Was passiert bei einer Niederlage von Trump? Zu Besuch im Epizentrum der Wahlleugner
Donald Trump plant schon für den Tag nach den Wahlen. Ein aufrechter Landrat und sein Wahlleiter wehren sich gegen die Versuche ihrer Partei, im Fall einer Niederlage Trumps Maricopa County zum Schauplatz der „Großen Lüge 2.0“ zu machen.
Wer die politische Landschaft von Arizona verstehen will, muss auf den South Mountain fahren. Von hier oben eröffnet sich ein Panoramablick auf Maricopa County, einen gewaltigen urbanen Siedlungsraum in der Sonora-Wüste. Neben Phoenix gehören auch die florierenden Städte Scottsdale, Mesa, Tempe und Glendale dazu. Fünf der sieben Millionen Einwohner des Südweststaats leben in dem zweitgrößten Wahlbezirk der USA. Hier entscheidet sich maßgeblich, wer die elf Wahlleute-Stimmen des Swing States gewinnt – und ins Weiße Haus einzieht.
Vor den Wahlen am kommenden Dienstag ziehen düstere Wolken über dem „Tal der Sonne“ auf. Das Wahlzentrum in Downtown Phoenix (MCTEC) hat sich zu einer uneinnehmbaren Festung verwandelt. In den vergangenen Tagen errichteten Arbeiter drei Ringe aus zwei Meter hohen Metallzäunen und Betonbarrieren, hinter denen bewaffnete Sicherheitskräfte stehen. Der Zugang erfolgt durch Metalldetektoren und vorbei an weiteren Polizisten.
Wahlzentrum in Phoenix: Bewachung durch Scharfschützen und Drohnen
Schon jetzt überwachen Kameras jeden Winkel des Raums, in dem am 5. November Millionen Stimmen ausgezählt werden. „Es fühlt sich dystopisch an“, räumt der Wahlleiter von Maricopa County, Stephen Richer, ein, der seit Monaten für diesen Tag plant. Aber leider sei dies notwendig geworden. Am Wahltag liegen zusätzlich Scharfschützen auf den Dächern, patrouilliert berittene Polizei die Straßen und sichern Drohnen den Luftraum.
Willkommen am Ground Zero der großen Lüge – Schauplatz von Chaos und Gewalt nach den Präsidentschaftswahlen vor vier Jahren. Damals gab ein Mob hier einen Vorgeschmack, was sich später am 6. Januar 2021 beim Sturm radikaler Anhänger Donald Trumps auf das Capitol in Washington wiederholen sollte.
Nach Trump-Niederlage: Republikaner wird zur Zielscheibe des Hasses
Auch Bill Gates blickt auf seinem Arbeitsweg regelmäßig in den Rückspiegel. Seit sich der Vorsitzende des Bezirksrats von Maricopa County weigerte, Trumps Behauptungen über die angeblich gestohlene Wahl zu unterstützen, ist der lebenslange Republikaner zur Zielscheibe des Hasses geworden. Trump hatte die Wahl in Maricopa County mit 45.000 Stimmen verloren. Das verhalf Joe Biden zu seinem knappen Sieg mit 10.457 Stimmen in Arizona.
Weil sich Gates wie der republikanische Parlamentspräsident Rusty Bowers weigerte, die Ergebnisse zu manipulieren, posten Trump-Anhänger Fotos von Galgen. Privat erhielt Drohanrufe. „Wir werden dich aufhängen, du Verräter!“, dröhnt es auf einer seiner Voicemails. Zweimal musste der Sheriff Gates und seine Familie aus dem Privathaus an einen sicheren Ort bringen.
Auch jetzt bleibt die Lage angespannt. Der Zugang zu seinem Büro in der obersten Etage des Verwaltungssitzes von Maricopa County führt durch eine Sicherheitsschleuse. Er fühle sich hier oben „sicher“, sagt der besonnene Mann, der so etwas wie ein deutscher Landrat ist.
