"Leute sind gespalten": Was die Stimmung in dieser Kleinstadt über die US-Wahl verrät
Die US-Stadt Riegelsville könnte aus Bilderbuch–Amerika stammen. Doch der Schein trügt. Die Präsidentschaftswahlen spalten den Ort wie den Rest des Bundesstaates Pennsylvania.
Die warmen Sonnenstrahlen fallen durch die Blätterpracht des Indian Summer. Sie tauchen das Gesicht der Bürgermeisterin in goldenes Licht. Vor dem Postamt hält Vivian Boenzli (45) nach dem fremden Reporter Ausschau. Sie brachte ihren Schweizer Ehemann Erich mit, der freimütig erzählt, warum sie auf die Interview-Anfrage zunächst nicht geantwortet hatte. „In diesen angespannten Tagen weiß man nie, mit wem man es zu tun hat.“
US-Wahl: Dieser Ort spiegelt tiefe Spaltung Amerikas wider
Das Postkarten-Idyll am Delaware River zieht weltweite Aufmerksamkeit auf sich. Riegelsville spiegelt die tiefe Spaltung Amerikas wider. 2020 holte Donald Trump in dem freundlichen Dorf mit 276 Stimmen genau zwei mehr als Joe Biden. Vor den bunten Holzhäuschen stehen vier Jahre später etwa gleich viele Werbetafeln für die Kandidaten im Vorgarten.
Riegelsville liegt auf halber Strecke zwischen Philadelphia und New York. Der Ort befindet sich am äußersten Rand von Bucks County, einem besonders hart umkämpften Wahlbezirk im ultimativen Swing State Pennsylvania. Ohne dessen 19 Wahlleutestimmen führt fast kein Weg ins Weiße Haus.
Wer könnte besser wissen, ob einige der Dorfbewohner ihre Meinung geändert haben als Bürgermeisterin Viane Boenzli? Sie zog vergangenen November mit 92 Prozent der Stimmen ins Rathaus. „Ich kenne niemanden“, sagt die freie Unternehmerin. Es gebe „ein paar registrierte Republikaner, die Harris wählen, weil sie Trump nicht mögen.“ Aber die wechselten schon vor acht Jahren die Seiten.
Dorfbewohner gehen politischen Gesprächen aus dem Weg
Die Dorfbewohner gingen politischen Gesprächen aus dem Weg. „Unsere Gemeinschaft und unsere Freundschaften sind uns wichtiger“, erklärt die Bürgermeisterin mit verlegenem Lächeln.
Das sagt auch Austin R. (45), der mit seiner Familie aus der einzigen Bäckerei des Ortes kommt. Leicht nervös blickt er über die Schulter. Sein Name soll nicht in der Zeitung stehen. „Die Leute sind gespalten“, beschreibt der Harris-Wähler die angespannte Stimmung im Alltag. „Die Lager haben sich tief eingegraben.“
Der republikanische Stadtrat Gary Chase zeigt sich „ziemlich sicher“, dass sich in Riegelsville schon alle entschieden haben. Trotz der Spaltung sei das freundliche Miteinander geblieben. So arbeite der drei zu drei gespaltene Dorfrat gut zusammen. Dennoch will Gary sich für die Geschichte nicht fotografieren lassen.
Demokratischer Gouverneur: "Schwankendster aller Swing-Countys"
In Riegelsville rumort es auf der Zielgeraden vor den Wahlen am 5. November unter der freundlichen Oberfläche. Der Ort entscheidet die Wahlen am 5. November nicht. Aber es kann einen Eindruck vermitteln, was in Bucks County insgesamt passiert.
Der demokratische Gouverneur von Pennsylvania, Josh Shapiro, bezeichnete den sich weit ausdehnenden Wahlbezirk vor den Toren Philadelphias als das „schwankendste aller Swing-Countys im schwankendsten aller Swing-Staaten“.

Im Unterschied zu den weiter nach links gedrifteten sogenannten „Collar“-Countys rund um Philly – Montgomery, Delaware und Chester – blieb Bucks stur in der Mitte. 204.000 als Republikaner registrierte Wähler stehen 200.000 Demokraten und 85.000 Unabhängigen gegenüber.
