Verwerflich, aber keine Straftat: Erbschleicher suchen sich einsame und hilfebedürftige Opfer
Erbschleicherei erfüllt nicht immer einen Straftatbestand. Schließlich dürfen geschäftsfähige Senioren mit ihrem Vermögen tun, was sie wollen. Die Polizei hat es dennoch mit möglichen Verdachtsfällen von Betrug oder Unterschlagung zu tun.

Fälle von Erbschleicherei beschäftigen den Münchner Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Böh seit etwa 20 Jahren. "Seitdem wächst die Problematik jedes Jahr", sagt der 46-Jährige. Gründe sind: Viele betagte Menschen sind alleinstehend. Die Kinder leben häufiger weit weg. Und die Vermögenswerte, die zu vererben sind, wachsen an. All das ist ein Nährboden für Zwistigkeiten unter Menschen, die sich streiten, ob sich jemand auf unmoralische Art bereichert hat. Oder ob jemand einen alten Menschen so beeinflusst, dass dieser ihn im Testament berücksichtigt oder ihm zu Lebzeiten ein kleines Vermögen überlässt.
Ein Fall, bei dem es um viel Geld geht, beschäftigt derzeit das Landgericht Heilbronn. Beschuldigt ist eine Frau, die als Mitarbeiterin der Volksbank Sulmtal in Obersulm für einen Senior tätig war. "Darüber hinaus bestand eine jahrelange persönliche Verbindung zur Familie", erklärt eine Sprecherin des Landgerichts.
Bankmitarbeiterin bekommt Generalvollmacht vom Notar – Fall landet vor Landgericht Heilbronn
Der Senior erteilte der Bankmitarbeiterin vor Jahren eine notarielle General- und Vorsorgevollmacht. Als der Senior von der Frau Auskunft und Rechnungslegung über die von ihr getätigten Geschäfte einforderte, soll sie dem nicht nachgekommen sein. Daraufhin klagte der Senior im Dezember 2022 sein Recht ein. Bevor der Prozess zu Ende war, starb er. An seine Stelle trat nun seine Tochter als Klägerin und fordert, dass die Bankmitarbeiterin von den Geschäften berichtet.
Es geht um Überweisungen, Bargeldabhebungen und Geldtransfers, um den Verbleib von Wertgegenständen aus einem Bankschließfach, um Schmuck und eine Schenkung via Sparbuch, erklärt die Gerichtssprecherin. Nach Angaben der Tochter des verstorbenen Seniors belaufe sich die Summe auf mehr als eine Million Euro. Der Verteidiger der Beschuldigten beantragte vor Gericht Klageabweisung. Eine Entscheidung ist noch nicht gefallen. Parallel zu dem Prozess ermittelt die Staatsanwaltschaft Heilbronn wegen des Tatvorwurfs des Betrugs und der Untreue seit mehr als einem Jahr gegen die Bankmitarbeiterin.
Polizeisprecher: Nicht alles, was verwerflich erscheint, ist eine Straftat
Erbstreitigkeiten beschäftigen die Polizei hin und wieder, sagt Manuel Unser, Sprecher des Heilbronner Präsidiums. Geprüft wird, ob etwa ein Betrug, Unterschlagung, Diebstahl oder Untreue vorliegt. Wenn die Oma ihrem Enkel freiwillig jede Woche 200 Euro gibt, sei nichts dagegen einzuwenden. So lange die Seniorin geschäftsfähig sei. "Manches ist vielleicht als verwerflich anzusehen, es erfüllt aber nicht immer einen Straftatbestand."
In Berlin beschäftigt sich ein Fachkommissariat beim Landeskriminalamt mit dem Missbrauch von Vorsorgevollmachten, sagt Polizeikommissarin Isabelle Suschlik. In der Regel werden Seniorinnen und Senioren ausgenutzt, die aufgrund von Alter, Krankheit, Pflegebedürftigkeit und Alleinsein auf Unterstützung angewiesen sind. "Durch Vorsorgevollmachten und Ehen gelangen Tatverdächtige in eine privilegierte Position." Sie bereicherten sich finanziell. "Es sind häufig Frauen im mittleren Alter, die derartige Taten begehen", sagt Suschlik. Bei den Verdächtigen handele es sich meistens um Verwandte, Bekannte, um Nachbarn, Haushaltshilfen oder Pflegekräfte. Oft seien es Gelegenheitstäterinnen, die spontan und aus der Situation heraus handeln. "Es sind aber zunehmend auch Fremdtäter festzustellen, die gezielt alleinstehende vermögende Personen aussuchen, die Hilfe benötigen."
