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Welche Chancen sich kleine Parteien bei der Wahl ausrechnen

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Kleinere Parteien wie die Freien Wähler, Volt oder die Tierschutzpartei sind bisher nicht im Bundestag vertreten. Wie sie es diesmal schaffen wollen.

Bei der Europawahl im Sommer 2024 haben viele kleine Parteien Mandate gewonnen. Reicht es auch für den Einzug in den Bundestag?
Bei der Europawahl im Sommer 2024 haben viele kleine Parteien Mandate gewonnen. Reicht es auch für den Einzug in den Bundestag?  Foto: IMAGO/Eibner-Pressefoto/Franz Feiner

Bei den Europawahlen im Juni haben kleine Parteien wie die Freien Wähler, Volt, die Satirepartei „Die Partei“, die Tierschutzpartei oder die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP) mehrere Mandate gewonnen. Bei den Bundestagswahlen sind sie dagegen alle bisher an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert.

Diesmal wollen die kleinen Parteien den Einzug ins Parlament schaffen. Mit welchen Themen treten sie an? Was wollen sie im Bundestag erreichen? Und welche Schwierigkeiten bereitet ihnen die kurzfristig angesetzte Neuwahl Ende Februar? Diese Fragen haben wir den Vertretern mehrerer Kleinparteien in Baden-Württemberg gestellt.

Sylvia Rolke, 45 Jahre, Freie Wähler, Mannheim

Es war das Thema Bildung, das Sylvia Rolke zu den Freien Wählern gebracht hat. „Ich sehe, wie unsere Kinder im heutigen Schulsystem leiden“, sagt die Mutter zweier Söhne und einer Tochter. Viele wissenschaftliche Erkenntnisse würden in den Schulen nicht angewandt, etwa, dass das Gehirn besser lernt, wenn man sich bewegt.

Die 45-Jährige ist Chefin der Freien Wähler in Baden-Württemberg und stellvertretende Bundesvorsitzende. In ihrer Wahlheimat Mannheim hat sie eine Musikschule gegründet, die inzwischen ihr Mann führt. In den Kommunen und mehreren Bundesländern sind die Freien Wähler etabliert, in Bayern regieren sie mit der CSU.

Im Bundestag brauche es die Partei wegen ihrer Erfahrungen aus der kommunalen Praxis. Bisher fehle das, sagt Rolke, das habe die Ampel-Koalition gezeigt. „Da werden Probleme behandelt, ohne an die konkreten Folgen für die Bürger zu denken.“

Sylvia Rolke (45) ist Landeschefin der Freien Wähler in Baden-Württemberg.
Sylvia Rolke (45) ist Landeschefin der Freien Wähler in Baden-Württemberg.  Foto: privat

Was sie sofort umsetzen würde, wenn sie könnte? Einen Zukunftscheck für Gesetze, der sich mit den Folgen für künftige Generationen befasst. Außerdem wünscht sich Rolke, dass man für ehrenamtliche Arbeit Rentenpunkte sammelt. „Damit könnten wir diesen Menschen mehr Anerkennung geben.“

Bei der letzten Bundestagswahl erreichten die Freien Wähler 2,4 Prozent. Die Fünf-Prozent-Hürde werde ihre Partei erneut verpassen, schätzt Rolke, weshalb sie auf drei Direktmandate in Bayern spekuliert. Das schwäche auch extreme Parteien. „Da, wo wir stark sind, ist die AfD schwach.“

Auf den Bruch der Ampel-Koalition hatte sich Rolke vorbereitet. Landeslisten seien früher als sonst aufgestellt und Direktkandidaten angesprochen worden. „Jetzt sind wir vorbereitet.“

Jennifer Maahs (30) und Oliver Barz (29), Volt, Karlsruhe

Die Partei Volt gibt es noch nicht lange. Bei der Europawahl in diesem Jahr trat sie zum zweiten Mal an und holte 2,6 Prozent der Stimmen. Seitdem sitzen drei Volt-Abgeordnete im EU-Parlament. Deutlich weniger Stimmen waren es bei der Bundestagswahl 2021: 0,4 Prozent.

Den Landesverband von Volt in Baden-Württemberg führen Jennifer Maahs (30) aus Karlsruhe und Oliver Barz (29) aus Heidelberg. Aber warum will eine Partei, die sich stark für Verbesserungen der EU einsetzt, nach Berlin? „Viele Entscheidungen werden im Bundestag getroffen“, sagt Barz. Ebenso wichtig sei es, in den Kommunen mitzuentscheiden, denn dort müssen viele EU-Vorgaben umgesetzt werden.

