Nachgefragt bei Heilbronner Mode-Experten: Sind die Tage der Krawatte gezählt?
Im Gespräch mit Heilbronner Einzelhändlern wird deutlich: Krawatten sind auf dem absteigenden Ast. Was eine veränderte Unternehmenskultur damit zu tun hat und welches Modeaccessoire sein Comeback feiert.

Anzug, Hemd, Krawatte: In den vergangenen Jahrzehnten war dieser Dresscode in den meisten Unternehmen eine Selbstverständlichkeit. Wer heute mit offenen Augen durch die Welt geht, dem dürfte auffallen, dass der Schlips immer weniger um den Hals vieler Männer hängt.
Der Heilbronner Einzelhandel bestätigt den Eindruck: „Die Nachfrage ist seit gut zehn Jahren rückläufig“, beobachtet etwa Wolfgang Frommer, der die Herrenabteilung vom Modehaus Palm leitet und für den Einkauf zuständig ist. Vor allem in den vergangenen Corona-Jahren habe niemand nach einem Schlips gefragt, sagt der 58-Jährige mit Blick auf Homeoffice und Co. „Das Thema lag unter der Erde.“ Zehn Jahre habe man den Niedergang der Krawatte begleitet.
Dresscode = Unternehmens- und Geschmackssache
Politiker oder Männer in Führungspositionen, die keine Krawatte tragen, findet Frommer „furchtbar“. In so einer Position gewollt auf lässig zu machen, sei im Gegensatz zu einem Startup nicht von Vorteil. Erst kürzlich hat der Abteilungsleiter den Krawatten-Bestand wieder aufgestockt, da die Nachfrage wieder anziehe. „Es wird wieder ein Umdenken stattfinden und die Krawatte wie Phönix aus der Asche steigen“, sagt Frommer mit einem Augenzwinkern.
Auch Melanie Grümmer, Store Managerin bei dem Bekleidungsgeschäft Pursuits, spricht von einer geringen Nachfrage in den vergangenen Jahren. Als die Corona-Pandemie ausbrach, sei der Rückgang am deutlichsten zu beobachten gewesen. Für Grümmer verständlich, denn: „Viele waren im Homeoffice.“ Parallel dazu sei der Dresscode in vielen Unternehmen lässiger geworden. Ein Sakko kombiniert mit Chinohosen oder Jogpants werde mittlerweile häufiger getragen.
Die Fliege feiert ihr Comeback
Währenddessen feiert laut Melanie Grümmer ein anderes Modeaccessoire ihr Comeback: die Fliege. „Sie ist etwas schicker als die Krawatte und wird häufig zu Veranstaltungen wie Weihnachtsfeiern, Hochzeiten oder Galas getragen.“ Eins steht für die Modeexpertin, die selbst gern Anzug und Schlips trägt, fest: „Die Krawatte wird immer Thema sein und nicht aussterben.“
Ähnlich äußert sich Samuel Cano, der Ladeninhaber von Dressman Exklusive Herrenmode ist. „Krawatten sind in der letzten Zeit out gewesen.“ Männer seien oftmals froh, wenn sie keinen Schlips tragen müssten. Dies sei ein Punkt, den er öfters von Kunden zu hören bekomme. Auch wenn die Nachfrage zwar wieder anziehe, werden Fliegen derzeit besser verkauft, beobachtet Schneidermeister Cano.
Flache Hierarchien, legerer Kleidungsstil
Laut Michael Ruf, Professor für Internationales Personalmanagement an der Hochschule Heilbronn, gibt es vor allem zwei Gründe, warum die Krawatte derzeit auf dem absteigenden Ast ist: Die Kultur vieler Unternehmen entwickle sich zunehmend von einer konservativen, hierarchisch organisierten zu einer offeneren und kollegialeren, um für die nachfolgende Arbeitnehmer-Generation attraktiver zu sein.
Der zweite Grund sei der, dass Unternehmen im Zuge der digitalen Transformation innovativer werden und eine Start-up-Atmosphäre schaffen wollen. Dazu zählen laut dem Professor nicht nur Tischkicker oder hippe Lounges, sondern auch ein legerer Dresscode. Für Bewerber sei es dennoch nicht einfach, den Durchblick zu behalten. „Zu einem Vorstellungsgespräch bei Ikea wird niemand mit einem Anzug kommen. Bei Geschäftsbanken dagegen schon eher.“ Michael Ruf empfiehlt, sich bei einem Unternehmen zu erkundigen, bevor es zum Vorstellungsgespräch geht. Im Zweifel sei overdressed zu sein, immer besser.
Woher die Krawatte kommt
Der Begriff Krawatte stammt aus dem französischen „à la cravate“ und bedeutet übersetzt „nach kroatischer Art“. Es waren nämlich die Kroaten, die den Schlips erfanden. Im 17. Jahrhundert marschierten kroatische Soldaten vor dem französischem König Louis XVI. auf. Dabei trugen sie ein verknotetes Tuch um den Hals. Daraufhin hat sich die Krawatte unter dem französischem Adel verbreitet, zwar in einer anderen Form, als sie heute bekannt ist, der Grundstein aber war gelegt



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