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Aufstehen zusammen mit neun Kindern im Waldenburger Kinderdorf

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Inken Karle betreut eine Pflegefamilie im Albert-Schweitzer-Kinderdorf in Waldenburg. Als eine Art Ersatzmutter kümmert sie sich liebevoll um die Kids, die auf dem Gelände viele Freizeitmöglichkeiten haben.

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Im Garten von Familie Karle tummelt sich ein Hase zwischen Fahrrädern. Die Lage bietet viele Möglichkeiten für schöne Touren mit dem Bike.
Im Garten von Familie Karle tummelt sich ein Hase zwischen Fahrrädern. Die Lage bietet viele Möglichkeiten für schöne Touren mit dem Bike.  Foto: Adrian Kilb

Ein breiter, verkehrsberuhigter Weg führt zwischen großen Wohnhäusern vorbei. Kein Mensch ist am frühen Morgen zu sehen. In der Mitte des Albert-Schweitzer-Kinderdorfs am Waldenburger Ortsrand befindet sich ein hellgelbes, zweigeschossiges Haus mit der Nummer 14. Wenige Treppenstufen führen zum Eingang von Familie Karle. Um 7 Uhr ist Weckzeit. Hausmutter Inken Karle und Erzieher Hannes Schäfer gehen im ersten und zweiten Stock in die Kinderzimmer und flüstern den Kleinen an ihren Betten "Aufstehzeit" ins Ohr. Ein großes Puppenhaus steht in einem Zimmer, Barbie-Puppen liegen auf dem Boden, hellblaue Vorhänge mit dem Motiv von Prinzessin Elsa aus dem Disney-Film "Frozen" zieren die Fenster.

Tatsächlich handelt es sich hier nicht um eine Familie im herkömmlichen Sinne. Die neun Kinder, die hier untergebracht sind, kommen alle aus Familienkonstellationen, die aus verschiedenen Gründen ein Aufwachsen bei den leiblichen Eltern unmöglich machen. Sie wurden über die Jugendämter ihrer Wohnorte an die Waldenburger Einrichtung vermittelt und untergebracht.

Der Hase ist weggelaufen, doch das ist gar nicht so schlimm

Inken und Hannes arbeiten seit dem Sommer 2023 zusammen in Haus14 und kümmern sich dort um die Kinder im Alter von fünf bis 13 Jahren.
Inken und Hannes arbeiten seit dem Sommer 2023 zusammen in Haus14 und kümmern sich dort um die Kinder im Alter von fünf bis 13 Jahren.  Foto: Adrian Kilb

Im Haus 14 wohnen die fünfjährigen Kids Elif, Emilia und Daniele, die siebenjährigen Kinder Marie, Ervis und Ben, dessen neunjähriger Bruder Tyler, der zehnjährige Joel und der dreizehnjährige Miguel. Weitere Mitbewohner sind ein Kater namens Gerry und vier Hasen im großen Garten der Familie. Einer der Hasen ist wohl an diesem Tag entlaufen, aber das kommt immer mal wieder vor, sagt Hausmutter Inken, die dort mit den Kindern zusammenlebt. Auf dem überschaubaren Gelände seien die Tiere bisher immer wieder aufgetaucht

Das Konzept des Kinderdorfs sieht vor, dass jeweils ein Ehepaar mit den eigenen und bis zu sieben aufgenommenen Kindern unterschiedlichen Alters unter einem Dach lebt. Familie Karle stellt hier einen Sonderfall unter den sieben Familien dar: Inken Karle wohnt in ihrer Kinderdorffamilie ohne Partner - und ist somit alleiniger Ersatz-Elternpart. Allein um die Kinder kümmern muss sich die 33-Jährige dennoch selten.

Ihr zur Seite steht ein Team von pädagogischen Fachkräften, die sie in wechselnden Schichten unterstützen und ebenfalls Vertrauenspersonen für die Kinder sind. Kontakt zu den leiblichen Eltern besteht weiterhin - in Form von Telefonaten oder auch Besuchen, wenn nötig unter pädagogischer Begleitung. Die Beziehung der Kinder zur Hausmutter und den anderen Fachkräften im Haus ist eng: So nahm Inken Karle zu Weihnachten alle Kinder mit zu ihrer Mutter und der eigenen Familie. Das Zusammenleben mit den Kleinen ist zwar "nur" ihr Job - aber eben doch ein ganz besonderer.

