen alten Büchern
Nachts, wenn es draußen ruhig ist, schreibt der frühere Bundestagsabgeordnete Wolfgang von Stetten seine eigenen Werke. Ein Blick hinter das dicke Holztor.
Hinter vielen Fenstern der teils sehr alten Häuser auf Schloß Stetten brennt noch Licht, so kurz vor Mitternacht. Vereinzelt flimmern zu später Stunde noch Fernseher. Fast überall leuchten weihnachtliche Lichterketten. Das Torhaus ist schön damit geschmückt. Durch das geht es zu dem Teil der Burg, in dem Wolfgang von Stetten mit seiner Familie lebt. Links und rechts des Torbogens leuchten nostalgischen Lampen. Der von Fachwerkmauern umgebene Innenhof erinnert an die Playmobil-Burg auf dem Dachboden. Ein Marder huscht vorbei, aufgeschreckt vom nächtlichen Besuch.
Beeindruckend
Wolfgang von Stetten öffnet die Tür. Es geht direkt in die große Bibliothek. 20 000 Bücher sind hier alphabetisch geordnet. Beeindruckend. Ein Raum reicht nicht aus. Biografien von Nelson Mandela oder Angela Merkel stehen im Regal, aber auch viele Bücher von Hermann Lenz, einem Sohn der Kocherstadt Künzelsau.
Wolfgang von Stetten nimmt hinter dem großen, schweren Schreibtisch Platz. Vor sich eines der vielen Bücher, die er selbst geschrieben hat. Nacht, wenn es ruhig wird in der Burg. 300 Senioren leben zwischenzeitlich auf Schloß Stetten, erzählt er beiläufig. "Da ist immer etwas los." Er bekommt es hautnah mit, schon immer und noch immer. Wie zu seinen aktiven Zeiten - er hat als Landwirt, Richter, Professor, Bundestagsabgeordneter und Unternehmer gearbeitet - gestaltet er seinen Tag mit Disziplin. "Ich kann spät ins Bett und früh raus", sagt Wolfgang von Stetten und berichtet, wie er jeden Morgen so gegen sechs Uhr seine Bahnen im Hallenbad zieht, dann zum Frühstück und ins Büro geht. So bis sechs, sieben am Abend, Immer, auch jetzt noch. "Nur der Mittagsschlaf, den ich schon immer gemacht habe, dauert heute nicht nur 20, sondern auch mal 45 Minuten", sagt er mit einem Schmunzeln. Und heute wie früher sind ihm die Nächte die liebste Zeit zum Schreiben. Da drängt kein Tagesgeschäft, kein Telefon, kein Besucher.
Erinnerungen
Während er blättert, erinnert sich Wolfgang von Stetten an sein erstes Buch. "Das war 1973 und ging über Schloß Stetten". Wie überhaupt die Burg sein Leben und Handeln bestimmt, damals wie heute. "Elf Mitglieder der Erbengemeinschaft musste ich auszahlen", lässt er erahnen, dass die Zeiten nicht immer einfach waren.
"Hi Hohenlohe, Hi Stetten kam dann zum 500-jährigen Jubiläum der Tierberger Fehde", erzählt von Stetten weiter. Das war eines von 16 Drehbüchern, die er für die Festspiele im Burggraben geschrieben hat.
Die Wolfskinder
"Ja und dann das Buch über die Wolfskinder", schwenkt der 83-Jährige zu einem weiteren Herzensthema. Als frischgebackener Abgeordneter sei er nach Litauen gekommen und dort mit allen Ehren empfangen worden. Dabei erfuhr er vom Schicksal der ostpreußischen Bettelkinder, den kleinen Deutschen. Deren Schicksal ging ihm unter die Haut. Er sammelte Spenden. Heute, sagt von Stetten, bekommen noch 23 sogenannte Wolfskinder 150 Euro im Monat. "Und etwas extra zu Weihnachten, es hat eine Spende einer Frau gegeben", freut er sich über Unterstützung. "Das ist mir ein Herzensprojekt, ich fühle mich irgendwie verpflichtet", sagt er leise.
Theaterstücke
Auch sein Buch "Juden zweiter Klasse" beschreibt tragische Schicksale von 300 Holocaust-Überlebenden in Litauen, die durch die Raster der behördlichen Hilfssysteme fielen. "Bürokratie", ärgert er sich.
Irgendwo in der Burg schlägt eine Uhr dumpf die halbe Stunde. Themawechsel. Der Blick geht nach vorne: "Mal sehen, was ich noch schaffe", sagt Wolfgang von Stetten. Ein Buch über sich aus der Außensicht erzählt, bestehend aus Zeitungsartikeln und Überschriften schwebt ihm vor. Einige davon, schmunzelt er, sind aus seiner Heimatzeitung, der Hohenloher Zeitung, die er jeden Morgen ("derzeit leider etwas später") liest. Klar, dass darin auch die Aufeinandertreffen mit dem damaligen SPD-Bundestagsabgeordneten, dem zwischenzeitlich verstorbenen Hermann Bachmaier, thematisiert werden. "Das waren Zeiten", zollt er dem politischen Gegner posthum Anerkennung. Ein wenig scheint er doch zu bedauern, dass nachfolgende Politikergenerationen, zu denen auch sein Sohn Christian zählt, handzahmer geworden zu sein scheinen. "Manchmal würde ich gern was sagen", verrät er. Die aktuelle Politik verfolgt er sehr aufmerksam.
Lange Geschichte
Wenngleich sein Blick auch immer wieder zurück geht: auf die lange, über 900 Jahre lange Geschichte von Schloß Stetten. Ein zehn Kilo schweres, handgeschriebenes und handgemaltes Buch von Eugenie legt davon Zeugnis ab. Ein Schmuckstück in der Privatbibliothek, in der auch einige alte Bibeln und Gesangbücher stehen. Die alten Buchrücken haben etwas Beruhigendes. Zu einigen der in Leder eingebundenen Bücher kann Wolfgang von Stetten eine Geschichte erzählen. Und dann ist da noch der feuersichere Raum. Dort, sagt der Senior, lagert das Familienarchiv, das Profis vom Zentralarchiv Ludwigsburg aufgearbeitet haben. Und obwohl er die Geschichte von Schloß Stetten kennt wie kein anderer, "entdecke ich immer noch etwas Neues", verrät Wolfgang von Stetten. Heute aber nicht mehr. Er klappt den Buchdeckel zu. Ein einzelner Glockenschlag hallt dumpf durch die Burg. Draußen ist es jetzt dunkel. Hinter einigen wenigen Fenstern ahnt man Nachtlichter. Wolfgang von Stetten verabschiedet den späten Gast. Schließt das schwere Holztor zur Burg. Aus einem Graben an der engen Straße Richtung Künzelsau leuchten zwei paar Augen. Zwei Rehe, die neugierig sind, wer hier so spät noch unterwegs ist.
Stichwort
"24 Stunden - 24 Orte" heißt die Reihe der Heilbronner Stimme/Hohenloher Zeitung. Damit wird ein Tagesverlauf in einer Region abgebildet. Nach der Hohenloher Ebene, dem Jagsttal, Heilbronn und verschiedenen Orten im Landkreis Heilbronn ist aktuell die Stadt Künzelsau an der Reihe.


