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Frauenfußball im Kraichgau: Hinter der TSG Hoffenheim klafft eine große Lücke

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Einst gab es im Kraichgau mehrere höherklassige Frauen-Teams. Heute spielen viele nur noch Kleinfeld, falls überhaupt. Eine Bestandsaufnahme.

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Nicole Billa hält mit Hoffenheim die Kraichgauer Fahnen im Frauen-Fußball hoch: Die TSG stellt neben seinem Erstliga-Team auch einen Zweitligisten, Hoffenheim III spielt in der Landesliga − selbst da gibt es kaum Konkurrenz vor der Haustür.
Nicole Billa hält mit Hoffenheim die Kraichgauer Fahnen im Frauen-Fußball hoch: Die TSG stellt neben seinem Erstliga-Team auch einen Zweitligisten, Hoffenheim III spielt in der Landesliga − selbst da gibt es kaum Konkurrenz vor der Haustür.  Foto: Uwe Anspach

Die Anja Mathis von früher hätte im Kraichgau heute keine Wahl. Bundesliga oder nichts: Das wären die einzigen Optionen für die ehemalige Fußballerin und langjährige Funktionärin der SG Kirchardt. Könnte es sich die 50-Jährige aussuchen, wäre die Sache eindeutig. "Wenn ich noch einmal 25 wäre, würde ich gerne bei der TSG Hoffenheim spielen", sagt Anja Mathis. Wieder Bundesliga, so wie damals, Anfang der 1990er Jahre, als sie zwei Jahre für die SC Klinge Seckach in der Bundesliga kickte. Die Alternativen im Kraichgau sind weniger verlockend, wenn man wie Anja Mathis einen Leistungsgedanken verfolgt.

In den 90er Jahren war der Frauenfußball breiter aufgestellt

Hinter den Bundesliga-Frauen klafft eine große Lücke, die bis in die Landesliga hinab reicht und da bezeichnenderweise von Hoffenheim selbst geschlossen wird, der dritten Mannschaft der TSG. Auch die SpG Reichartshausen und der TSV Waldangelloch kicken noch in dieser untersten Großfeld-Klasse am Tabellenende mit - der Rest, die anderen fünf Teams spielen Kleinfeld. "Das wäre nichts für mich gewesen", sagt Anja Mathis, deren Anspruch ein anderer war.

Als die 50-Jährige selber noch die Stiefel schnürte, waren auf der Kraichgau-Karte zwar nicht unbedingt mehr Teams zu finden. Dafür aber mehr höherklassiger Frauen-Fußball. Die SG Kirchardt, für die Mathis vor und nach ihrer Bundesliga-Zeit spielte, war immerhin stolzer Oberligist. "Wir waren der Vorzeigeverein im Kreis Sinsheim", sagt Mathis. In der Verbandsliga gab es damals noch den FVS Sulzfeld, in der Landesliga den SV Sinsheim. Keine schlechte Auswahl für ambitionierte Spielerinnen. "In den 90er Jahren gab es noch richtig was", sagt Mathis. Heute hat von diesen drei Vereinen nur noch Sulzfeld eine Kleinfeld-Mannschaft.

Bundesliga gespielt, aber das Spritgeld selbst bezahlt

Anja Mathis war einst Abteilungsleiterin bei der SG Kirchardt.
Anja Mathis war einst Abteilungsleiterin bei der SG Kirchardt.  Foto: Bertok

Anja Mathis hat mit 30 Jahren aufgehört zu spielen, danach verabschiedete sich auch der Frauen-Fußball aus dem Verein. Eine Kostenfrage. Der finanzielle Aufwand war zu groß geworden. Als Spielerin war es aber alles andere als lukrativ, in der Bundesliga zu spielen. "Ich habe sogar mein Spritgeld selber bezahlt", sagt Anja Mathis, die bis 2015 Frauen-Beauftragte des Badischen Fußball-Verbands war. In die badische Auswahl berufen worden zu sein, lohnte sich immerhin ein wenig. "Da gab es ein bisschen Geld und wir sind rumgekommen." Hier Turniere an der Ostsee und in Ungarn, da ein Trip an die Cote d"Azur. Es geht schlimmer.

Seitdem hat sich freilich was getan, in der Bundesliga werden Spielerinnen heutzutage bezahlt, wenngleich wenige Vollprofis sind. "Wir müssen Dietmar Hopp dankbar sein, dass er sein Geld in den Verein steckt", findet Anja Mathis, die froh ist, "dass wir die TSG haben". Während auch andere Männer-Bundesligisten inzwischen das Potenzial des Frauen-Fußballs für sich entdeckt haben und ihr Engagement intensivieren, ist die Luft an der Basis zumindest im Kraichgau gefühlt dünner geworden. Die Pandemie hat das beschleunigt. "Der Boom ist vorbei", sagt Stefanie Hausruckinger.

Personaldecke ist extrem ausgedünnt

Die frühere Teamkollegin von Mathis in Seckach und in Kirchardt hat die Entwicklung quasi live miterlebt. Bis vor ein paar Monaten war die 56-Jährige noch Abteilungsleiterin der Frauen bei der SG Untergimpern/Babstadt und stand bis zu einer Fußverletzung auch noch regelmäßig auf dem Platz. Bis Corona auf dem Großfeld. Seitdem ist nur noch Kleinfeld drin. "Die Personaldecke ist zu dünn geworden", sagt Hausruckinger. Fällt eine Spielerin weg, entsteht eine kaum mehr zuschließende Lücke. Eine eigene Jugend hat der kleine Ort nicht.

"Es gibt nicht mehr so viele Mädchen, die Fußballspielen wollen", erklärt die ehemalige Bundesligaspielerin. Noch reicht es für die Kleinfeldrunde. Wenngleich es sportlich um nichts geht. "Es gibt keinen Aufsteiger", sagt Hausruckinger. Meister könnte die SG werden, sie führt die Tabelle mit sechs Punkten Vorsprung an. Doch das nächste Problem zeichnet sich bereits ab. Die Torhüterin möchte im Sommer aufhören. "Sie ist schon 50", sagt Hausruckinger. Einen Ersatz zu finden, wird schwierig. Es gibt zwei Mädchen im Team, die gäben eine gute Torhüterin ab. "Aber wir brauchen sie draußen", sagt Hausruckinger.

An anderen Standorten sieht es selten besser aus. Eine schmalere Basis vor der Haustür dürfte selbst in Hoffenheim niemandem gefallen. Aber ist der Kraichgau in Bezug auf Frauen-Fußball gleich ein Entwicklungsland? Anja Mathis findet nicht. "Ich bin erstaunt, wie viele Mannschaften es hier noch gibt." Die 50-Jährige akzeptiert, dass viele Spielerinnen nur noch zum Spaß auflaufen, der Leistungsgedanke keine so große Rolle mehr spielt. Für Mathis selber wäre das aber nichts, sie war in ihrer Zeit gut aufgehoben.

 
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