“Im Zeichen des Schlafes“: Schlaftherapeutin aus Löwenstein läuft Jakobsweg
Reisen können den Schlafrhythmus durcheinander bringen – besonders, wenn man den Jakobsweg wandert. Das hat Schlaftherapeutin Carola Graf aus Löwenstein gemacht und aus der Extremsituation gelernt.

Carola Graf ist Schlaftherapeutin und kennt sich somit mit den Mythen rund ums Schlafen aus. Außerdem leitet sie eine eigene Praxis in Löwenstein. Im Herbst 2023 beschließt sie spontan, den Jakobsweg zu gehen. Auf den knapp 900 Kilometern zwischen Irun und Santiago de Compostela kommt sie in so manche nächtliche Extremsituation – und lernt damit umzugehen.
Frau Graf, Sie sind eigentlich Schlaftherapeutin und haben eine eigene Praxis – was genau hat Sie dazu bewegt, diese Reise auf sich zu nehmen?
Carola Graf: Eigentlich habe ich schon länger darüber nachgedacht, sogar vor 20 Jahren schon einmal. Dann kam im vergangenen Jahr eine Praxisänderung. In der Zeit des Umbruchs habe ich ganz viele Projekte ins Leben gerufen, habe mein Praxisprogramm ausgearbeitet und habe alles gemacht, was nötig war, um zu starten. Ich habe aber schnell gemerkt: Irgendwas blockiert mich noch. Um mich zu sammeln, mich zu stärken und zu mir zu kommen – und vielleicht auch für das letzte Quäntchen Selbstvertrauen – habe ich für mich beschlossen: Jetzt ist die richtige Zeit. Zwei Wochen später saß ich im Flugzeug nach Spanien. Im Prinzip habe ich alles zugemacht und gesagt: ‚Ich bin dann mal weg‘ – im Zeichen des Schlafes. (lacht)
Steckt in der Reise also vielleicht auch ein Hauch von Eigentherapie?
Graf: Mir war natürlich bewusst, dass es nicht einfach sein wird, in den Unterkünften zu schlafen. Aber genau darüber wollte ich recherchieren. Genau das sollte meine Expedition werden. […] Einige nächtlichen Erlebnisse mögen sich jetzt vielleicht ganz grausam anhören, aber ich möchte betonen, dass ich auch freiwillig in den Pilgerherbergen übernachtet habe. Ich habe die Gesellschaft der anderen Menschen sehr genossen, die gemeinsamen Gespräche und das Kochen zum Beispiel.
Besonders in den schwierigeren Zeiten wächst man ja bekanntlich über sich hinaus – was waren für Sie die größten Herausforderungen?
Graf: Zum einen natürlich, diese Entscheidung überhaupt zu treffen. Ich lasse alles hinter mir und gehe dieses Risiko ein. Und letztendlich auch zu erkennen, was tatsächlich damit zusammenhängt – diese körperliche und mentale Anstrengung. Die ersten Nächte wenig zu schlafen. Weil ich all die schlafhygienischen Maßnahmen, all die Regeln, die ich meinen Patienten mit ins Bett gebe, dort selbst ja gar nicht anwenden konnte.
Was hat es Ihnen da so schwer gemacht?
Graf: In Spanien gehen die Uhren ganz anders. Da gibt es manchmal erst um 21 Uhr Abendessen, um 22 Uhr schließt aber die Herberge. Und um 6 Uhr morgens wird man wieder geweckt. Insofern war das teilweise entgegen der inneren Uhr, aber auch wegen der Bedingungen extrem. Es gab Mehrbettzimmer mit teilweise bis zu 100 Schlafplätzen. Man wusste nie, wer lag da vorher schon drin, wie sauber ist das wirklich, wie gründlich wurde es gereinigt? Dann kam auch noch die Bettwanzen-Epidemie auf. Einige Pilger haben mir ihre Bisse gezeigt.
Was hat Ihnen geholfen, mit den nächtlichen Extrem-Situationen umzugehen?
Graf: Ich hatte immer mein eigenes Nackenkissen dabei. Das habe ich den ganzen Weg mitgetragen, obwohl es ja auch um jedes Gramm ging. Aber es ging mir dabei um die Liegequalität und auch um die Hygiene. Außerdem hatte ich sehr gute Ohrenstöpsel dabei. Aber die haben teilweise auch nicht ausgereicht – es gibt ja wirklich laut schnarchende Menschen. (lacht)
Können Sie sich noch an Ihre schlimmste Nacht erinnern? Was haben Sie dabei erlebt?
Graf: Das war ganz zu Beginn. Da lag ich neben einem extrem schnarchenden Franzosen – mit vielleicht 1,5 Meter Abstand. In der Nacht habe ich mich so hilflos gefühlt. Ich habe dann angefangen, mich zu ärgern – und das ist einfach das Schlimmste, was man in so einer Situation tun kann. In dem Moment aber empfand ich diesen Menschen als so rücksichtslos, da habe ich ihm sogar mit der Handytaschenlampe ins Gesicht geleuchtet – nur, dass er kurz aufwacht und kurze Zeit Stille herrscht. Nur, dass er dann eben sofort wieder einschlief und weiter schnarchte. (lacht)
Einfach weiterschlafen war da sicherlich unmöglich. Was haben Sie stattdessen gemacht?
Graf: Irgendwann kam dann der Moment, in dem ich nur noch dachte: Es hilft nur eins: Akzeptanz. Ich kann es nicht ändern – es hilft nichts, sich zu ärgern. Ich werde meinen Weg am nächsten Tag trotzdem gehen. Vielleicht bin ich etwas müder, etwas erschöpfter und werde die ein oder andere Pause mehr brauchen, aber ich muss das jetzt akzeptieren.
Einige Methoden waren da sicherlich hilfreicher – andere weniger. Welche Tipps würden Sie Ihren Patienten mit auf den Weg geben?
Graf: Ich habe in solchen Situationen versucht, mich zu entspannen. Meditation ging in dem Moment aber nicht. Dafür war ich wirklich zu aufgewühlt – ich musste tatsächlich etwas tun. Ich habe dann zum Beispiel Vokabeln gelernt. Das gebe ich meinen Patienten auch oft mit auf den Weg: Wenn sich meine Gedanken zu sehr aufdrängen, dann brauche ich etwas, wodurch ich sie lenken kann. Eine Fantasiereise, progressive Muskelentspannung oder ein Hörbuch zum Beispiel.
Die Reise auf dem Jakobsweg hat Sie also ein Stück weit auch in Ihrer Einstellung zum Schlaf gelehrt. Würden Sie Menschen mit Schlafproblemen zu einer solchen Erfahrung raten?
Graf: Grundsätzlich kann ich jedem nur empfehlen, diese Erfahrung zu machen. Eine Schlafstörung dadurch zu heilen – das könnte jedoch in einer Katastrophe enden. Ich kann jedem mit Schlafproblemen nur raten, diese als Erstes zu behandeln – und sich erst dann auf den Weg zu machen.
Zur Person
Carola Graf beschäftigt sich seit mehr als zehn Jahren mit dem Thema Schlaf. Als Heilpraktikerin für Psychotherapie und als Schlaftherapeutin leitet sie in Löwenstein eine eigene Praxis. Dort hilft sie ihren Patienten leichter ins Land der Träume zu finden. Ursprünglich stammt die 49-Jährige aus Obersulm. Im Herbst 2023 lief sie den Camino del Norte.



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