Nicht nur in Heilbronn: Es müssen noch viel mehr Gaskraftwerke gebaut werden
Am Standort Stuttgart-Münster ist ein wasserstofffähiges Gaskraftwerk in Bau. Ein weiteres folgt in Heilbronn. Doch nach Ansicht von EnBW-Vorstand Georg Stamatelopoulos reicht das nicht.

Ein imposantes hellblaues Stahlträgergerüst wächst gerade in die Höhe, daneben reckt sich das frisch betonierte Treppenhaus samt Aufzugsschacht empor. Auf dem Gelände des Kohle- und Müllkraftwerks Stuttgart-Münster läuft der Bau des ersten wasserstofffähigen Gaskraftwerks in Baden-Württemberg.

250 Millionen Euro investiert der Energiekonzern EnBW in das Projekt. Und zwei weitere Gaskraftwerke folgen demnächst: in Heilbronn und in Altbach - Spatenstich soll jeweils noch im Herbst sein. Gesamt-Projektkosten: 1,5 Milliarden Euro.
Alleine Baden-Württemberg benötigt sieben bis acht Gigawatt Kapazität
Dass dies nicht das Ende der Neubau-Serie im Land sein dürfte, machte EnBW-Vorstand Georg Stamatelopoulos am Mittwoch bei einem Baustellenrundgang deutlich. Die drei neuen Gaskraftwerke plus das kleine, bereits umgestellte Kraftwerk Stuttgart-Gaisburg kommen insgesamt auf eine Leistung von 1,5 Gigawatt.
Für ganz Baden-Württemberg beziffert der Vorstand den Bedarf aber auf sieben bis acht Gigawatt, die eigentlich bis zum Kohleausstieg in Betrieb gehen müssen, spätestens jedoch bis 2040, dem Jahr, in dem Baden-Württemberg klimaneutral sein will.
Viele EnBW-Standorte kommen für Gaskraftwerke infrage
Rein rechnerisch bedeutet das noch mindestens weitere zehn Kraftwerke in der Größenordnung der Projekte Heilbronn und Altbach. Möglich seien aber auch viele kleinere, dezentrale Anlagen, so der Vorstand. Ob auch das Kohlekraftwerk Karlsruhe auf Gas umgestellt wird, werde im Konzern gerade geprüft.
Für den Standort Mannheim liege die Entscheidung bei den drei Gesellschaftern gemeinsam - neben der EnBW sind dies die Versorger RWE und MVV. Und auch die Standorte Walheim und Marbach will Stamatelopoulos nicht ausschließen. "Unsere Standorte haben den Vorteil, dass dort noch Platz für weitere Anlagen wäre."
Habeck plant Auktion für wasserstofffähige Gaskraftwerke
Ob es aber so kommt, wird sich Anfang 2024 erweisen. Dann will das Bundeswirtschaftsministerium eine Auktion für weitere wasserstofffähige Gaskraftwerke starten. Das kündigte Minister Robert Habeck am Vortag an. "Vieles ist aber noch im Unklaren", sagte Stamatelopoulos: Förderhöhe, Voraussetzungen und ob es eine Unterteilung für Deutschland geben wird. "Der Bedarf entsteht eher im Süden der Republik. Da wäre eine Berücksichtigung sehr zu begrüßen", sagte der Vorstand. Auch den im Koalitionsvertrag vorgesehenen Kohleausstieg für 2030 sieht er noch nicht als gegeben an. "Die Frage ist ja auch: Wird es ab 2030 genügend Wasserstoff geben? Aus unserer Sicht bedarf es einer gewissen Flexibilität bei dem Termin."
Ohnehin betonte Stamatelopoulos wiederholt, dass die EnBW zwar plane, 2028 ihre Kohlekraftwerke abzuschalten - aber das hänge davon ab, ob die Energiewende dafür weit genug vorangeschritten sei. Falls dies nicht der Fall sei, könnten die Kohleblöcke in der Netzreserve bleiben. "Wir werden die Versorgungssicherheit nicht gefährden", stellte er klar.
EnBW-Kohleblöcke nur 200 Stunden im Jahr am Netz
Die neun Kohleblöcke der EnBW, die bereits zur Netzreserve zählen - darunter Heilbronn 5 und 6 - seien zwar im Schnitt nur 200 Stunden im Jahr in Betrieb. Und von einem ähnlichen Bedarf sei auch für die neuen Gaskraftwerke auszugehen, sagte der Vorstand. Dennoch seien sie als sogenannten disponible Leistung unerlässlich, um einzuspringen, wenn kein Wind weht und es dunkel ist, also weder Windkraft noch Photovoltaik genug Strom liefern. "Ich hatte früher gesagt, dass Norddeutschland dann Süddeutschland ausgleicht. Inzwischen ist klar, dass das nicht stimmt", sagte Stamatelopoulos. "Wenn Flaute herrscht, ist ganz Europa betroffen."
Insgesamt wird nach EnBW-Berechnungen in Deutschland disponible Leistung von 49 Gigawatt benötigt - im optimistischsten Szenario, andere gingen sogar von 80 Gigawatt aus. Davon seien 31 Gigawatt, vorwiegend als Gaskraftwerke, bereits vorhanden, mindestens 18 Gigawatt müssten also neu errichtet werden. Die Bauzeit für ein Gaskraftwerk wie Stuttgart-Münster betrage von der Planung und Genehmigung bis zur Fertigstellung mindestens viereinhalb Jahre. Und bereits jetzt gebe es Lieferengpässe bei den Herstellern von Turbinen und anderen Komponenten. Kurzum: "Es wird ambitioniert."
Testlauf für Brennstoffzellen-Kraftwerk
Am Geothermiekraftwerk Bruchsal will die EnBW eine Brennstoffzellenanlage errichten. Das Kraftwerk soll Mitte nächsten Jahres in Betrieb gehen und eine elektrische Gesamtleistung von 300 Kilowatt haben, teilte das Unternehmen am Mittwoch mit. Neben der Stromerzeugung könne auch Fernwärme erzeugt werden, der Wirkungsgrad liege dann bei 85 Prozent. Der Strom soll zur Eigenversorgung der Geothermieanlage genutzt oder vermarktet werden. In Bruchsal will die EnBW Robustheit, Langlebigkeit, Effizienz und Wirtschaftlichkeit der Anlage über einen langen Zeitraum testen.