Trump in McDonald's-Filiale in Bucks County
Weltweite Schlagzeilen machte Bucks County gerade erst mit dem inszenierten Auftritt Trumps. In einer eigens für ihn abgesperrten McDonald’s Filiale in Feasterville reichte er für etwa 15 Minuten Pommes und Hamburger aus einem Drive-through-Fenster an Anhänger, die als Kunden posierten.
Harris hielt hier Mitte Oktober eine viel beachtete Demokratie-Rede. Sie sprach an dem Ort, an dem George Washington 1776 auf dem Weg zu seinem historischen Sieg im Unabhängigkeitskrieg den Delaware River überquerte. An ihrer Seite trat der Republikaner Jim Greenwood auf, der das County über 12 Jahre im Kongress vertreten hatte. Der Konservative führt nun die „Pennsylvania Republicans for Harris“ an.
Die andere Gruppe an möglichen Überläufern, auf die Harris hofft, sind konservative Frauen. Umfragen zeigen überall: Trumps Abtreibungspolitik während der ersten Amtszeit kommt wie ein Bumerang zurück. Dass in fast 20 Bundesstaaten legale Abtreibungen verbannt wurden oder so gut wie nicht mehr möglich sind, verstehen viele Amerikanerinnen als Angriff auf ihre persönliche Freiheit.
US-Wahl: Umfragen lassen Zitterpartie erwarten
Obamas ehemaliger Wahlguru David Plouffe hält es für denkbar, dass die Meinungsforscher diese Dynamik in den Umfragen nur teilweise abbilden. Aber er macht sich keine Illusionen. Die Umfragen lassen eine Zitterpartie erwarten. Am Ende kommt alles auf die Wählermobilisierung an.
Deshalb ziehen am letzten Wochenende vor den Wahlen in Bucks County noch einmal Heerscharen an Freiwilligen für Kamala Harris von Haustür zu Haustür. Trump lagerte die Wählermobilisierung an den reichsten Mann der Welt aus. Elon Musk schickt von ihm bezahlte Kolonnen los. Sie klopfen nicht mit Herzblut, sondern für bare Münze an die Haustüren.

Beide Kandidaten statteten keinem Staat so viele Besuche ab wie Pennsylvania. An diesem Montagabend wird Harris zu Schlusskundgebungen des Wahlkampfs noch einmal nach Philly und Pittsburgh kommen. Das Gerücht hält sich hartnäckig, dass Pop-Ikone Taylor Swift auftritt, um Harris letzten Schub zu verleihen.
Golfkriegsveteran: "Ich will von diesen Spannungen nichts wissen"
In Riegelsville gibt es mindestens einen Unentschiedenen. Frank Schulze (59) fegt vor seinem Haus am Delaware das bunte Herbstlaub zusammen. Er unterbricht seine Arbeit für einen spontanen Rundgang durch den malerischen Ort.
Der Golfkriegsveteran denkt, dass Trump „ein guter Präsident“ war. Aber er mag nicht, wie er spricht. Seine Bier-Freunde wollen ihn am Dienstag mit zur Wahl schleppen. Danach kehren hoffentlich wieder ruhigere Zeiten in Riegelsville ein. Dann fährt er am Fluss Fahrrad oder geht jagen. „Ich will von diesen Spannungen nichts wissen.“
Bürgermeisterin Boenzli hofft darauf, dass Riegelsville wieder zum gemächlichen Leben des „Postkarten-Idylls“ zurückkehren kann. Zu einem Ort, an dem die Menschen ihre Türen offen stehen lassen und einander helfen. Wie nach Halloween, als das ganze Dorf nach dem verlorenen Spielzeug eines Mädchens suchte.
Eine Prognose über den Ausgang der Wahlen wagt sie nicht. Übertragen auf die neun Millionen Wähler Pennsylvanias reichte es, wenn an Orten wie Riegelsville „eine Handvoll Stimmen“ die Seiten wechselten.
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