Württembergs älteste Weinstadt im Um- und Aufbruch
In Heilbronn wurzeln die Reben besonders tief. Aktuell ist vieles im Umbruch, aber auch im Aufwind. Neben Deutschlands größter WG bieten 23 Güter eigenen Wein an, vor 20 Jahren waren es noch 35.

Dass der Wein in Heilbronn von jeher eine wichtige Rolle spielt, ist bekannt und unübersehbar: weniger in der City, wo demnächst im Deutschhof endlich die erste reine Wein-Bar eröffnen will, umso mehr aber am östlichen Stadtrand mit einer wahren Rebenarena. Dass sich Heilbronn sogar mit dem Titel "Älteste Weinstadt Württembergs" schmücken darf, war Wengertern und Marketingexperten lange gar nicht bewusst. Beinahe verschwitzten sie deshalb 2016 das Jubiläum 1250 Jahre Weinbau in Heilbronn, hätte sie Weinkritiker Rudolf Knoll nicht darauf hingewiesen.
Doktorarbeit von Theodor Heuss
Dabei tippt der spätere Bundespräsident Theodor Heuss bereits 1905 in seiner Doktorarbeit über den Weinbau seiner Heimatstadt die Ersterwähnung an. Im Lorscher Codex (LC) ist nämlich schon 776 von Weinbergen in Böckingen, Biberach und Frankenbach die Rede, also von Reben in späteren Heilbronner Stadtteilen. Während dort heute kaum noch ein Rebstock steht, umfasst die Rebfläche in der Kernstadt plus Sontheim, Horkheim und Klingenberg insgesamt 507 Hektar. Mehr Fläche haben in Württemberg (insgesamt 11.370 ha), nur Brackenheim (812) und Lauffen (586), während Stuttgart 406 ha zählt.
Das Sortenspektrum umfasst wie fast überall in der Region 20 Hauptsorten, von Riesling, Trollinger, Lemberger, Schwarzriesling und anderen Burgundern bis hin zu robusten Neuzüchtungen, wobei Heilbronn zwei Besonderheiten zu bieten hat: Samtrot und Clevner. Beides sind rote Burgunder-Mutationen, die Hermann Schneider (1879-1955) entdeckte und kultivierte. Er saß nach dem Zweiten Weltkrieg auch im Stuttgarter Landtag und bildet mit der Haag-Dynastie die Speerspitze einer ganzen Reihe politisch überregional aktiver Standesvertreter, bis hin zu Richard Drautz (1953-2014), der über Gemeinderat und Landtag zum Staatssekretär avancierte.
Etliche Vorzeigebetriebe
Richard Drautz war als Barriquewein- und Sauvignon-Blanc-Pionier neben Gerhard Strecker (1929-2016) vom Amalienhof Vordenker einer ganzen Generation. Zudem führte "Ritschi" Drautz das Weingut Drautz-Able in den Elite-Club der Deutschen Prädikatsweingüter, dessen Regionalsektion heute von seinem Sohn Markus geleitet wird.
Zweiter Heilbronner VDP-ler ist Kistenmacher-Hengerer. Weinführer zählen zudem G.A. Heinrich zu den besten deutschen Betrieben. Schäfer-Heinrich und Andreas Stutz, der den Württemberger Ecovin-Verband leitet, gelten als top Ökos. Weitere ambitionierte Jungwinzer wie Felix Springer, Alexander Bauer, Viola Albrecht oder Denis Gurrath bringen frischen Wind in die Szene. Erstmals im Gault Millau auftauchen, wird nach Stimme-Informationen im Juli die Genossenschaftskellerei, wo ein anderen Jungwinzer gar Geschäftsführer ist: Daniel Drautz (31).
Es ist nicht mehr alles Gold
Mit 1480 ha ist die Heilbronner die größte deutsche Genossenschaft mit eigenem Wein, und nebenbei die einzige mit Rebschule. Während dahinter 1250 Mitglieder stehen, die Hälfte mit eigenem Betrieb, gibt es im Stadtgebiet 23 Güter, die ihren Wein selber ausbauen und vermarkten, vor 20 Jahren waren es noch 35. Selbst renommierte Namen wie Drautz-Hengerer oder Reinhold Zaiss sind verschwunden, ein Zeichen dafür, dass in der Branche längst nicht mehr alles Gold ist: vor allem durch die Internationalisierung und Discountisierung des Marktes rentiert sich für manche der Weinbau kaum noch, weshalb die nachwachsende Generation teils nicht mehr weitermacht und sich lukrativere Berufe sucht.

Neben dem reinen Weinverkauf und den seit eh und je florierenden Besenwirtschaften graben die Wengerter neue Wertschöpfungsquellen an. Größter Imagebringer ist nach wie vor das 1971 aus der Taufe gehobene Weindorf im September, aus dem wegen zweier Corona-Pausen die Dachmarke "Heilbronner Weinsommer" mit Hunderten dezentralen Events erwachsen ist.

Ambitionierte Winzer reihen sich in die 2001 gegründeten Wein-Villa ein, in der dank Karl Seiter, dem langjährigen WG-Chef und Mentor des Standes, Genossen und Güter der Schulterschluss gelungen ist. So wurde die Wein-Villa zu einem Erfolgsbringer der Buga 2019. Davon inspiriert hat sie 2021 an der Neckarbühne einen dauerhaften Weinausschank etabliert, und auf dem Wartberg einen, der zumindest an Sommerwochenenden geöffnet ist.
Der Wartberg gilt nicht nur als Wahrzeichen und Top-Lage, auf ihn hinauf führt auch der von Urgestein Adolf Heinrich initiierte und von seinem Sohn Martin mit dem Verkehrsverein weitergeführte Wein-Panorama-Weg. An seinen über zwei Dutzend lehrreichen Stationen kann man jederzeit tiefer in die Geschichte des Heilbronner Weinbaus eintauchen. Und am Martin-Heinrich-Wengerthäusle die Aussicht genießen - und natürlich viele Heilbronner Weine.