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Staatsschützerin Wegener: Hass-Delikte gefährden unser Wertefundament

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Der Trend ist eindeutig: Das Landeskriminalamt Berlin muss in immer mehr Fällen von Hasskriminalität ermitteln. Die Staatsschützerin Sarah Marisa Wegener, Leiterin der Auswerteeinheit im LKA-Dezernat 53, erklärt im Interview, warum der Hass meist vorurteilsgetrieben ist.

von Hans-Jürgen Deglow
Staatsschützerin Sarah-Marisa Wegener vom LKA Berlin. Foto: LKA Berlin
Staatsschützerin Sarah-Marisa Wegener vom LKA Berlin. Foto: LKA Berlin

Das Gesetz zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität, das noch immer nicht in Kraft getreten ist, hält sie für sinnvoll, insbesondere betont sie die Meldepflicht der Netzwerkanbieter gegenüber dem Bundeskriminalamt. Sie plädiert auch für mehr Prävention und Aufklärungsarbeit.

 

Frau Wegener, wie sehr hat die Verrohung der Kommunikation in digitaler und analoger Welt zugenommen, sowohl was die Quantität, als auch die Schärfe der Inhalte betrifft?

Sarah-Marisa Wegener: Über einen Zeitraum der vergangenen zehn Jahre kann ich aus Sicht der Polizei Berlin klar sagen: Die Fallzahlen der Hasskriminalität nehmen deutlich zu. Seit 2010 haben diese sich in Berlin in etwa verfünffacht. Im Jahr 2020 konnten wir rund 3600 Fälle verzeichnen. Hinzu kommt sicherlich noch eine hohe Dunkelziffer entsprechender Straftaten, die nicht zur Anzeige gebracht werden. Gerade was sogenanntes Hate Speech angeht, haben sich die Grenzen des Sagbaren leider immer weiter verschoben. Das ist eine schleichende Entwicklung. Mit dieser dürfen wir uns nicht abfinden und sollten sie keinesfalls als neue Normalität begreifen.

 

Wie würden Sie die Opfer - und die Täter - von Hasskriminalität beschreiben?

Wegener: Festzustellen ist, dass Opfer von Hasskriminalität verhältnismäßig stark unter den gegen sie gerichteten Straftaten leiden. Zurückzuführen ist dies unter anderem darauf, dass Hasskriminalität mehrere Wirkebenen entfaltet. Grundlage von Hasskriminalität sind immer Vorurteile gegenüber Angehörigen machtschwacher, diskriminierter gesellschaftlicher Gruppen. Damit meine ich zum Beispiel Menschen mit Migrationsgeschichte oder LSBTIQA-Personen, aber auch Menschen jüdischen Glaubens und Frauen. Ich finde den Begriff der Vorurteilskriminalität daher treffender.

 

Wie wirkt dieser vorurteilsgeleitete Hass?

Wegener: Durch entsprechende Taten wird in erster Linie natürlich der betroffene Mensch verletzt. Häufig handelt es sich um sehr persönliche Angriffe. Das Opfer steht allerdings auch stellvertretend für eine bestimmte gesellschaftliche Gruppe, gegen die die Täter und Täterinnen Vorurteile hegen, die für sie handlungsleitend sind. Darüber hinaus können derartige Straftaten zugleich das Sicherheitsgefühl anderer diskriminierter Gruppen beeinträchtigen, die sich aufgrund einer ähnlichen Situation mit dem Opfer identifizieren und sich fragen müssen, ob sie als nächstes an der Reihe sind. Schließlich kann Hasskriminalität auch negative Auswirkungen auf unsere Gesellschaft als Ganze haben.

 

Und was ist mit den Tätern?

Wegener: Mit Blick auf die Täterinnen und Täter von Hasskriminalität lässt sich aufgrund entsprechender Studien konstatieren, dass diese sich oftmals nicht nur gegenüber einer bestimmten Gruppe feindselig verhalten. Das ist aus meiner Sicht plausibel, denn eine Voraussetzung für gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ist doch, dass Täter und Täterinnen von einer grundsätzlichen Ungleichheit beziehungsweise Ungleichwertigkeit bestimmter Menschengruppen ausgehen, die nicht dem eigenen Stereotyp entsprechen. Eine solche Einstellung kann sich also gegenüber verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen manifestieren und nicht nur gegenüber einer ganz bestimmten.

 

Haben Sie ein konkretes Beispiel?