Die Ziele im Kinderdorf: Die Kleinen in ihrer Entwicklung zu fördern und zu eigenständigem Handeln zu ermutigen

Ihre Aufgabe ist es, die Heranwachsenden in ihrer Entwicklung zu fördern und zu eigenständigem Handeln zu ermutigen. Bei Inken Karle funktioniert das erstaunlich gut. Die Kinder ziehen sich allein an und nehmen sich ihr Müsli. Nach dem Essen putzen sie sich selbstverständlich die Zähne und treffen sich dann alle wieder in dem Raum, wo ihre Jacken und Rucksäcke aufgereiht wie in der Kita an einer großen Garderobe hängen.

Unterstützt wird die Pflegemutter heute im Dienst von Hannes Schäfer, der bereits seit 18 Jahren im Kinderdorf als Erzieher arbeitet. Im Jahr 2006 erfuhr der heute 42-Jährige durch eine Bekannte von der freigewordenen Stelle. Damals seien Arbeitsplätze in Heimen und ähnlichen Einrichtungen noch rar gewesen, erzählt er. Seit eineinhalb Jahren arbeitet er nun schon in Haus 14. Er kommt viermal pro Woche im Wechsel mit anderen Kollegen. Heute arbeitet er von 6 bis 14.30 Uhr, an anderen Tagen zwischen 12 und 20.30 Uhr. Aber auch Nachtdienste sind dabei. Hannes hat selbst eine eigene Familie und drei Söhne im Alter von zwölf bis 16 Jahren. Seine Kinder mit anderen Kids in einer Kinderdorffamilie großzuziehen, war aber für ihn keine Option.

Am Nachmittag ist richtig was geboten im Kinderdorf

Hinter dem Stadtkern von Waldenburg liegt mitten im Grünen das Albert-Schweitzer-Kinderdorf.
Hinter dem Stadtkern von Waldenburg liegt mitten im Grünen das Albert-Schweitzer-Kinderdorf.  Foto: Adrian Kilb

Am Nachmittag geht es für Marie ins Café "Sweets and Meets" auf dem Gelände, wo sie mit anderen Kindern Eiskaffee und Eisschokolade zubereitet. Die älteren Kinder treffen sich zu gemeinsamen Koch- oder Kinoabenden. Im Rahmen des Freizeitbereichs gibt es auch einen Karate-Kurs und andere Aktiv- und Bewegungsangebote für die Kinder. Morgen ist "Zauberschloss-Tag", erzählen die Kinder aufgeregt:

Zusammen mit anderen Kids aus Jugendhilfeeinrichtungen der Umgebung besuchen sie das Schloss Assumstadt, wo eine Mini-Dampflok fährt, kostümierte Märchen erzählen und die Kinder Attraktionen wie Bogenschießen erleben können. Ein Mädchen aus der Familie Karle trifft dort ihre Geschwister wieder, die in Wohngruppen anderer Einrichtungen untergebracht sind.

Hausmütter brauchen viel Erfahrung

Der Albert-Schweitzer-Kinderdorfverein wurde 1957 gegründet, 1961 zogen die ersten Kinder ein. Ziel ist, die Heranwachsenden in ihrer Entwicklung zu fördern und zu eigenständigem Handeln zu ermutigen. Hausmutter ist Inken Karle erst seit August 2023. Zuvor sammelte sie viel Berufserfahrung in anderen Bereichen des Kinderdorfvereins. "Ich war unter anderem Leiterin in einer intensiv-pädagogischen Wohngruppe", erzählt sie. Das habe eine große Herausforderung dargestellt, weil der Betreuungsaufwand deutlich höher gewesen sei. Wenn sie einen festen Partner findet, müsste der wohl zu Inken ins Kinderdorf ziehen.

Bis 8 Uhr verlassen die Kinder nach und nach das Haus in Richtung umliegende Schulen und zum "Waldpiraten"-Kindergarten direkt auf dem Gelände. Das Kinderdorf wird demnächst noch vergrößert (wir berichteten): Im Neubaugebiet "Burgersee" ganz in der Nähe entsteht das erste inklusive Wohnprojekt der Einrichtung. Kinder mit und ohne Behinderung können dann mit ihrer Kinderdorffamilie in einem barrierefreien Haus direkt am Feldrand leben.

 
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