Herzog-Christoph-Gymnasium: Hier haben Schüler mehr Zeit, um zu reifen
Das Herzog-Christoph-Gymnasium in Beilstein ist das einzige G9-Gymnasium im Landkreis Heilbronn. Was ist hier anders als anderswo?

Noch ein paar Augenblicke herumrennen, noch ein paar Takte quatschen, nochmal ins Pausenbrot beißen. Gleich ist die 20-Minuten-Pause für die knapp 1100 Schüler am Herzog-Christoph-Gymnasium (HCG) in Beilstein vorbei. Um 10.15 Uhr geht es weiter mit Mathe, Deutsch, Kunst, Bio... Diese vierte Schulstunde ist eine von tausenden, die ein HCG-ler absolviert, bis er sein Abitur in der Tasche hat. Im Schnitt besucht er sogar rund 1300 Unterrichtsstunden mehr als die meisten Gymnasiasten im Land. Denn das HCG ist ein G9-Gymnasium - das einzige im Landkreis Heilbronn.
Was steht im zweiten Halbjahr auf der Agenda? Welche Veranstaltungen sind geplant? Welche Klassenfahrten? Während die Schüler zurück in ihre Räume strömen, bespricht sich Dr. Felix Stadtfeld an diesem Vormittag mit Stellvertreterin Dorit Zähringer. Die vierte Stunde hält sich der Schulleiter, wenn möglich, für Gespräche frei. Er unterrichtet aber auch vergleichsweise viel: Biologie in der Kursstufe 2, Ethik in den Klassen 8 bis 11.
44 G9-Gymnasien gibt es im Land
Apropos Klasse 11: Diese Klasse gibt es an den meisten der 376 allgemeinbildenden Gymnasien in Baden-Württemberg gar nicht, nur an den 44 Modellschulen, wie die G9-Gymnasien offiziell heißen. Im Normalfall, also dem achtjährigen Gymnasium, schließt sich an Klasse 10 die zweijährige Kursstufe an. Seit Jahresende stellt es sich nach großem Druck aus der Bevölkerung so dar, dass im Land die Ausnahme wieder zum Normalfall werden könnte. Doch wann von G8 flächendeckend auf G9 umgestellt werden soll, steht in den Sternen. Denn G9 bedeutet: mehr Personal, also mehr Geld, das das Land ausgeben muss.
"Das nimmt den Druck von uns"
Felix Stadtfeld jedenfalls ist froh, wenn irgendwann wieder alle nach neun Jahren Abitur machen. "Das nimmt den Druck von uns." Viele Eltern schicken ihre Kinder eben lieber auf ein G9-Gymnasium. Das Einzugsgebiet des HCG erstreckt sich von Murr im Landkreis Ludwigsburg bis nach Neckarwestheim oder Untergruppenbach im Landkreis Heilbronn.
Flächendeckend G9 wäre auch gerechter, sagt der Oberstudiendirektor. Schließlich hat nicht jeder eine Modellschule halbwegs gut erreichbar vor der Tür. Der Wettbewerb unter den umliegenden Gymnasien werde sich normalisieren, wenn G9 wieder Standard sei. Wenngleich das HCG noch andere Pfunde im Portfolio hat, mit denen es wuchern kann: ein Sportprofil, einen Schwerpunkt in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik (MINT) und durchgängigen Englischunterricht in bestimmten Fächern ab Klasse 7.
Dementsprechend rechnet der Schulchef auch wieder mit vielen Fünftklässlern im Herbst. Er wird nicht viel Werbung machen für sein Gymnasium in den zwölf umliegenden Grundschulen: "Wir haben Platz für maximal vier fünfte Klassen." Der Platz ist auch deshalb begrenzt, weil die Schule seit Jahren generalsaniert wird. Inzwischen haben sich Schüler wegen der sich dahinschleppenden Sanierung beim Schulträger, also der Stadt Beilstein, beschwert.
Überzeugt vom neunjährigen Gymnasium
Der 51-Jährige kennt alle Spielarten des Gymnasiums: Er war Lehrer in Marbach, wo G8 und G9 parallel liefen, er war Schulleiter an einem G8-Gymnasium in Ditzingen. Nach Beilstein hat er sich nicht nur, aber auch wegen G9 beworben. Nach zweieinhalb Jahren am HCG ist er überzeugter denn je vom neunjährigen Gymnasium. Dass die Zeit bis zum Abitur ein Jahr länger dauert und Schüler wie Lehrer für alles mehr Zeit haben, birgt viele Vorteile, findet Stadtfeld: "Die Kinder haben mehr Unterricht, mehr Hausaufgaben." In Fächern wie Mathematik lasse sich der Erfolg von G9 an den Abiturergebnissen ablesen.
Weniger Nachmittagsunterricht
Aber es ist nicht nur der schulische Aspekt: Die Beilsteiner Gymnasiasten haben dank G9 weniger Nachmittagsunterricht. Nur sieben Prozent des Unterrichts finden am Nachmittag statt und erst ab Klasse zehn aufwärts. Das bedeute: "Mehr Freizeit, mehr Zeit für Hobbies." Unterm Strich und alles in allem: "Mehr Zeit zum Reifen."

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