Wegener: Am Fall des Attentäters von Halle lässt sich das Prinzip gut veranschaulichen: Zu Beginn seines Livestreams gab er zunächst Menschen jüdischen Glaubens, aber auch Frauen die Schuld an von ihm empfundenen Missständen. Sein primäres Ziel war es, in eine Synagoge einzudringen und die darin befindlichen Menschen zu erschießen – der Anschlag war also grundsätzlich antisemitisch motiviert. Als er an der Eingangstür der Synagoge scheiterte, beschloss er anschließend, einen Dönerimbiss anzugreifen, was auch für ein ausländer- und fremdenfeindliches Motiv spricht.

 

Die Bundesregierung hatte sich nach dem rechtsextremistisch motivierten Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke auf ein Gesetz zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität verständigt. Es ist aber noch nicht in Kraft getreten. Wie sehr würde Ihnen das Gesetz bei Ihrer Arbeit helfen?

Wegener: Bei dem Gesetzesentwurf ist vor allem die Meldepflicht der Netzwerkanbieter gegenüber dem Bundeskriminalamt von Bedeutung. Bereits jetzt können Nutzerinnen und Nutzer Inhalte melden, die sie für rechtswidrig halten. Die Anbieter prüfen dann, ob diese Inhalte zu löschen oder zu sperren sind. Laut dem neuen Gesetzentwurf müssten bestimmte strafbare Inhalte künftig aber zwingend auch an das Bundeskriminalamt weitergeleitet werden. Die Meldepflicht trägt also dazu bei, dass die Sicherheitsbehörden auch von solchen strafbaren Äußerungen Kenntnis erlangen. Der vorgesehene Prozess würde Sicherheitsbehörden bei der Bekämpfung von Hasskriminalität im Internet sicherlich unterstützen.

 

Die Bundesregierung rechnet damit, dass sich aus den prognostizierten 250.000 zusätzlichen Meldungen rund 150.000 Ermittlungsverfahren ergeben werden . . .

Wegener: Wir stellen uns natürlich auf Mehrarbeit ein. Aber Beleidigungen, Bedrohungen und andere Delikte der Hasskriminalität dürfen weder im realen noch im virtuellen Leben einen Platz haben. Sie gefährden das Wertefundament unserer Gesellschaft.

 

Wie kann man sich die praktische Umsetzung denn vorstellen?

Wegener: Beim Bundeskriminalamt soll eine zentrale Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet eingerichtet werden. An diese Zentralstelle sollen die Netzwerkanbieter bestimmte strafbare Inhalte, die ihnen von Nutzerinnen und Nutzern angezeigt werden, übermitteln. Das Bundeskriminalamt unterzieht diese dann – ganz allgemein formuliert – mit staatsanwaltschaftlicher Unterstützung einer Vorprüfung, prüft die strafrechtliche Relevanz, erhebt Bestandsdaten und leitet sie anschließend an die örtlich zuständigen Polizeien der Länder weiter, wenn die Notwendigkeit für weitere Ermittlungen besteht. Ich betone gern: Diese Regelung ergibt absolut Sinn. Sie hilft den Sicherheitsbehörden im Kampf gegen Internetkriminalität. Die Verfolgung von Straftaten ist der nächste logische Schritt, der über das Sperren und Löschen hinausgeht.

 

Für die großen Netzwerke im Netz wäre dies tatsächlich eine große Veränderung.

Wegener: Bei den sozialen Netzwerkanbietern, die von der in Rede stehenden Regelung betroffen sind, handelt es sich um große, weltumspannende Konzerne, die ein Vermögen mit den von ihnen zur Verfügung gestellten Diensten verdienen. Wir haben insbesondere in den letzten Jahren gesehen, über welche Macht diese Anbieter verfügen, was gesellschaftliche und politische Debatten angeht. Ich persönlich begrüße daher die Entscheidung, soziale Netzwerkanbieter noch stärker in die damit einhergehende Verantwortung zu nehmen.

 

Sie betonen das Wort Gesellschaft . . .

Wegener: Ja. Die allgemeine Verrohung unserer Gesprächskultur und der damit einhergehende Anstieg von sog. Hate Speech betrifft uns doch tatsächlich als Gesamtgesellschaft, deshalb ist es auch unser aller Aufgabe, sich ihr entgegenzustellen. Als Polizei haben wir hier natürlich eine ganz wichtige Aufgabe. Was wir aber alle tun können ist, Hassmonologe nicht unwidersprochen hinzunehmen. Ich höre immer wieder von Expertinnen und Experten, dass mit sogenanntem Counter Speech ein wichtiger Beitrag geleistet werden kann. Dabei geht es nicht nur darum, dass Diskussionen und Meinungspluralismus elementare Grundlagen unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung darstellen, sondern auch darum, Solidarität mit den Opfern von Hasskriminalität zu zeigen.

 

Gehen die Täter nach Plan vor?

