Morgens am Jagstfelder Bahnhof: Für Gesprächigkeit ist es noch zu früh
Wie es ist, mit einsamen Pendlern morgens um 5 Uhr in der Dunkelheit an einsamen Bahngleisen zu stehen.

Es ist kalt. Es ist dunkel. Es ist früh. Es ist einsam am Hauptbahnhof von Bad Friedrichshall. Es gibt Orte, an denen es morgens um 5 Uhr angenehmer ist. Im Bett zum Beispiel. Aber es gibt gute Gründe, warum manche Menschen um diese Uhrzeit eben nicht mehr in ihren Betten liegen, sondern an Bahnsteigen in Jagstfeld stehen.
Sven Wartenberg ist so jemand. Zwei bis drei Mal in der Woche piepst sein Wecker um 4.25 Uhr. An den anderen Tagen macht er Homeoffice. Um 5 Uhr schwingt er sich aufs Fahrrad, um 5.05 Uhr steht der Kochendorfer auf Gleis 11 und wartet auf die Stadtbahn Richtung Heilbronn. In Neckarsulm wird Sven Wartenberg um- und in Niedernhall aussteigen. Er arbeitet bei Würth Elektronik. "Man sieht immer dieselben Leute", in den Zügen und an den Gleisen. Ins Gespräch komme man nicht miteinander. Für Gesprächigkeit ist es wohl noch zu früh.
Auch wenn die Fahrt lange dauert: Wegen des Deutschlandtickets hat sich Sven Wartenberg bewusst für die Bahn entschieden. Im Zug wird er sein Laptop auspacken und schon mal anfangen zu arbeiten. 5.11 Uhr: Wartenberg muss los, die S 42 fährt ein. Sie ist schon erstaunlich voll. Audianer aus Sinsheim, aus Bad Rappenau und Bad Wimpfen sitzen drin. Die Frühschicht ruft. Die meisten sind aber gedanklich noch nicht bei der Arbeit, sondern mit ihren Handys beschäftigt.
Noch nicht wach genug für ein Gespräch

5.20 Uhr: Eine Lok rollt langsam auf Gleis 10 vorbei. Weiter hinten hantiert ein Mann in orangefarbenen Kleidern an den Rädern eines Güterwaggons. Weiter vorne stehen vereinzelt Menschen. Man sieht helle Wölkchen beim Ausatmen. Hartes Licht fällt auf die Bahnsteige. Ein junger Mann winkt ab. Nein, keine Lust, über frühmorgendliche Befindlichkeiten zu sprechen. "Nicht um diese Uhrzeit. Ich bin noch nicht wach", sagt er, seine E-Zigarette zwischen den Lippen, einen E-Roller zwischen den Beinen. Vielleicht fehlt ihm ja Koffein.
Einige machen lange Gesichter, weil es heute nichts wird mit der morgendlichen Coffee-to-go-Routine. Eigentlich sollte der Café-Shop am Bahnhof seit 5 Uhr geöffnet sein. Doch hinter den Scheiben ist es so dunkel wie davor.
Lehrerin: Viele Verspätungen bei der Bahn
Seit 3.30 Uhr ist eine Frau auf den Beinen, die sich die Kapuze ihres blauen Anoraks tief ins Gesicht gezogen hat. "Hauptsache, es wird nicht zu kalt", sagt die 51-Jährige, die um 4.40 Uhr in Sinsheim in die Stadtbahn gestiegen ist und nun auf den Regionalexpress 8 wartet. Planmäßige Ankunft: 5.43 Uhr. "In Würzburg steige ich um nach Erfurt." Die Mathelehrerin hat sich dort beworben; das Vorstellungsgespräch steht an. "Ich schätze, um 21.30 Uhr werde ich wieder zu Hause sein." Sie fährt immer Bahn, sagt die Lehrerin. Das bedeute: "Viele Ausfälle, viele Verspätungen."
Um 4.30 Uhr hat der Wecker des Mannes geklingelt, der nun, eine Stunde später, auf Gleis 4 steht und darauf hofft, dass der Metropol-Express 18 Richtung Tübingen pünktlich ist. Zuerst mit dem Auto von Obrigheim nach Friedrichshall, dann mit dem Zug nach Ludwigsburg, von dort mit der S-Bahn zum Stuttgarter Nordbahnhof, der Rest zu Fuß: Knapp zwei Stunden dauert es von der Haustür bis zum Büro. Abends dasselbe nochmal. "Obwohl, da geht"s schneller. Da kann ich mit dem Regionalexpress fahren." Früher musste der Verwaltungsangestellte im öffentlichen Dienst die Tour täglich auf sich nehmen. Inzwischen arbeitet er jeden zweiten Tag im Homeoffice. Sobald er im Zug sitzt, wird der 57-Jährige seinen Kopfhörer herausholen. Heavy Metal wird dafür sorgen, dass er nicht mitbekommt, was um ihn herum gesprochen wird. "Viele Jugendliche kann man sich nicht mehr anhören", findet der Mann. Er sagt es nicht böse. Er bedauert es eher.
Inzwischen ist es fast 6 Uhr. Busse spucken erste Schüler aus, die weiter zu den Gleisen eilen. Menschen kommen, Menschen gehen. Es ist immer noch kalt, es ist immer noch dunkel, es ist immer noch früh - aber es ist nicht mehr einsam. Der Normalbetrieb beginnt.
Bahnhof in Jagstfeld ist ein wichtiger Knotenpunkt
Der Bahnhof in Jagstfeld trägt seit neun Jahren, also seit Inbetriebnahme der Stadtbahnverbindung Nord, den - etwas hochtrabenden - Namen Hauptbahnhof Bad Friedrichshall. Er ist der einzige Hauptbahnhof im Landkreis Heilbronn und ein wichtiger, regional bedeutsamer Eisenbahnknotenpunkt. Hier treffen die Strecken von und nach Stuttgart, Mannheim und Würzburg aufeinander. Außerdem ist Bad Friedrichshall Rangierbahnhof für die Neckarsulmer Audi AG. Der Bahnhof wurde 1866 eröffnet. Er war früher württembergisch-badischer Grenzbahnhof.


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