Bis die Alarmanlage in der Kunsthalle Vogelmann zufrieden piepst
Die letzte Stunde eines Ausstellungstages: Besucher tauchen ein in die Welt des Künstlers und Ernst-Franz-Vogelmann-Preisträgers Gregor Schneider. Und die Museumsmitarbeiterinnen haben einige routinierte Handgriffe zu erledigen, um die Kunsthalle am Ende abzuriegeln.

Freaky, also verrückt, findet"s der eine Besucher und gesteht in englischer Sprache, nichts verstanden und sich wie bei Big Brother gefühlt zu haben. "Wunderschön beklemmend" lautet das Urteil eines anderen. Ein dritter schlägt wiederum vor, die Attrappe einer Leiche in einem Ausstellungsraum zu drapieren. Was diejenigen, die schon in der aktuellen Schau von Gregor Schneider in der Kunsthalle Vogelmann gewesen sind, dazu zu sagen haben, kann im Foyer des Hauses aus dem Gästebuch derjenige erfahren, der neugierig ist und obendrein eventuell etwas Wartezeit hat.
Denn ein besonderes Konzept sieht vor, dass sich nicht mehr als zwölf Personen gleichzeitig in der Ausstellung aufhalten, die sich über drei Ebenen erstreckt. Im Idealfall, so der Wunsch des Künstlers aus Mönchengladbach, werden die Etagen sogar nur einzeln betreten. Der Zugang ist dabei ausschließlich über den Aufzug möglich.
Museumsmitarbeiterin Carmen Rieger-Barth: "Es ist nie langweilig"
An einem verregneten Dienstagnachmittag Anfang August um 16 Uhr - eine Stunde bevor die Kunsthalle an der Heilbronner Allee schließt - sind es zwei Kunstinteressierte, die durch die Stockwerke streifen. Eine Warteschlange im Foyer gibt es also nicht. Dass jedoch gleich vormittags nach Öffnung um 11 Uhr schon ein Dutzend Menschen gekommen sind, "hat definitiv mit dem Wetter und mit den Ferien zu tun", ist sich Museumsmitarbeiterin Carmen Rieger-Barth sicher. Rund 20 Besucher hat sie an diesem Tag insgesamt gezählt.
Gearbeitet wird im Wechseldienst, normalerweise zu dritt, bei dieser Schau aber zu zweit: Eine Kollegin übernimmt die Schicht an der Infotheke, eine andere die Aufsicht, erklärt Rieger-Barth. "Es ist nie langweilig", so die Heilbronnerin, die seit Eröffnung der Kunsthalle 2010 mit an Bord ist, "es ist immer irgendetwas zu erledigen." Etwa Telefonanrufe entgegenzunehmen, die videoüberwachten Räume an den Monitoren im Blick zu behalten oder Besuchern Auskünfte zu erteilen. Auch finden im Rahmen von Ausstellungen oft Vorträge, Kunstgespräche, Führungen und Workshops statt.
Wie Besucher auf Gregor Schneiders Schau reagieren

Das Publikum komme zu Gregor Schneiders Ausstellung eher gezielt und wisse, was es erwarte, weiß Rieger-Barth. Selbst aus Berlin seien Besucher angereist. Mehrere Studenten von Schneider, der an der Düsseldorfer Kunstakademie eine Professur für Bildhauerei innehat, seien auch schon da gewesen sowie Familien. "Im Erdgeschoss halten sich die Leute am längsten auf", hat Museumsmitarbeiterin Ute Albrecht beobachtet, die die Besucher an diesem Nachmittag in der Aufzugskabine begleitet. Und im ersten und zweiten Obergeschoss zunächst ins Dunkel entlässt, ehe man vor einer Tür steht und die von Gregor Schneider konzipierten Raumfolgen beginnen: Deprimierend leere Zimmer sind dies, in der Wohnung eines Herrn N. Schmidt. Dass in dessen Bad der Wasserhahn permanent läuft, ist gewollt, hat aber schon mehrere Personen dazu bewogen, ihn zu schließen, wie Albrecht berichtet. "Der Schwabe", scherzt sie - wohl wissend, es ist ein geschlossenes Kreislaufsystem.
"Das ist eine totale Provokation", kommentiert dann auch Anton Bandomer angesichts des fließenden Wassers. Der Referent für politische Bildungsarbeit aus Tübingen hat gerade ein Projekt in Böckingen und "einfach Zeit", sich die Ausstellung anzuschauen. "Total spannend", lautet das Urteil des 32-Jährigen. Man spüre die Räume und könne sich ihnen nicht entziehen.
Schon oft in der Kunsthalle Vogelmann ist Birgit Müller gewesen. Die ehemalige Lehrerin, die in Lauffen und Talheim unterrichtet hat, lebt inzwischen in Leipzig und ist für einige Tage zu Besuch bei Freunden in der alten Heimat. Spontan hat sie sich für einen Besuch der Kunsthalle entschlossen und kurz vorher im Internet eingelesen. In Versuchung führen lässt sich die 68-Jährige vom offenen Wasserhahn nicht. Zudrehen? "Würde ich nicht machen", sagt Müller.
In drei Schritten wird das Alarmsystem scharf gestellt

Als um 17 Uhr ein junges Paar vor der Eingangstür auftaucht, muss Carmen Rieger-Barth dieses enttäuschen: "Wir haben geschlossen." Die letzten Handgriffe eines Museumstages sind Routine für die Infotheke- und die Aufsichtskraft. Die Kassenabrechnung wird gemacht, die Verwaltungsräume werden abgeschlossen, die erste von drei Alarmanlagen scharf gestellt.
Als nächstes geht Carmen Rieger-Barth mit einem Karton voller Fernbedienungen von unten nach oben durch die Schau, stellt verschiedene Geräte ab, kontrolliert, ob in den von Gregor Schneider nachgebauten Zimmern Rollläden, Handtuchablagen und Co. exakt in der vorgesehenen Position sind und sich niemand in den Schränken versteckt.
Dann schließt sie im Erdgeschoss weitere Räume ab, holt den Werbeaufsteller von draußen herein, verriegelt die Foyertür und will die beiden übrigen Alarmanlagen aktivieren. Doch ein Signal weißt darauf hin, dass etwas nicht stimmt. An einem Bildschirm gehen Rieger-Barth und Albrecht Meldungen durch, ein Anruf bei der Hausmeisterin hilft weiter. Zu guter Letzt gibt auch die letzte Alarmanlage einen zufriedenen Piepton von sich. Die beiden Museumsmitarbeiterinnen entschwinden durch einen Nebenausgang in den Feierabend. Und Gregor Schneiders Räume liegen im Dunkeln. Nur der Wasserhahn in N. Schmidts Wohnung, der läuft auch nachts munter weiter.
Hintergrund: Historie
Am 1. Oktober 2010 wurde die Kunsthalle Vogelmann in Heilbronn eröffnet. Die kommunalen Städtischen Museen und der private Kunstverein fanden so unter einem Dach zusammen. Ermöglicht hatte den rund 5,6 Millionen Euro teuren Erweiterungsbau die Partnerschaft von Kommune, Land und Ernst-Franz-Vogelmann-Stiftung.

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