Weinbau im Kraichgau birgt so manche Kuriosität
Um- und Aufbruchstimmung an der Schnittstelle von Baden und Württemberg: Der Weinbau im Kraichgau hat eine bewegte Historie - und eine spannende Gegenwart.

Am Horizont dienen die Schlote des Kohlekraftwerks von Heilbronn als Kompass. Tief im Westen zeichnet sich der Pfälzer Wald ab. Im Süden markiert der nahe Stromberg die Grenze zwischen Baden und Württemberg. Dazwischen sanfte Hügel, an deren Südflanken relativ kleine Rebanlagen hängen, vornehmlich mit verschiedenen Burgundersorten, Riesling und Lemberger bestockt, wie Claus Burmeister weiß. Der Winzer, Vordenker und Vormacher steht am Hilpsbacher Eichelberg und schärft einigen internationalen Multiplikatoren den Blick für seine Heimat, den Kraichgau, der grob gesagt westlich von Heilbronn beginnt.
Es wächst zusammen
Tatsächlich umschreibt eine Oberamtsbeschreibung von 1865 die Lage damals so. Geologisch mag das stimmen. Doch historisch und politisch gesehen haben der Badener Kraichgau und das Württemberger Unterland relativ wenig miteinander zu tun. Wobei die Grenzen durch die Kommunalreform Anfang der 1970er, durch persönliche Verbindungen, durch die Stimme - und nicht zuletzt durch den Wein fließend geworden sind. 1947 bis 1964 gab es sogar einen gemeinsamen Weinbauverband für Württemberg und Nordbaden - und bis heute wünschen sich manche eine Fusion beider Landesverbände.
Einzelne Winzer bewirtschaften tatsächlich Rebanlagen dies- und jenseits der imaginären Grenze. Manche badischen Genossenschaftler, die ihre Trauben beim Winzerkeller Wiesloch abliefern, hätten sich bis vor wenigen Jahren wegen der höheren Traubengelder gar gern ins Württembergische "einzonen" lassen - so wie dies das einstige Prädikatsweingut Burg Hornberg bei Neckarzimmern bereits im Jahre 1985 tat.
In Eppingen gibt es Badener und Württemberger
In vielen Bereichen ist Baden-Württemberg zur Einheit zusammengewachsen. Doch beim Wein herrschen zwischen den rund 15 000 und 11 000 Hektar Anbaugebieten nach wie vor klare Trennlinien, die in den Grenzbereichen nicht überall nachzuvollziehen sind und mitunter kurios anmuten. So können die Eppinger auf ihrer bevorstehenden Gartenschau die Gäste sowohl mit eigenem Württemberger als auch mit eigenem Badener Wein begrüßen. Im Stadtteil Kleingartach wachsen Schwabenweine, in Elsenz und Rohrbach badische Tropfen - auf insgesamt immerhin 123 Hektar Gesamtrebfläche.
Grenzgänger auf beiden Seiten

Nur am Rande: Das Gundelsheimer Weingut Pavillon trieb lange rechts und links des Neckars in beiden Anbaugebieten Weinberge um: im rein württembergischen Gundelsheim, in Neckarzimmern, das politisch zu Baden gehört, weinbaulich aber zu Württemberg - und in Heinsheim, wo es genau umgekehrt ist. Die Verwirrung scheint komplett: In Kürnbach verläuft die Grenze mitten durch eine Schwarzriesling-Anlage der Familie Grahm. Das aufstrebende Weingut Gravino macht das Beste draus, nämlich eine baden-württembergische Cuvée namens "Grenzgänger".
Einige Top-Winzer
Dass die Früchte der Natur gerade unter grenzwertigen Bedingungen hervorragend gedeihen und besonders feinrassige Weine hervorbringen, ist bekannt. So stellt der Kraichgau einige überregional beachtete Standesvertreter: von Claus Burmeister, der mit Burg Ravensburg in Sulzfeld und Heitlinger in Tiefenbach gleich zwei Top-Güter führt, über Philipp Plag aus Kürnbach, der schon etliche Deutsche Lemberger- und Rotweinpreise eingeheimst hat, bis hin zu Adrian Zimmer aus Odenheim, dessen Schwester Katharina 2015/16 als erste Kraichgauerin überhaupt Deutsche Weinkönigin war.
Weiße Burgunder Charta
Die Region hat sogar eine Art Alleinstellungsmerkmal: Mit knapp 20 Prozent von 1400 Hektar Rebfläche stellt der Kraichgau den größten Weißburgunder-Anteil weltweit, rechnet Burmeister vor. Dies hat ihn 2014 zur Bildung der Vereinigung "Weiße Burgunder Charta" inspiriert. 14 Kollegen aus dem Kraichgau und dem Nachbargebiet Badische Bergstraße wollen damit die "weißen Flecken" auf den Weinkarten bekannter machen, aber auch ihre Hauptsorte: etwa über gemeinsame Präsentationen, über die mit der Dualen Hochschule Heilbronn (DHBW) gegründete Weinakademie oder etwa über internationale Symposien. Denn gerade im Kraichgau wissen nicht nur die von der Sonne strapazierten Weingärtner: Hinterm Horizont geht"s weiter.
Eine kleine Weinbaugeschichte
Nicht etwa die Römer, sondern Mönche waren es, die im Mittelalter von Burgund her die ersten Reben in den Kraichgau brachten: um daraus Messwein zu gewinnen, aber auch für medizinische Zwecke. Der Weinhistoriker Daniel Deckers sagte einmal: "Weinanbau im Kraichgau hat nichts mit Romantik zu tun, das ist eine Geschichte wiederholten Scheiterns." Die guten Böden wurden von je her vornehmlich für andere, lukrativere landwirtschaftliche Produkte genutzt. Weinbau wurde und wird deshalb in Hanglagen betrieben, nach Süden hin: auf heute insgesamt 1400 Hektar. Gleichzeitig hatten Kriege die Region immer wieder zurückgeworfen, bis es mit dem Bau der Eppinger Linien gelang, den Kraichgau als Durchzugsregion plündernder Truppen abzuriegeln.
Den Beginn des Qualitätsanbaus markierte vor 200 Jahren der Freiherr Göler von Burg Ravensburg. Die Region blieb lange genossenschaftlich geprägt. In den Wirtschaftswunderjahren lebten die Kraichgauer Weinbauern von der Masse. Aufgeschreckt durch Skandale in der Pfalz, in Österreich und Südtirol, aber auch durch den erhöhten Konkurrenzdruck setzen seit Mitte der 1980er immer mehr Winzer auf Qualität.