Kommt das Jahrhundertgift PFAS auch aus Bad Wimpfen?
18 europäische Medien schlagen nach gemeinsamen Recherchen Alarm. Tausende Orte allein in Deutschland sind mit den Chemikalien verseucht. Solvay sieht sich zu Unrecht als Mitverursacher genannt.

Sie waren einst der Zukunftsstoff, aus dem auch Teflon hergestellt wurde, jetzt werden sie Jahrhundertgifte oder Ewigkeits-Chemikalien genannt. Die Rede ist von PFAS, perfluorierte Alkylsubstanzen. Viele dieser Stoffe sind krebserregend und inzwischen überall in der Umwelt zu finden.
Ein Rechercheteam von 18 europäischen Medien hat jetzt Alarm geschlagen und eine Übersicht von tausenden Orten in Europa veröffentlicht, die mit PFAS verseucht sind. Als einer von sechs Produktionsorten in Deutschland wird genannt: Bad Wimpfen.
Vor allem die Herstellung und die Verarbeitung verursachen Probleme
Die Gruppe der per- und polyfluorierten Chemikalien umfasst mehrere tausend Stoffe. Sie werden eingesetzt bei der Computerchipproduktion, in Medikamenten, für Kosmetika oder in Outdoorkleidung. In verarbeiteter Form - etwa als fertige Teflon-Beschichtung in der Pfanne - sind sie überwiegend ungefährlich.
Bei der Herstellung und Verarbeitung können sie jedoch in die Umwelt gelangen und dort in fast jedem Organismus Schaden anrichten. Sie reichern sich häufig im Körper an und können sogar über die Muttermilch an Neugeborene übergehen.
Für jede verbotene Substanz war schnell Ersatz gefunden
Einzelne der Substanzen wurden bereits verboten, aber umgehend durch ähnliche ersetzt. Nun will die EU alle verbieten - wenn sie nicht unersetzlich sind, wie etwa in der Medizin. Die Industrie wehrt sich mit allen Mitteln.
Vor diesem Hintergrund hat das Journalistennetzwerk recherchiert, wo sich PFAS im Grundwasser und im Boden befindet - wo also bereits Altlasten zu beseitigen sind, bevor neue Lasten produziert werden.
Bei Altötting durften Bewohner nicht mehr zum Blutspenden
Ein besonders eindrückliches Beispiel zeigte der Beitrag des ARD-Magazins Panorama am Donnerstagabend. Bei Altötting, im Chemiepark Gendorf, wurde bis Anfang der 2000er Perfluoroktansäure PFOA hergestellt. Es gelangte ins Trinkwasser und so in die Körper der Bewohner. In Blutspenden aus dem Ort Emmerting war die PFOA-Konzentration so hoch, dass sie nicht mehr für Transfusionen genutzt werden durften.
Das Trinkwasser wird inzwischen gefiltert. Die Konzentrationen im Blut der Menschen sind wieder gesunken. Entwarnung wird damit noch nicht gegeben.
Das Solvay-Werk in Bad Wimpfen gibt es seit dem 19. Jahrhundert. Seit vielen Jahrzehnten hat es sich auf die Produktion von Fluor-Verbindungen spezialisiert. Hier wird vor allem Fluorwasserstoff hergestellt, und daraus weitere Fluorprodukte.
In Bad Wimpfen gibt es PFAS gemäß der OECD-Definition, aber...
Auf Anfrage unserer Redaktion teilt Solvay in Brüssel mit, dass Bad Wimpfen der einzige Standort in Deutschland sei, der PFAS entsprechend der OECD-Definition herstelle. Dies seien Spezialprodukte für die Pflanzenschutz- und Medikamentenproduktion.
Alle diese Substanzen enthielten aber sehr wenige Kohlenstoffatome und würden sich somit im Körper nicht anreichern. "Aus diesem Grund setzt sich Solvay für eine Differenzierung der verschiedenen PFAS-Stoffe ein." Mitarbeiter aus dem Werk bestätigten diese Angaben. Was als "gefährlicher Stoff" gelte, was im weitesten Sinne der Stoffgruppe der PFAS zuzuordnen sei, dafür gebe es großen Interpretationsspielraum, erklärt eine Person, die anonym bleiben möchte.
TFA im Neckar
In die Kritik geraten war Solvay 2016 wegen der Einleitung des Salzes Trifluoracetat (TFA) in den Neckar. Die Mengen wurden seitdem auf Betreiben des Regierungspräsidiums Stuttgart um rund 90 Prozent reduziert, wie Solvay mitteilt. Das Umweltbundesamt hat TFA 2021 als "besorgniserregenden Stoff" bezeichnet, zugleich aber auch auf die geringe Giftigkeit hingewiesen. Im Körper reichert er sich nicht an.
Das Regierungspräsidium Stuttgart nimmt Solvay in Bad Wimpfen, was die PFAS-Diskussion angeht, etwas aus der Schusslinie: "Ob TFA der PFAS-Gruppe überhaupt zuzuordnen ist, ist nicht abschließend geklärt. TFA ist keine langkettige fluorierte Alkylverbindung." In einer vom RP zugelassenen geringen Menge dürfe TFA über das Abwasser der Firma Solvay weiterhin in den Neckar eingeleitet werden.
Die Belastungen in Deutschland und in der Region
Eine interaktive Karte auf tagesschau.de zeigt nachgewiesene PFAS-Belastungen in Deutschland. Beim Chemiepark Gendorf in Bayern wurden zuletzt 1.179.447 Nanogramm gemessen. Im Grundwasser bei Rastatt waren 2016 1461 Nanogramm gemessen worden - wo über Jahre verseuchter Kompost aus der Papierindustrie auf den Feldern verteilt wurde. Im Bad Wimpfener Grundwasser waren 2016 dagegen nur 31 Nanogramm festgestellt worden, ein paar Kilometer weiter neckarabwärts in Haßmersheim 47, in Mosbach-Neckarelz 17. Im Grundwasser bei der Firma Domesle in Heilbronn ist die Belastung im Raum Heilbronn am höchsten. 132 Nanogramm wurden 2019 dort gemessen. In Bretzfeld liegt der Wert 2017 bei 150, in Altkrautheim am Remondis-Standort bei 224 Nanogramm.




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