Femizid in Deutschland: Wird das Töten von Frauen bald härter bestraft?
Das Bundeskriminalamt listet Femizide als eigene Fallgruppe, im deutschen Justizsystem spielt der Begriff bisher aber keine Rolle. Könnte sich das in Zukunft ändern?
Wenn Frauen aufgrund ihres Geschlechts, also weil sie Frauen sind, getötet werden, spricht man nicht von Mord, sondern von einem Femizid. Frauen sind besonders häufig von sexualisierter und häuslicher Gewalt betroffen, die Tendenz ist steigend. 2024 hat das Bundeskriminalamt zum ersten Mal ein Lagebild zu geschlechtsspezifischer Gewalt veröffentlicht, aus dem hervorgeht, dass Betroffene von häuslicher Gewalt zu 70,5 Prozent weiblich sind. Bei Partnerschaftsgewalt sind Frauen zu 79,2 Prozent betroffen.
In drei EU-Staaten sind Femizide im Gesetz verankert
Im Lagebild des BKA werden Femizide als eigene Fallgruppe gelistet, 2023 wurden in Deutschland 938 Femizide registriert. Diese Morde als Femizid zu benennen, soll das strukturelle Problem hinter den Taten sichtbar machen: Hass gegen Frauen, eine ablehnende Einstellung gegen Gleichberechtigung und Gleichwertigkeit der Geschlechter sowie patriarchale Denkmuster.
Doch auch wenn das BKA Femizide als eigene Fallgruppe zählt, im deutschen Justizsystem spielt der Begriff keine Rolle. In anderen EU-Staaten ist das anders, in Kroatien, Malta und Zypern werden Femizide als Straftatbestand anerkannt. Vor wenigen Wochen hat auch Italien entschieden, Femizide im Gesetz zu verankern und Täter härter zu betrafen. Könnte Deutschland diesem Beispiel folgen?

Bundesjustizministerium prüft Umsetzung von Verbesserungen
Das Bundesjustizministerium erklärt auf Anfrage, dass die Bundesregierung sich im Koalitionsvertrag darauf verständigt hat „Gewaltkriminalität zu bekämpfen und Frauen besser zu schützen“. Wie diese Vorgaben am besten umgesetzt werden können, werde derzeit geprüft, erklärt ein Sprecher. Um geschlechtsspezifische Gewalt sichtbarer zu machen und Frauen besser zu schützen, soll das Gewaltschutzgesetz so angepasst werden, „dass Familiengerichte bundesweit die Fußfessel nach dem spanischen Modell anordnen können: Der Täter muss ein GPS-Gerät tragen, und die Frauen bekommen auf Wunsch ein Empfangsgerät, das anschlägt, wenn sich der Täter in ihrer Nähe befindet“, erklärte Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) im Juni gegenüber der Funke-Mediengruppe.
„Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz arbeitet derzeit intensiv an der Umsetzung der von Bundesministerin Stefanie Hubig angesprochenen Verbesserungen. Ein Gesetzentwurf, mit dem der Einsatz elektronischer Fußfesseln und die Anordnung von Anti-Gewalt-Trainings im Gewaltschutzgesetz ermöglicht werden sollen, soll sehr zeitnah vorgelegt werden“, sagt ein Sprecher auf Nachfrage.
Femizid als eigener Straftatbestand? Deutsches Tötungsstrafrecht stammt aus der Nazi-Zeit
Ob die Aufnahme des Begriffs Femizid als eigener Straftatbestand eine wirkliche Verbesserung mit sich bringen würde, bezweifelt Professor Jörg Kinzig, Direktor des Instituts für Kriminologie mit Schwerpunkt Straf- und Sanktionsrecht an der Universität Tübingen. Er hält stattdessen eine größer angelegte Reform des Strafrechts für notwendig. Das deutsche Tötungsstrafrecht stammt noch aus der Nazi-Zeit und ist bis heute im Wortlaut gleichgeblieben. Mord und Totschlag sind beides vorsätzliche Tötungsdelikte, Totschlag wird aber milder betraft als Mord, der immer zu lebenslanger Freiheitsstrafe führt.
Unter Juristen steht der Mordparagraf massiv in der Kritik, weil Mord- und Totschlag nicht der Systematik des Strafgesetzbuches entsprechen. Denn das Strafrecht blickt normalerweise auf die Tat, nicht auf den Täter. Der geltende Mordparagraf beschreibt aber nicht, warum eine Tat ein Mord ist, sondern fokussiert sich mit Mordmerkmalen wie „niedere Beweggründe“ oder „Heimtücke“ auf die inneren Beweggründe des Täters – und definiert ihn so, wie noch die Nazis sich einen Mörder vorgestellt haben.
Experte: Femizide müssen nicht anders, sondern angemessen verurteilt werden
Auch ein Femizid wird nach diesem System verurteilt, was unter Umständen der Tat nicht gerecht wird. Ein vereinfachtes Beispiel: Ein Ehemann erschlägt seine Frau: die Tat wird als Totschlag gewertet, die Freiheitsstrafe liegt nicht unter fünf Jahren, aber nur in schweren Fällen lebenslang. Tötet eine Frau ihren Ehemann nach jahrelanger Misshandlung beispielsweise durch Vergiftung, ist es Mord, weil das Merkmal der Heimtücke erfüllt ist, und ist damit automatisch mit lebenslanger Haft verbunden.
„Würde man einen eigenen Femizidtatbestand einführen, wäre damit noch nicht die dringend reformbedürftige Straftat des Mordes als solches verbessert“, sagt Kinzig. „Würden Tötungen von Frauen strenger bestraft als die anderer Menschen, käme man auch schnell zu der Frage, ob es eine unterschiedliche Wertigkeit von Leben gibt.“ Insgesamt müsse es zunächst immer darum gehen, Straftaten an Frauen adäquat zu verurteilen. Weiter kommt das Strafrecht nach Ansicht des Experten in vielen Fällen zu spät – vielmehr müsse der Fokus auf Prävention liegen. „Das kostet aber Geld und steht leider nicht genug auf der politischen Agenda.“ An der Universität Tübingen läuft aktuell eine groß angelegte Studie zu Femiziden, die Ergebnisse werden im November vorgestellt.