Jennifer Maahs (30) und Oliver Barz (29) sind Landesvorsitzende bei Volt in Baden-Württemberg.
Jennifer Maahs (30) und Oliver Barz (29) sind Landesvorsitzende bei Volt in Baden-Württemberg.  Foto: privat

Dass Volt vor allem bei jungen Wählern so gut ankommt, liegt laut Maahs daran, „dass wir eine progressive Sicht auf die Dinge haben“. Mehr Digitalisierung, bessere Bildung und europäische Zusammenarbeit kämen bei den Jungen an, außerdem erreiche man diese Zielgruppe über Social Media. „Unsere Politik ist deutlich stärker auf die Zukunft gerichtet, als auf die nächsten vier Jahre“, fügt Maahs hinzu.

Auch wenn Volt bisher weit von der Fünf-Prozent-Hürde entfernt war, rufen die beiden dazu auf, der Partei eine Stimme zu geben. Es sei klar, dass Veränderung Mut erfordert und man sich trauen müsse, eine neue Partei zu wählen. Die beiden Landesvorsitzenden treten selbst nicht an.

Der Bruch der Ampel-Koalition und die Neuwahlen im Februar hätten „den Zeitplan aufgewirbelt“, sagt Maahs. Die 2000 Unterschriften von Unterstützern seien aber kein Problem. Seit dem Wahlsieg von Donald Trump verzeichne Volt zudem einen starken Zuwachs an Mitgliedern. „Wir sind sehr motiviert“, fasst es Barz zusammen.

Jörg Lesser, 65 Jahre, Die Partei, Karlsruhe

Bekannt geworden ist die Partei „Die Partei“ durch ihren Gründer, den Satiriker Martin Sonneborn. Er schaffte es 2014, einen Sitz im Europäischen Parlament zu erlangen. Dort macht er mit Protestaktionen auf sich aufmerksam und deckt Schlupflöcher auf, die EU-Politiker ausnutzen können.

Bei den Europawahlen holte die Partei 1,9 Prozent und zwei Mandate, bei den letzten beiden Bundestagswahlen reichte es für ein Prozent. Dieses Mal soll der Einzug klappen. „Wir gehen fest davon aus, dass sich unser Ergebnis verfünffachen wird“, sagt Jörg Lesser. „Fünf Prozent plus x“ sei das Ziel. Er ist politischer Geschäftsführer des Landesverbands Baden-Württemberg von „Die Partei“. Das Amt übe er aus, weil es damals niemand machen wollte, sagt der 65-Jährige, der in Karlsruhe lebt. Bei der Partei habe man „sehr viele Freiheiten und Gestaltungsspielraum“.

Jörg Lesser ist politischer Geschäftsführer der Partei "Die Partei" in Baden-Württemberg.
Jörg Lesser ist politischer Geschäftsführer der Partei "Die Partei" in Baden-Württemberg.  Foto: privat

„Eine gute Demokratie funktioniert nur durch aufmüpfige, kreative und humorvolle Menschen, die die Ernsthaftigkeit der Politik mit Satire begleiten“, sagt Lesser. Dabei würden unbequeme Wahrheiten aufgedeckt. „Und wir geben wenigstens zu, dass wir korrupt sind. Wir machen auch gern den Steigbügelhalter, Hauptsache, wir kommen an die Macht.“ Eine Ausnahme seien AfD und BSW, mit beiden wolle man nicht zusammenarbeiten.

Im Wahlkampf müsse seine Partei nun stärker um Unterstützer werben, sagt Lesser. Im vergangenen Jahr habe die Satirepartei Unterstützer verloren. „Volt hat uns Stimmen gekostet, eindeutig.“ Man sei inzwischen nicht mehr die jüngste Partei, einige Mitglieder würden mit Realpolitik nichts zu tun haben wollen. Immerhin: Kandidaten nominiert und Listen aufgestellt hat die Partei schon vor Monaten.

Miriam Broux, 35 Jahre, Partei Mensch Umwelt Tierschutz, Ulm

Das Anliegen der Tierschutzpartei steckt schon im Namen. Trotzdem will die Partei nicht nur das Leben von Hund, Katze und Co. verbessern, weshalb ihr voller Name „Partei Mensch Umwelt Tierschutz“ lautet. An der Spitze des Landesverbands Baden-Württemberg stehen Miriam Broux und Bastian Röhm.

