Meinung: Schaden für den Journalismus
Die unglaublichen Vorgänge im Springer-Verlag müssen schonungslos aufgeklärt werden, fordert unser Autor.
Jeden Tag kommen weitere ebenso unappetitliche wie unglaubliche Details über das Verhalten des ehemaligen "Bild"-Chefredakteurs Julian Reichelt ans Licht. Und mit jeder weiteren Verfehlung stellt sich die Frage, wie es sein kann, dass in Europas größtem Zeitungsverlag über Jahre hinweg solche Zustände geduldet wurden. Es ist ein Armutszeugnis, wenn Springer zu Reichelts Entlassung betont, es habe nie den Vorwurf sexueller Belästigung oder sexueller Übergriffe gegeben, sondern es sei um "einvernehmliche Liebesbeziehungen" gegangen.
Wie einvernehmlich kann eine Liebesbeziehung zwischen einer jungen Journalistin am Anfang ihrer Karriere und dem Chefredakteur von Deutschlands größter Boulevard-Zeitung wohl sein? Es geht - nach allem, was bekannt ist - nicht um einen einmaligen Ausrutscher, sondern um ein perfides System von Macht und Abhängigkeit. Die Mehrheit der "Bild"-Redaktion wie auch Springer-Chef Mathias Döpfner ließen Reichelt gewähren, obwohl sie wissen mussten, was er trieb. Die einen womöglich aus Angst vor dem Jobverlust, der andere, weil die Auflage der "Bild" stimmte.
Die Vorgänge bei Springer müssen schonungslos aufgeklärt werden, beschädigen sie doch den Ruf der gesamten Branche. Konzernchef Döpfner kommt dabei als Präsident des Branchenverbands BDZV eine besondere Verantwortung zu. Doch auch der Konkurrenzverlag Ippen hat dem Journalismus durch die Nichtveröffentlichung der Recherche-Ergebnisse zu Reichelt einen Bärendienst erwiesen.