Wegener: Das hängt grundsätzlich vom Einzelfall ab. Es gibt sowohl gezielte als auch spontane, situationsbedingte Angriffe. Gerade bei Hate Speech im Internet finde ich es erschreckend, mit wie wenig Aufwand Täter und Täterinnen große Angst verbreiten können. Beleidigungen und Bedrohungen im Internet erfordern – gerade in der heutigen Zeit – keine speziellen Kenntnisse, vielmehr kann jeder etwas posten und das zudem anonym. Durch diese Anonymität und das damit einhergehende Gefühl der Sicherheit scheint auch die Hemmschwelle für entsprechende Taten viel niedriger zu sein. Die Wirkung bei den Opfern ist verhältnismäßig groß. Sie erleben mitunter, dass eine Masse an Hasspostings über sie hereinbricht. Aber natürlich gibt es auch digitale Akteure und Akteurinnen und Netzwerke, die ihre Online-Angriffe gezielt und koordiniert verüben.

 

Zur Person  

Die Volljuristin Sarah-Marisa Wegener (34) ist im Landeskriminalamt Berlin stellvertretende Leiterin des Dezernats 53 (LKA 53), das für „Politisch motivierte Kriminalität - rechts - und Hasskriminalität” zuständig ist. Zugleich ist sie Leiterin der Auswerteeinheit des LKA 53.

Wie kann Vorbeugung in der Praxis aussehen?

Wegener: Zunächst: Wir können gar nicht genug über dieses Thema reden und zuhören, wenn sich Menschen bedroht fühlen. Niemand wird der Polizei die Aufgabe bei der Strafverfolgung abnehmen können, aber Prävention ist nun einmal die beste Möglichkeit tätig zu werden, weil es dank ihr im besten Fall gar nicht erst zu Straftaten kommt. Meines Erachtens sollten Aufklärung und Prävention bereits auf dem Schulhof beginnen, im Klassenzimmer, und sich am Arbeitsplatz und in unserem Alltag fortsetzen. Die Strafverfolgung ist unser schärfstes Schwert, aber es kann leider nicht überall sein. Deshalb sind auch Prävention und Aufklärungsarbeit so wichtig.

 

Sollten wir besser darauf achten, wo wir uns informieren, weil Fake News auch Hass schüren?

Wegener: Ja, absolut. Wir müssen Quellenkritik, das heißt die sorgfältige Überprüfung der Entstehungsbedingungen und Motive einer Quelle, viel ernster nehmen. An Universitäten gehört Quellenkritik in vielen Studienfächern zur Pflichtdisziplin. Jedoch sollte sich diese Kompetenz nicht auf den akademischen Bereich beschränken. Ein quellenkritischer Blick sollte Menschen schon in der Schule vermittelt werden. Damit fördern wir junge Menschen auf ihrem Weg zu mündigen, aufgeklärten Bürgern und Bürgerinnen.

 

Reicht das vorhandene Instrumentarium des Strafrechts aus, damit Sie und Ihr Team das ganze Spektrum von Hass und Hetze erfassen können?

Wegener: Meines Erachtens verfügen wir über solide gesetzliche Grundlagen zur Strafverfolgung. Dennoch gibt es sowohl im materiellen Strafrecht als auch im Strafprozessrecht Aspekte, bei denen ich mir eine Weiterentwicklung wünschen würde. So ist es beispielsweise für eine erfolgreiche Strafverfolgung unerlässlich, über eine zügige Bestandsdatenauskunft Täter und Täterinnen identifizieren zu können. Auch stellen wir immer wieder fest, dass eine Strafverfolgung zum Beispiel wegen Volksverhetzung nach § 130 StGB mitunter daran scheitert, dass das Merkmal der Öffentlichkeit nicht erfüllt ist. Ähnlich verhält es sich beim Straftatbestand des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen nach § 86a StGB, bei dem die Öffentlichkeit ebenfalls Voraussetzung ist.

 

Was ist der einfachste Weg für Betroffene oder Zeugen, der Polizei eine mögliche Straftat zu melden? 

Wegener: Aus meiner Sicht ist der bequemste Weg die Strafanzeige über die Internet- oder Onlinewachen der verschiedenen Polizeien. Das gilt für Hasskriminalität in der realen und der virtuellen Welt, aber auch für alle anderen Straftaten. Durch eine möglichst detaillierte Erfassung des Sachverhaltes wird der Polizei ermöglicht, diesen einzuordnen und zügig an die zuständige Dienststelle zu übermitteln.

 

 

 

 

Staatsschützerin Sarah-Marisa Wegener vom LKA Berlin. Foto: LKA Berlin

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