„Wir gehen Themen ganzheitlich an, ehrlich und wissenschaftsbasiert“, sagt Broux. Ihre Partei sei die einzige, die sich konsequent für Tierschutz einsetzt, findet die 35-Jährige aus Ulm. Sie selbst ist wegen der Massentierhaltung und Tiertransporten und dem damit verbundenen „unendlichen Leid“ Mitglied geworden. „Ich wollte einfach nicht mehr weggucken.“

Miriam Broux ist eine der beiden Landesvorsitzenden der Partei Mensch Umwelt Tierschutz in Baden-Württemberg.
Miriam Broux ist eine der beiden Landesvorsitzenden der Partei Mensch Umwelt Tierschutz in Baden-Württemberg.  Foto: privat

Bei der Europawahl hat die Tierschutzpartei in Deutschland 1,4 Prozent der Stimmen geholt, was für einen Sitz ausreicht. Bei der Bundestagswahl 2021 waren es 1,5 Prozent. Sollte der Einzug diesmal klappen, müsse es darum gehen, existenzielle Krisen wie den Klimawandel und das Artensterben aufzuhalten. Die Aussicht auf eine CDU-geführte Regierung bereitet Miriam Broux deshalb Sorgen. „Dann wird wahrscheinlich so getan werden, als sei wieder 1990 und man wendet sich von diesen Problemen ab. Wir müssen jetzt langfristig denken.“

Die vorgezogene Neuwahl sorgt bei der Tierschutzpartei für Stress. „Unsere Ehrenamtlichen müssen sich jetzt Urlaub nehmen, um in der Weihnachtszeit in der Kälte zu stehen und Wahlkampf zu machen.“ Broux fordert deshalb, dass es wie in Dänemark gemacht wird: Dort können Unterstützerunterschriften digital eingereicht werden. Auch das Wahlprogramm sei noch in der Mache, Direktkandidaten müssten nominiert und Plakate gedruckt werden. „Das ist natürlich eine Herausforderung.“

Klaus Ries-Müller, 61 Jahre, ÖDP, Bad Rappenau

Mit ihrem Kernanliegen, dem Klima- und Artenschutz, tritt die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP) an. Bei der Europawahl erreichte sie zuletzt 0,6 Prozent, im Bund 0,2 Prozent. Wie andere Kleinparteien, die nicht im Bundestag oder einem Landtag vertreten sind, muss sie 2000 Unterschriften erreichen, um eine Landesliste aufstellen zu können. Dieser Tage sind die Parteianhänger wieder auf Märkten und in Fußgängerzonen unterwegs.

Das Sammeln von Unterschriften ist für Klaus Ries-Müller nichts Neues. Dieses Mal ist der Druck aber höher, weil die Wahl schon bald ist. Bis 20. Januar müssen die Unterlagen eingereicht werden – in kaum mehr als 80 Tagen. Wegen der Weihnachts- und Feiertage verkürzt sich die Frist zusätzlich.

„Normalerweise bleibt uns etwa ein halbes Jahr“, sagt Ries-Müller, der Kreisvorsitzender für Heilbronn und Mitglied im Bad Rappenauer Gemeinderat ist. Immerhin habe die Partei ihre Direktkandidaten für die Wahlkreise Heilbronn und Neckar-Zaber schon aufgestellt. Für eine spezielle Kampagne bleibe aber keine Zeit.

Klaus Ries-Müller (61) ist Kreisvorsitzender der Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP) für Heilbronn.
Klaus Ries-Müller (61) ist Kreisvorsitzender der Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP) für Heilbronn.  Foto: Alternativer Fotograf

Vor Kurzem hat Klaus Ries-Müller die amtlichen Formulare erhalten, seit wenigen Tagen werden Unterschriften gesammelt. Neben der Herausforderung, ehrenamtliche Helfer zu finden, seien viele Menschen misstrauischer, wenn sie auf der Straße angesprochen werden. Den Kreisvorsitzenden erstaunt, dass mehr Menschen Bescheid wissen, warum seine Partei 2000 Unterschriften braucht. „Durch die mediale Berichterstattung wissen viele schon, worum es geht.“

Trotz aller Hektik hält Ries-Müller die Unterschriftensammlung für sinnvoll: „So wird die Ernsthaftigkeit der Gesamtstärke der Partei geprüft – nur sollten die Vorbereitungen nicht so hektisch ablaufen.

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