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Leintal
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Das Leintal: Energie und Mehl gibt es von dort seit 500 Jahren

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Im Leintal sind immer noch zwei Mühlen aktiv. Stauwerke und Kanäle zeugen von der reichen Tradition der Getreideveredelung in der Gegend.

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Die Mühle Geßmann im Leingartener Stadtteil Schluchtern beeindruckt durch ihre Größe. Neun Mahlstühle sorgen für gleichmäßig feine Mehle. Foto: Jörg Kühl
Die Mühle Geßmann im Leingartener Stadtteil Schluchtern beeindruckt durch ihre Größe. Neun Mahlstühle sorgen für gleichmäßig feine Mehle. Foto: Jörg Kühl

Das Leintal ist mit seinem namengebenden Bach nicht nur landschaftlich reizvoll. Schon früh haben die Menschen die Wasserkraft genutzt, um aus dem Getreide des fruchtbaren Umlands Mehl zu produzieren. In Leingarten sind zwei Betriebe bis heute aktiv.

Die Mühle Geßmann ist im Leingartener Stadtteil Schluchtern schon von Weitem zu erkennen. Mehrere Getreidesilos überragen das Mühlenhaus. Das Hauptgebäude selbst ist vier Stockwerke hoch. In den oberen Etagen schwingen die Plansichter hin und her. Sie scheiden das Mahlgut nach bestimmten Körnungen, also zum Beispiel das feine Mehl vom etwas gröberen Grieß. Inhaber Achim Geßmann empfängt die Gäste. Im Inneren ist es so laut, dass man sich schreiend unterhalten muss. Neun Mahlstühle verwandeln die Getreidekörner in gleichmäßig feine Bäckerware. Die wartet, in 25 Kilo-Säcke auf Paletten abgepackt, auf ihren Transport zu den Kunden. „Ich beliefere Bäckereien im Umkreis von 160 Kilometern“, berichtet der 54-Jährige, der in seiner Freizeit leidenschaftlich gerne Harley fährt.

Lage der Mühle ist kein Zufall

Das genaue Gründungsdatum der Mühle ist nicht bekannt, erstmals erwähnt wurde sie 1702. Dass die Mühle direkt am Leinbach liegt, ist kein Zufall. Als Antrieb für Mühlen in der Region wurde immer schon Wasserkraft genutzt, der Leinbach und angrenzende Fließgewässer machen da keine Ausnahme. Dabei ist der Leinbach nicht gerade ein Gewässer mit imposantem Gefälle. Aber die Wassermenge reicht aus, um die kinetische Energie wirtschaftlich zu nutzen. Sogar zur Stromgewinnung. Ab 1909 erzeugte die Mühle für Schluchtern knapp hundert Jahre lang Elektrizität. Früher sei der Leinbach allerdings stärker gewesen, weiß der Müller. Die Fließgeschwindigkeit sei höher gewesen. Doch zunehmende Versiegelung sowie der Ausbau der Kanalisation habe dazu geführt, dass immer weniger Wasser in den Leinbach gelangt.

Zu Biogetreide passt Wasserkraft

Nur 1500 Meter östlich, im Stadtteil Großgartach, und damit fließtechnisch gesehen unterhalb der Mühle Geßmann, befindet sich ein weiterer Betrieb, der die Wasserkraft zum Mahlen nutzt: die Mühle Amos. 1896 erwarb Karl Amos die Mühle von Eugen Herrlinger für 52000 Goldmark. Der Standort ist aber wesentlich älter. Um 1500 hat man hier bereits Getreide zu Mehl verarbeitet. Heute nutzt die Mühle regionales Getreide von Landwirten aus der unmittelbaren Umgebung. Zwischen 800 und 1000 Tonnen setzt der Betrieb, den Ralf Amos seit 2010 beinahe alleine führt, um. Seine Mutter Eleonore ist im Mühlenladen an der Eppinger Straße die gute Seele. Neben konventionell angebautem Getreide mahlt Ralf Amos auch ökologisch angebaute Ware. „Wir sind eine der ersten Mühlen in der Region, die Biogetreide verarbeiten“, so der Müller. Noch vor vier Jahren hat er die elektrische Turbine restaurieren lassen - aus Überzeugung. Denn die Turbine holt aus dem 1,45 Meter flachen Gefälle im Bestfall fünf Kilowatt Strom raus. „Zu einer Mühle gehört auch, dass sie Wasserkraft nutzt“, so der 51-Jährige.