Im US-Kongress dominieren die Rechtsradikalen des „Freedom Caucus“
Besonders schmerzlich ist für den Konservativen, dass die Angriffe aus den eigenen Reihen kommen. Die Republikaner hätten sich unter Trump radikalisiert. In Arizona sei die Partei von Leuten übernommen worden, „die unsere Demokratie untergraben wollen, indem sie Zweifel an unserem Wahlsystem säen“.
Den Ton geben jetzt Figuren wie Senats-Kandidatin Kari Lake an, die weder Trumps Niederlage 2020 noch ihre eigene bei der Gouverneurswahl zwei Jahre später anerkennt. Das Staatsparlament und die Abgeordnetengruppe im US-Kongress dominieren heute die Rechtsradikalen des „Freedom Caucus“.
Verschwunden sind dagegen Moderate wie Bowers, den die Partei bei den innerparteilichen Vorwahlen für seine Prinzipientreue abstrafte. Ebenso wie Wahlleiter Richer. Nach Ablauf seiner Amtszeit im Januar könnte ein Verfechter der großen Lüge ihn ersetzen. Gates verzichtet freiwillig darauf, eine weitere Amtszeit anzustreben.
Gates: „Wir sind Ground Zero der Wahlleugner“
Er spricht offen darüber, wie er bis heute unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet. Nach- oder Aufgeben kommt für ihn vor seiner letzten großen Aufgabe aber nicht infrage. Gates weiß, dass nicht nur Arizona, sondern die USA und die ganze Welt nach Maricopa County schauen. „Wir sind Ground Zero der Wahlleugner“, bestätigt der Landrat.
Auch Wahlleiter Richer schmeißt nicht einfach hin. Er bietet Politikern persönliche Führungen an. Laut Sprecherin Taylor Kinnerup haben weder der Ex-Präsident noch sein Wahlkampfteam Anfragen gestellt. „Nicht, dass ich wüsste.“ Stattdessen halten die Einschüchterungsversuche an. Viele Kirchen und Schulen zogen ihre Bereitschaft zurück, als eines der 246 Wahllokale zu dienen.
„Es fühlt sich ähnlich an wie 2022“, beschreibt Landrat Gates die Stimmung vor den Wahlen. Er überlässt Spekulationen über die Strategie Trumps anderen und konzentriert sich darauf, dass in Maricopa County alles geordnet verläuft.
„Große Lüge 2.0“ zeichnet sich im Fall einer Wahlniederlage des MAGA-Kandidaten ab
Dabei zeichnet sich die „Große Lüge 2.0“ im Fall einer Wahlniederlage des MAGA-Kandidaten schon ab. Trump nimmt dabei die fünfzehn bis zwanzig Swing Counties in den sieben Swing States ins Visier, die ähnlich wie Maricopa überproportionalen Einfluss auf den Ausgang der Wahlen haben.
Die Republikaner heuerten USA-weit 200.000 „Wahlbeobachter“ an, die vor allem in diesen Swing Counties Auffälligkeiten dokumentieren und an Anwälte melden sollen. Die Berichte der Beobachter sollen Material für mögliche Klagen nach der Wahl liefern.
Im Fall einer Niederlage könnte Trump versuchen, die Integrität der Wahlergebnisse gezielt in diesen Counties infrage zu stellen. Das Ziel wäre, den Wählerwillen zu umgehen und die Staatsparlamente Wahlleute aufstellen zu lassen. Damit wäre der Kongress am Zug, in dem die Republikaner eine Mehrheit hätten.
Umfrage: Mehrheit der Trump-Unterstützer befürchtet Wahlbetrug
Bei seinen Anhängern hat Trump den Boden dafür bereitet. Laut einer aktuellen Umfrage des Radiosenders NPR befürchtet eine überwältigende Mehrheit seiner Unterstützer Wahlbetrug. Bei Harris-Anhängern sind es nur knapp ein Drittel.
Der aufrechte Landrat Gates und sein Wahlleiter Richer lassen sich nicht einschüchtern. Dafür geht es um zu viel. „Die Demokratie steht auf der Kippe“, sagt der Held aus dem „Tal der Sonne“ in seinem Büro. Er werde sich mit aller Kraft gegen Manipulationen stemmen, „egal, wie hoch der persönliche Preis sein mag.“
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