Debatte um neue Praxisgebühr: Ärzte aus Heilbronn und Hohenlohe kritisieren Vorstoß
Der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Andreas Gassen hat eine Gebühr für Arztbesuche erneut ins Gespräch gebracht. In Baden-Württemberg und der Region Heilbronn gibt es Befürworter und Gegner der Idee.
Angesichts steigender Kosten im Gesundheitswesen hat Kassenärzte-Chef Andreas Gassen eine Gebühr für Arztbesuche ins Gespräch gebracht. Der Chef der KBV schlug dabei eine „Kontaktgebühr“ von drei oder vier Euro für Praxisbesuche vor.
Gassen sagte der „Bild“, statt einer früher einmal erhobenen Praxisgebühr könnte es künftig als Eigenbeteiligung bei Arztbesuchen eine Kontaktgebühr geben. „Sie könnte, wie zum Beispiel in Japan, bei drei oder vier Euro liegen und sollte von den Krankenkassen eingezogen werden.“
KVBW-Vorsitzender Karsten Braun: Müssen bei „Vollkasko-Mentalität“ gegensteuern
Karsten Braun, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW), begrüßt den Vorstoß. Die Zahl der Arztbesuche in Deutschland sei hoch und das bisherige System habe zu einer „unsolidarischen Vollkasko-Mentalität“ geführt. Zudem werde das Gesundheitssystem durch die alternde Gesellschaft immer teurer.

Eine Selbstbeteiligung bei jedem Arztbesuch ist für Braun ein wirksames Mittel, um gegenzusteuern. „Deshalb ist das grundsätzlich etwas, das man diskutieren sollte.“ Wenn die Gebühr dem Preis eines To-go-Kaffees oder einer Schachtel Zigaretten entspricht, sei das vertretbar.
Sollte man bei unnötigen Notaufnahme-Besuchen anfangen?
Sinnvoller findet Braun jedoch, die Gebühr für unnötige Besuche in der Notaufnahme einzuführen. „Wir haben das Problem, dass Patienten zu jeder beliebigen Tages- und Nachtzeit eine Krankenhausnotaufnahme aufsuchen können.“ Was in anderen Ländern längst üblich ist, müsse auch in Deutschland gelten: Wer ein medizinisches Problem hat, solle sich erst online oder unter 116 117 erkundigen, wo er richtig aufgehoben ist. Wer trotzdem in die Notaufnahme geht, solle zahlen. „Das fände ich enorm wichtig.“
Die Selbstbeteiligung müsse zudem anders funktionieren als die Praxisgebühr, die 2012 abgeschafft wurde, fordert Braun. „Es darf nicht so sein, dass in den Praxen das Portemonnaie gezückt werden muss.“ Stattdessen müsse die Gebühr mit dem Krankenkassenbeitrag eingezogen werden.
Klar ist für den KVBW-Chef, dass eine Praxisgebühr nur gemeinsam mit weiteren Maßnahmen das Gesundheitssystem entlasten kann. Dazu gehörten, dass Deutschland sich bei den Krankenhausbetten am EU-Schnitt orientiert, eine funktionierende Digitalisierung sowie mehr Prävention, etwa mit einer Zucker- und Alkoholsteuer.
Hausärzteverband BW kritisiert Praxisgebühr: „Keine höheren Hürden in die Arztpraxis“
Die Gebühr „stabilisiert weder die Finanzen, noch wäre sie sozialverträglich“, sagt Susanne Bublitz, die Vorsitzende des Hausärztinnen- und Hausärzteverbands Baden-Württemberg und Allgemeinmedizinerin aus Pfedelbach. Menschen, die regelmäßige Arztbesuche benötigen würden überlastet. Sie findet, die Versicherten leisten „bereits einen hohen Beitrag über die Krankenversicherung“. Es brauche „keine höheren Hürden in die Arztpraxis, sondern Strukturreformen, die die Versorgung sinnvoll ordnen“.
Bublitz verweist auf ein verbindliches Primärarztsystem. „Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt dies seit 20 Jahren, um auf die jetzt eintretenden Probleme durch die älter und morbider werdende Bevölkerung reagieren zu können!“, betont die Hausärztin. Seit 17 Jahren gebe es in Baden-Württemberg die freiwillige hausarztzentrierte Versorgung, „weniger Krankenhausaufenthalte, weniger Komplikationen zum Beispiel bei Diabetikern und mehr Prävention sprechen für sich“.
Heilbronner Ärztesprecher Uellner kritisiert Benachteiligung chronisch Kranker
Der Heilbronner Ärztesprecher Martin Uellner ist von der Idee einer Kontaktgebühr bei Arztbesuchen nicht überzeugt. „Ich halte nichts davon“, stellt er klar. Das sei unfair gegenüber Menschen mit chronischer Erkrankung, die dadurch mehr zahlen müssten. Weiter kritisiert er den Verwaltungsaufwand, den eine Kontaktgebühr mit sich bringen würde. Das bedeute mehr Arbeit für die Praxen und Krankenkassen. Von dem Geld würde „nicht mehr viel übrig bleiben“, befürchtet er.
Stattdessen spricht sich Martin Uellner für eine höhere Tabak- und Alkoholsteuer aus, die direkt dem Gesundheitssystem zugeführt wird. Produkte, die nicht gesundheitsfördernd sind, würden teurer, und Patienten, die sich selbst durch den Konsum gefährden, würden mehr zahlen. Das System wäre „viel praktikabler und gerechter“, findet Uellner.
Gesundheitsministerium verweist auf Reformkommission
Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) hatte die Idee einer allgemeinen Praxisgebühr zuletzt noch abgelehnt. Zum aktuellen Vorstoß verwies sie auf die von ihr eingesetzte Reformkommission zur Finanzierung des Gesundheitswesens, die ihre Vorschläge im neuen Jahr präsentieren soll. Ein Sprecher sagte, man könne mit Sicherheit davon ausgehen, dass über solche Vorschläge in der Kommission debattiert werden.
Von der SPD und Sozialverbänden kam dagegen Widerspruch gegen die Idee. So erklärte der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch: „Patienten und gesetzlich Krankenversicherte sind schon jetzt die Melkkühe der Nation.“ Er monierte, dass bei steigenden Einnahmen der Praxen „für gute oder schlechte Leistung das gleiche Geld bezahlt“ werde.
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