Entlang des Leinbachs und der angrenzenden Gewässer zeugen erhalten gebliebene Mühlengebäude sowie Reste von Stauwerken und Kanälen von einstiger Mühlentätigkeit. In Massenbach gibt es gleich zwei ehemalige Mühlen: Die Obere Mühle am Biberbach und die Untere Mühle am Massenbach. Beide sind im Besitz der Familie Dörr. Friebert Dörr kümmert sich um die Familiengeschichte. Er hat nicht nur den Stammbaum rekonstruiert, sondern auch zahlreiche Fotos gesammelt, die die Mühlen und die Menschen, die darin arbeiteten, zeigen. „Etwa um 1870 hat mein Urgroßvater Johann Georg Dörr, der zuvor die Mühle im Hipfelhof bei Frankenbach betrieb, die Untere Mühle erworben“, erzählt Friedbert Dörr. 1886 übernahm Karl Dörr die Untere Mühle von seinem Vater. 1942 ging der Stab an Ludwig Dörr über. Er ist der letzte Müller der Unteren Mühle und damit der letzte Müller von Massenbach. Die Untere Mühle brannte 1948 ab - Ludwig Dörr baute sie notdürftig wieder auf. Als vollständige Mühle ging sie nie wieder in Betrieb, doch bis Mitte der 60er Jahre schrotete Ludwig Dörr Getreide für Futterzwecke. Noch heute steht das imposante vierstöckige Gebäude am Ortsausgang Richtung Schwaigern unverputzt und lediglich als Möbellager genutzt da. Das angrenzende Wohnhaus, das von dem Brand verschont blieb, wird bis heute von der Familie bewohnt.

Friedbert Dörr (78) und Martin Dörr (42) zeigen den eingerahmten Gesellenbrief ihres Vorfahren Ludwig Dörr aus dem Jahr 1927. Er ist der letzte Müller in Massenbach. Im Hintergrund die Untere Mühle. Foto: Jörg Kühl
Friedbert Dörr (78) und Martin Dörr (42) zeigen den eingerahmten Gesellenbrief ihres Vorfahren Ludwig Dörr aus dem Jahr 1927. Er ist der letzte Müller in Massenbach. Im Hintergrund die Untere Mühle. Foto: Jörg Kühl

Großvater war geschäftstüchtig

„Mein Großvater Karl Dörr muss sehr geschäftstüchtig gewesen sein, denn er hat zwischen 1920 und 1930 die Obere Mühle als zweites Standbein dazugekauft“, erzählt Friedbert Dörr. Die Anlage konnte sowohl Getreide mahlen, als auch Baustämme sägen. Die Obere Mühle am Holderbuschweg betrieb Friedbert Dörrs Vater Hermann. „Mehl wurde hier noch bis zum Ausbruch des zweiten Weltkriegs gemahlen“, so der Massenbacher. Danach, bis Ende der 50er Jahre, wurde das im Ortszentrum gelegene Anwesen nur noch als Sägemühle genutzt. Die Mühlentätigkeit endete mit dem Umzug der Sägemühle an den Ortsausgang Richtung Schwaigern, vis-à-vis der Unteren Mühle. Heute ist die Obere Mühle ein reines Wohnhaus.

Auch andere Mühlen, die heute nicht mehr für ihren eigentlichen Zweck genutzt werden, erzählen die Geschichte der Mehlproduktion im Leintal. Dazu zählen die die Mühlen Dörr und Esslinger in Niederhofen, die Mühle Walter in Stetten, die Mühle Volz in Schwaigern und die Mühle Frick in Leingarten.

Stichwort Energiequelle: An Fließgewässern befinden sich traditionell Mühlen. Kaum verwunderlich, schließlich ist Wasserkraft von jeher eine kostengünstige und zuverlässige Energiequelle. Im Zuge der industriellen Revolution wurden kleine wassergetriebene Mühlen immer ineffizienter, die Nutzung ortsunabhängiger Energiequellen, wie Strom aus Kohleverstromung, begünstigte zudem große Anlagen im industriellen Maßstab. Ende der 50er bis Anfang der 60er Jahre förderte der Staat die Stilllegung kleiner Mühlen mit einer Prämie. So blieben im Leintal nur wenige Mühlen erhalten. In Leingarten sind zwei Exemplare noch in vollem Betrieb. In Stetten, Niederhofen, Massenbach, Schwaigern und Frankenbach und anderen Orten zeugen Funktionsgebäude und Wasserbauwerke von einstiger Mühlentätigkeit.

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