Krautheimer Werkstätten: Für Menschen, die am ersten Arbeitsmarkt keine finden würden
In der Werkstatt arbeiten Menschen mit Behinderung in der Druckerei, mit Elektroschrott und alten Büchern.

14 Uhr im Jagsttal
Christina Kaulbersch sitzt vor einem Computer, um sie herum stehen große Kisten voller Bücher, gerade werden zwei neue gebracht. Jedes einzelne Buch geht durch Kaulberschs Hände. "Ich erfasse die Bücher und prüfe sie davor auf ihre Tauglichkeit, ob sie noch bei Amazon verkauft werden können, auf den Flohmarkt kommen oder weggeworfen werden müssen." Letzteres schmerzt sie besonders, denn sie hat eine große Liebe für Bücher. "Bis zu meiner Erkrankung habe ich gerne gelesen, das liegt jetzt schon fünf Jahre zurück", erzählt sie. Dass Kaulbersch überhaupt arbeiten darf, ist keine Selbstverständlichkeit. Denn sie sitzt im Rollstuhl, ihre rechte Hand ist eingeschränkt. "Ich muss mich nicht nur neu erfinden, sondern meine Fähigkeiten neu entdecken", erklärt sie. Doch in der Krautheimer Werkstatt für Menschen mit Behinderung (WfbM) hat sie einen Job gefunden. Genau wie die anderen 59 Beschäftigten. Sie alle wollen arbeiten - aber finden aufgrund ihrer Behinderung im ersten Arbeitsmarkt keinen Platz.
In verschiedenen Bereichen arbeiten Menschen auch für große Firmen

Fünf verschiedene Arbeitsbereiche gibt es in der Werkstatt. Sie reichen vom Buchhandel über die Druckerei bis zur Digitalisierung, aber auch ein Entsorgungsfachbetrieb und Industriemontage sind Abteilungen. Bei letzterer lässt etwa die Firma Würth ihre Schrauben in kleine Boxen verpacken. Das ist der Job von Alberto Maramar. "Es sollen immer 100 Schrauben in eine Box", erklärt der 32-Jährige. "Ich arbeite sehr gerne hier", sagt er lachend. "Ich bin gerne für Kollegen da und unterhalte mich auch gerne." Der Rollstuhlfahrer braucht jedoch Unterstützung, im Alltag wie im Job, etwa bei Toilettengängen sowie beim Essen.
Eine Abteilung weiter befindet sich die Druckerei. Dort verpackt gerade Rita Mühling Post für das Albert-Schweitzer-Kinderdorf. Seit 37 Jahren arbeitet sie hier. "Ich konnte nie eine Ausbildung machen, ich bin schlecht im Lesen, Schreiben und Rechnen", sagt sie. "Aber ich habe Glück, dass ich hier bin, ich arbeite wirklich gerne hier", erklärt sie gut gelaunt. Neben ihr sitzt Kollegin Birgit Arnold. Die 45-Jährige hat in mehreren Backstuben gearbeitet, "bis das von der Psyche her nicht mehr ging", wie sie erklärt. Seit August 2019 ist sie jetzt in der Werkstatt tätig. Gerade schraubt sie Lüftungsräder zusammen. "Das macht mir auf jeden Fall mehr Spaß als das einkuvertieren", sagt sie lachend.
Für Menschen mit körperlicher und seelischer Behinderung
Etwa 60 Menschen arbeiten derzeit in der WfbM. Acht davon sind derzeit in der Bildungsmaßnahme, "hier werden sie zwei Jahre und drei Monate lang auf die Arbeit vorbereitet", erklärt Geschäftsführer Stefan Blank. Besonders stolz ist er darauf, dass so manch einer nach der Bildungsmaßnahme in den ersten Arbeitsmarkt wechseln kann. "Pro Jahr etwa einer", erklärt Blank. "Und das ist tatsächlich schon viel für Werkstätten."
Die Werkstatt in Krautheim ist eine "besondere" Werkstatt, wie Blank betont. Denn im Gegensatz zu vielen anderen arbeiten hier nicht primär Menschen mit geistiger Behinderung, sondern vor allem Menschen mit körperlicher oder seelischer Behinderung. Letzteres heißt: Depressionen oder Burnout.
Familiäres Arbeitsverhältnis

Zudem ist die Krautheimer Werkstatt klein. "Normal arbeiten in einer Werkstatt im Schnitt etwa 450 Beschäftigte", erklärt Blank. Das sei zwar kostendeckender, aber: "Der Vorteil hier ist das Familiäre - und das vieles geht, was woanders nicht geht." Denn in Krautheim ist das Ziel, so Blank, dass jeder, der arbeiten möchte, auch arbeiten kann. Nicht selbstverständlich, denn der Betreuungsschlüssel sei nicht ausreichend, erklärt Blank: Derzeit liegt er bei 1:12. Manche brauchen jedoch mehr Unterstützung. "Damit jeder arbeiten kann, bräuchten wir mindestens einen Schlüssel von 1:6", so Blank.
Was bei ihm für besonderes Unverständnis sorgt: Wer im sogenannten "Förder- und Betreuungsbereich" untergebracht ist, dem stehen mehr Betreuer zur Verfügung. Wenn derjenige jedoch in der Werkstatt arbeiten möchte, bekommt er diese Unterstützung nicht mehr. Somit kann er, selbst wenn er möchte, nicht arbeiten, denn dann wird die Betreuung nicht mehr finanziert. "Denn dann heißt es, das sei eine ,wirtschaftlich nicht verwertbare Arbeitsleistung" - das ist ein furchtbarer Satz", sagt Blank.
"Bei uns aber haben alle einen Zugang zur Werkstatt, wir machen es möglich - manchmal geben wir dafür auch Geld aus, dass wir nicht haben."
Selbstbestimmtes Leben

Die Werkstatt für Menschen mit Behinderung in Krautheim (WfbM) wurde 1973 von Eduard Knoll gegründet. Sein Ziel: Ein selbstbestimmtes Leben ohne Barrieren für Menschen mit Körperbehinderung. Dazu gibt es verschiedene Bereiche: Im Förder- und Betreuungsbereich sind Menschen, die nicht in der Lage sind, in der Werkstatt zu arbeiten. Im Bereich der Berufsbildung werden gezielt Fähigkeiten gefördert. Vor der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt oder der endgültigen Aufnahme in die Werkstatt wird die behinderte Person hier in den verschiedensten Bereichen angeleitet. In der Werkstatt selber gibt es verschiedene Fachabteilungen: Den Buchhandel, in dem aktuelle Titel gekauft werden und alte Bücher abgegeben werden können, der Entsorgungsbereich, in dem Altgeräte von Hand zerlegt, Schadstoffe entfernt und Bauteile sortiert werden. Die Druckerei, in der auch Prospekte und ähnliches verpackt und versendet werden. Im Bereich Digitalisierung werden digitale Archive angelegt. In der Industriemontage, in der vor allem schwerstbehinderte Mitarbeiter sind, werden Aufträge von Wirtschaft und Industrie bearbeitet, Teile vormontiert, gezählt, gewogen und verpackt. Mehr Infos unter www.krautheimer-werkstaetten.de.