Keine Nachtschicht im Waldenburger Pflegeheim ist wie die andere
Pflegerin Helga Liebscher arbeitet im Seniorenzentrum dann, wenn alle anderen schlafen.

Es ist dunkel im Waldenburger Seniorenzentrum "Hohenloheblick". Kein Wunder: Der Uhrzeiger steht auf 4 Uhr in der Nacht - und die meisten Bewohner schlafen. Altenpflegerin Helga Liebscher kommt gerade aus dem unbeleuchteten Bereich im Erdgeschoss. "Hier unten wohnen Demenz-Patienten", erklärt die Altenpflegerin in leisem Ton. "Deren Tag-Nacht-Rhythmus möchte ich nicht stören, wenn ich die Zimmertüren öffne, deshalb lasse ich das Licht aus." Die 61-Jährige hat die Nachtschicht im besagten Seniorenzentrum: Von 19.30 bis 6.15 Uhr am frühen Morgen ist die 61-Jährige alleine für die 37 Menschen verantwortlich. Für Liebscher ist das Alltag: Denn sie macht seit 35 Jahren ausschließlich Nachtschichten.
Die nächtliche Arbeit ist kräftezehrend - doch es gibt etwas, das Liebscher hilft durchzuhalten
Exakt 600 Milliliter Kaffee trinkt Helga Liebscher, um die Nacht durchzuhalten. Denn genau so groß ist ihre Thermoskanne. Sie bezeichnet die nächtliche Arbeit als "kräftezehrend" - anders vorstellen kann sie es sich jedoch nicht mehr. Los ging es, als sie alleinerziehend war. "Da habe ich gearbeitet, während mein Kind schlief", erklärt sie. Und Liebscher ist bei der Schicht geblieben. Tagsüber sei es stressiger. Denn dann sind Therapeuten und Angehörige da. "In der Nacht ist es schon ruhiger." Aber das sei nicht für jeden etwas, weiß sie zu berichten: "Manche haben Angst, man ist halt alleine." Und wirklich ruhig ist es dann doch nicht - es gibt einiges zu tun, unter anderem, regelmäßig bei den Bewohnern reinzuschauen.
Warum schnarchen ganz praktisch sein kann

Im ersten Stock, in dem Liebscher heute ihre Runde um Punkt 4 Uhr beginnt, ist es mucksmäuschenstill. "Hier leben die Fitteren, die brauchen nicht ganz so viel wie unten", berichtet sie und öffnet die erste Tür. Leise geht Liebscher im Dunkeln hinein, lauscht kurz nach Atemgeräuschen und schließt sanft die Türe hinter sich. "Die Schnarcher sind mir am liebsten", sagt die gutgelaunte Pflegerin: "Da höre ich gleich an der Türe, was Sache ist." Doch ihre Tour beinhaltet nicht nur den routinierten Blick. Zwei Räume weiter ist einer der Bewohner wach. Gut so, denn hier muss sie ohnehin Fieber messen. Kurz darauf hilft sie einem Bewohner auf die Toilette und wechselt dann die Bettlaken. "Nachts ist der Bedarf an Hilfe genauso groß wie am Tag", erklärt Liebscher und schließt das Fenster im Raum.
Ein Zimmer lässt Liebscher auf ihrem Rundgang aus - das hat einen speziellen Grund
Rund eine Stunde dauert ihr heutiger Gang im ersten Stock. Was sie dabei aber hinter den Türen vorfindet, ist stets eine Überraschung: "Keine Nacht ist wie die andere", sagt die Altenpflegerin. Mal schlafen die Senioren und Seniorinnen, mal haben sie versucht, selbstständig duschen zu gehen, mal müssen sie auf die Toilette. Liebscher schließt Fenster, lagert Patienten um und erinnert den ein oder anderen daran, dass durchaus noch zwei Stunden Schlaf drin sind. Nur ein Zimmer lässt sie aus. "Die Dame möchte nicht, dass wir nachts reinkommen, weil sie davon aufwacht. Und sie meinte: ,Wenn ich tot bin, bin ich das am Morgen auch noch"".
Dreimal pro Nacht dreht Helga Liebscher diese Runden in beiden Stockwerken. Dazwischen erledigt sie Reinigungsarbeiten, wischt den Tisch ab, putzt den Medizinschrank aus und bereitet Medikamente für die Frühschicht vor. Und sie telefoniert mit ihrer Kollegin im Neuensteiner Seniorenzentrum. Das will das Gesetz so, weil ihr Job ein sogenannter Alleinarbeitsplatz ist.
Bürokratie mag Liebscher am wenigsten

Und dann kommt noch das, was sie am wenigsten mag: die umfassende Bürokratie. Liebscher setzt sich an den Computer im Eingangsbereich und dokumentiert genauestens, was in der Nacht passiert ist. Es war eine ruhige Schicht. Dies ist jedoch nicht immer so: "Gestern ist in der Nacht ein Bewohner verstorben", erzählt sie.
Inzwischen zwitschern draußen bereits die ersten Vögel und begrüßen den anbrechenden Tag. Im zentral gelegenen, hellen und großen Aufenthaltsraum ist der Frühstückstisch schon gedeckt. Am Ende ihrer Schicht wird die 61-Jährige mit einem Ausblick belohnt, der es in sich hat: Die Sonne geht neben dem Waldenburger Schloss auf. "Das hier ist das schönste Haus überhaupt", ist sich Helga Liebscher sicher.

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