Winzer und deutscher Wein in der Krise – "Das funktioniert auf Dauer nicht"
Sinkender Konsum, Schwierigkeiten beim Export: Bei der 71. Württemberger Weinbautagung in Weinsberg gab es "toxische Aussichten" für die Branche. Doch manches macht Mut.

Zwischen Frustverstärkern und Mutmachern bewegte sich die 71. Württemberger Weinbautagung. 700 Teilnehmer waren online dabei, 120 im Saal der Weinbauschule Weinsberg. "In unruhigen Zeiten", so Gastgeber Dr. Dieter Blankenhorn, stieß auch Landesagrarminister Peter Hauk dazu. Mit Blick auf den sinkenden Weinkonsum meinte er: "Wenn es im Inland nicht mehr läuft, müssen wir eben den Export forcieren, schließlich können wir nicht nur Autos."
Leider sei das zuständige Deutsche Weininstitut "schlecht aufgestellt", wie er in Japan festgestellt habe, wo in Supermärkten Tropfen aus aller Welt die Regale füllten, "und Deutschwein ein Schattendasein" friste. Hauk kündigte ein "Strategiepapier Weinbau" an, das aufzeige, wie die Branche auf die Krise reagieren könne. "Wir dürfen trotz allem nicht den Kopf in den Sand stecken", meinte der Nordbadener. "Ich jedenfalls bleibe optimistisch."
Schieflage im Weinbau: Keine rosigen Aussichten für Württemberger Wengerter
Ein düsteres Bild zeichnete indes Dr. Jürgen Oberhofer vom Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum (DLR) Rheinpfalz auf. Während die Gewinne der Winzer in der Pfalz und in Rheinhessen zuletzt steil nach oben zeigten, stagnierten sie in Württemberg seit Jahren, die Erlöse seien stark gesunken, die Kosten enorm gestiegen. "Ich bin jetzt 40 Jahre dabei, aber so schlimm wie jetzt war's noch nie. Das funktioniert auf Dauer nicht", meinte er. Während alle von Nachhaltigkeit sprächen, sei dies vielleicht ökologisch gegeben, "nicht aber ökonomisch und sozial".
Die Kosten, vor allem für (Saison-)Arbeitskräfte und Maschinen, dürften weiter steigen, Überschüsse auf dem Weltweinmarkt die Preise weiter drücken: trotz Destillation und Rodungen. Gleichzeitig müssten immer mehr Verbraucher sparen. Und mit dem demografischen Wandel würde die Zahl der Weintrinker enorm sinken, weil "alkoholfrei das neue vegan wird". Oberhofer: "Das sind mehr als toxische Aussichten."
An Flächen-Stilllegungen führt wohl kein Weg vorbei
Kosten sparen ließen sich durch weitere Betriebsvergrößerungen kaum, eher durch den sogenannten Minimalschnitt der Reben und durch robuste Sorten, die weniger Arbeitsaufwand erfordern. Auch Oberhofer forderte mehr Export, "wovon wir schon 40 Jahre reden". Um Angebot und Nachfrage ins Lot zu bringen, seien Flächenstilllegungen von bis zu 15 Prozent notwendig, "sonst zieht es alle weiter nach unten". Deshalb forderte er von der Politik "Prämien für Rodungen, statt für "widersinnige" Neuanpflanzen.
Offen bleiben muss naturgemäß, ob die vagen Denkanstöße für die Weiterentwicklung und Diversifizierung, die danach Dr. Bodo-Wolfram Hager und Andreas Oppermann gaben, bei den Winzern ankommen.
Zwei schöne Vorzeige-Projekte, die Mut machen
Wie es gut laufen kann, zeigten zwei Praktiker. Perspektiven für terrassierte Steillagen öffnete Christian Kaiser von der Lembergerland Kellerei Rosswag, über die 39 Wengerter durch Anteilscheine von 400 Paten zusätzlich 8000 Euro/Hektar einstreichen. Jeder Terrassen-Pate gibt jährlich 365 Euro und bekommt dafür "einen Korb voll Weinkultur": ein Namensschild im Wengert, ein Zertifikat mit GPS-Koordinaten, er wird zum digitalen Weinstammtisch geladen, zu Führungen und zur Lese. Zudem gibt es als eine Art Naturaldividende Wein.
Durch und durch positiv führte Conny Lehr aus Markelsheim vor Augen, wie sie und ihre Familie den landwirtschaftlichen Jakobshof "mit Fleiß, Herzblut und Mut" und durch zusätzliche energetische, vor allem aber touristische Standbeine zukunftsfähig hält: von Führungen und Weinberg-Rundfahrten über Übernachtungs-Fässer und Wohnungen für Feriengäste bis zur Brennerei und allerhand Events.