Zusammenspiel der Institutionen verbessern
Experten diskutieren im Bildungscampus Heilbronn über gelingenden Unterricht. Wie können ukrainische Kinder noch besser gefördert werden?

Mit der Frage, wie die Beschulung ukrainischer Kinder im deutschen Schulsystem gelingen kann, hat sich eine hochkarätig besetzte Expertenrunde im Bildungscampus Heilbronn beschäftigt. Rund 16 000 ukrainische Kinder besuchen nach Angaben von Sandra Boser, Staatssekretärin im Kultusministerium, derzeit die Schulen in Baden-Württemberg.
Vielschichtige Probleme
Die Herausforderungen für die Politik sind hoch, die Probleme vielschichtig. "Wir wissen nicht genau, wo die Ukrainer ankommen und ob schulpflichtige Kinder dabei sind", so Boser. Schulen, die Bedarf haben, solche Kinder aufzunehmen und zu unterrichten, sollten sich im Rahmen einer Online-Abfrage beim Kultusministerium melden.
Die Staatssekretärin wies auf ein Portal hin, in dem 1600 pensionierte Lehrer, darunter auch Ukrainer, hinterlegt sind. 400 Verträge seien bereits geschlossen worden. Grundsätzlich bedarf es laut Boser einer zielgerichteten Steuerung. Dazu sieht sie einen besseren Austausch zwischen Kommunen, Schulen und Schulämtern als notwendig an.
Anders als bei der Flüchtlingswelle von 2015 seien nun viele Schüler mit einem hohen Bildungsstand unter den Ankommenden. Allerdings dürfe man sich nicht nur auf die Ukrainer konzentrieren, denn es gebe auch Migration aus anderen Ländern. So biete man umfassende Bildungsangebote und entsprechende Informationen auch online an. Darüber hinaus gibt es Schwierigkeiten, das personelle Angebot an Lehrern zu stellen. Sandra Boser: "Wir setzen alle Hebel in Bewegung, um auch Quereinsteiger zu bekommen."
Ergänzender Ukrainisch-Unterricht
Die per Video zugeschaltete Oksana Zahzou, eine ukrainische Lehrerin im Bildungszentrum West in Ludwigsburg, berichtete aus der Praxis. Sie bestätigte, dass man für die ukrainischen Kinder nicht ausschließlich Deutschunterricht auf Anfängerniveau benötigt. "Wir haben derzeit fünf Kinder aus der Ukraine und sind gut vorbereitet, brauchen aber nicht nur Vorbereitungsklassen, sondern intensive Deutschkurse, weil die Kinder sehr ehrgeizig sind."
Froh zeigte sie sich über die ergänzenden Ukrainisch-Angebote. 180 ukrainische Schüler besuchen laut der Heilbronner Sozialbürgermeisterin Agnes Christner derzeit die Schulen der Stadt, aber auch in den privaten Schulen sei das Engagement groß: "Aber die Kräfte sind endlich, es muss eine Entlastung kommen, und hier empfehle ich, den Schulen Freiräume zu geben, wie sie die Schüler integrieren."
Den Ball nahm Marco Haaf gerne auf. Viele dieser Kinder leiden unter posttraumatischen Belastungsstörungen. Sie müssten zunächst einmal an ihrem neuen Ort ankommen. "Wir brauchen die Freiräume, und wir brauchen Ressourcen. Aber wir haben kein Personal", machte der Schulleiter des Albert-Schweitzer-Gymnasiums Neckarsulm auf die Herausforderungen aufmerksam.
Ein weiteres Thema in dieser Gemengelage ist der muttersprachliche Unterricht. "Ich finde es gut, dass wir diese Diskussion führen", sagte Sandra Boser. Ulrich Trautwein, Professor für Empirische Bildungsforschung an der Universität Tübingen, hatte zuvor auf die Bedeutung hingewiesen. "Die ukrainischen Schulabschlüsse müssen hier gemacht werden können. Die Kinder werden auf jeden Fall viele gute Erfahrungen mitnehmen, unabhängig davon, ob sie in Deutschland bleiben oder wieder zurückkehren." Das freute vor allem Oksana Zahzou, die mit 30 bis 40 ukrainischen Lehrern in direktem Kontakt steht. "Ich sehe hier ein sehr großes Potenzial."
Was den allgemeinen Lehrermangel betrifft, so sprachen sich die Fachleute für eine Differenzierung aus. "Die Lage ist nicht so dramatisch, wie oft dargestellt", sagte Marco Haaf. Vor allem an den Gymnasien sei die Versorgung noch gut, ergänzte Sandra Boser: "Unser größtes Problem haben wir in den Grundschulen."
Wissenschaftliches Gutachten mit Empfehlungen
Ein Gutachten der ständigen wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz (Stäwiko) hat Ende März sechs Empfehlungen abgegeben, wie Kinder und Jugendliche aus der Ukraine hierzulande unterstützt werden können. Ulrich Trautwein präsentierte die Ergebnisse und machte dabei deutlich: "Wir haben hier eine Daueraufgabe. Migration und Krisen werden wir nämlich immer haben. Darauf müssen wir uns einstellen." Die Wissenschaftler regten in ihrem Empfehlungskatalog die Unterstützung bei der Verarbeitung traumatischer Erfahrungen an - außerdem die Förderung in der Bildungssprache Deutsch und Zugang zum Fachunterricht.
Ferner wünschen sie Bildungsangebote in ukrainischer Sprache als unterrichtsergänzende Angebote, Förderung der Integration in neue Freundschaftsnetzwerke sowie die Entwicklung von Qualifizierungs- und Weiterbildungsangeboten für ukrainische Lehrkräfte. Und sechstens soll die digitale Beschulung genutzt werden. Trautwein fordert, dass man sich besser auf Migration einstelle müsse und empfiehlt, eine bessere Verbindung zwischen Schule und Wissenschaft zu schaffen.
Muttersprache
Im Rahmen des Diskussionsforums "Wissenschaft und Praxis im Dialog: Zwischen Integration und kultureller Identität - Herausforderungen der Beschulung ukrainischer Kinder und Jugendlicher im deutschen Schulsystem" im Bildungscampus Heilbronn erklärte die Staatssekretärin im Kultusministerium Sandra Bose, dass 124 Ukrainer an den Schulen in Baden-Württemberg eingestellt sind. Dies solle den muttersprachlichen Unterricht fördern.
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