Berliner Polizei erkennt Tatmuster
Die Berliner Polizei erkennt Tatmuster. "Die Ermittler sprechen von Gutmachen, Schlechtmachen und Wegmachen." Beispiel: Ein älterer Mensch kann alltägliche Aufgaben nicht mehr bewältigen, wird pflegebedürftig und sucht sich Hilfe. Tatverdächtige erschleichen sich gezielt das Vertrauen der pflegebedürftigen Person. Sie bieten scheinbar selbstlos Hilfe an. Sie bringen die Post mit, tragen den Einkauf oder führen den Hund aus. Andere Täter treten als Dienstleister in Erscheinung und erledigen Arbeiten im Garten, im Haushalt oder übernehmen Fahrdienste.
Täter treiben Keil zwischen Opfer und Familie
"Sofern Angehörige da sind, schöpfen diese selten Verdacht", meint Polizeikommissarin Suschlik. Meist seien sie sogar froh, dass der Vater oder die Mutter so eine nette Hilfe habe. Wenn die Täterinnen oder Täter das Vertrauen des Seniors erlangt haben, also das "Gutmachen" erfolgt sei, sorgten sie im nächsten Schritt dafür, dass der Kontakt zu anderen abnimmt. Täter gaukelten Senioren vor, dass die Kinder sich nicht melden, obwohl das nicht stimmt. Den Angehörigen erzählen sie am Telefon oder auch beim Besuch, dass der Senior oder die Seniorin gerade unpässlich sei, schlafe, Freunde besuche oder beim Arzt wäre. Häufig kündigten die Täter sogar den Festnetzanschluss und erklärten der pflegebedürftigen Person, dass eine technische Störung vorliege. Täter erzählen dem alten Menschen, die Angehörigen sagten, sie seien eine Last geworden und kosteten nur noch Geld. Dieses "Schlechtmachen" werde gezielt mit der Angst geschürt, bald in ein Heim geschickt oder unter Betreuung gestellt zu werden.
Den letzten Schritt bezeichnet Suschlik als "Wegmachen". Die Täterinnen erschleichen sich eine Vollmacht oder streben eine Ehe an, um so Zugriff auf das Vermögen zu erlangen. Der alte, einsame und abhängige Mensch erhoffe sich weiter Unterstützung. Die Opfer verlieren ihr Vermögen, oft sogar die Wohnung. Damit einher gingen häufig körperliche Schäden, die zum Teil auf unterlassene Hilfe zurückzuführen seien.
Tipp von Rechtsanwalt: Pflegekraft hin und wieder austauschen
"Die freie Willensbildung wird von außen beeinflusst", beschreibt der Münchner Rechtsanwalt Böh das Vorgehen von Erbschleichern. Diese nutzten Abhängigkeiten aus und arbeiteten mit Drohungen. "Sie treiben einen Keil zwischen Opfer und Familie." Angehörige sollten immer versuchen, Ansprechpartner zu bleiben, rät Böh. Eine Möglichkeit, Erbschleicherei vorzubeugen, sei beispielsweise Pflegepersonal regelmäßig auszutauschen oder in den Arbeitsvertrag ein Schenkungsverbot aufzunehmen. Außerdem könnten Familienangehörige von dementen Menschen eine Betreuungsvollmacht beim Amtsgericht beantragen.
Eine Beschäftigte der Volksbank Sulmtal mit Hauptsitz in Obersulm besaß eine notarielle General- und Vorsorgevollmacht eines Mannes, der inzwischen verstorben ist. Nun klagt dessen Tochter auf Auskunft über die getätigten Geschäfte. Nach Angaben des Volksbankvorsitzenden Torsten Scholze dürfen Mitarbeiter wie andere Menschen auch solche Vollmachten wahrnehmen. Bei den Bankgeschäften gelte eine erhöhte Sorgfaltspflicht und ein Vier-Augen-Prinzip. Außerdem erhielten Kunden, die eine derartige Vollmacht erteilen, "zwingend jährlich ihre Kontoauszüge".