Pro & Contra: Ist Parität im Bundeskabinett ein Muss?
"Ein von mir als Bundeskanzler geführtes Kabinett ist mindestens zur Hälfte mit Frauen besetzt", versprach Olaf Scholz im November 2020. Dieses Versprechen hat er nun mit der Berufung von Boris Pistorius als neuen Verteidigungsminister gebrochen. Ist die Parität im Kabinett damit erledigt?
Pro
Von Marie Provencal
Der Ministerposten im Bundesverteidigungsministerium ist neu besetzt worden. Dabei tritt Olaf Scholz den Grundsatz der Parität, den er sich persönlich auf die Fahnen geschrieben hatte, mit Füßen - und der Bundeskanzler erntet dafür verständlicherweise Kritik. Scholz war und wird nicht müde, die Wichtigkeit der Parität im Bundeskabinett zu betonen, was angesichts der Tatsache, wie schnell er sich davon verabschiedet hat, fast lächerlich erscheint.
Die Gleichstellung der Geschlechter steht im Grundgesetz geschrieben. Wenn die Bundesregierung in ihrem eigenen Kabinett damit bricht, ist das bezeichnend. Es zeigt, dass wieder nicht verstanden wurde, dass Gleichberechtigung nicht geschrieben, nicht gesagt, sondern gelebt und mit Taten gefüllt werden muss - und zwar ohne Ausnahme. Und dass man nicht ständig wie selbstverständlich davon abweichen kann. Denn genau so verfestigen sich patriarchale Machtstrukturen einer Gesellschaft.
In der Debatte um die Besetzung des Verteidigungsministeriums wurde plötzlich die Kompetenz zum entscheidenden Kriterium erhoben. Man könnte sagen, deshalb musste es Boris Pistorius sein. Doch das ist Unsinn, denn hier wurde ein Politiker von Niedersachsen nach Berlin gehievt, der nur Erfahrung auf Kommunal- und Landesebene hat, der Bund und die internationale Bühne sind für ihn Neuland. Ob sein eigener Wehrdienst von 1980 bis 1981 ihm unersetzbares Fachwissen mitgegeben hat, ist eher fraglich. Frauen wie Eva Högl oder Agnes Strack-Zimmermann hätten deutlich mehr Kompetenz mitgebracht, doch das war offensichtlich nicht das Kriterium, nach dem der Kanzler entschieden hat.
Contra
Von Jürgen Paul
Die Häme, mit der Olaf Scholz jetzt übergossen wird, weil er die von ihm versprochene Parität im Bundeskabinett nicht mehr einhält, wird der Kanzler verkraften können. Scholz ist als Pragmatiker bekannt, nicht als Idealist. Und so handelt er auch bei der Neubesetzung an der Spitze des Verteidigungsministeriums. Für den angesichts des Kriegs in Europa wohl wichtigsten Ministerposten braucht es einen Kandidaten, der für diese gewaltige Aufgabe bestens geeignet ist - unabhängig von seinem Geschlecht.
Es ging bei der Ernennung von Boris Pistorius zum Nachfolger von Christine Lambrecht nicht darum, dass der Niedersachse selbst gedient hat. Vielmehr bringt er als langjähriger Spitzenpolitiker in Niedersachsen die Erfahrung und das Durchsetzungsvermögen mit, das nötig ist, um dieses schwierige Ministerium zu führen. Scholz vertraut Pistorius, selbst aus der Opposition kommt kaum Kritik an dieser Personalentscheidung. Die ebenfalls gehandelte Wehrbeauftragte Eva Högl verfügt über keinerlei Regierungserfahrung, dieses Risiko war dem Kanzler offensichtlich zu groß.
Die Lambrecht-Nachfolge ist ein Beispiel dafür, dass bei allen richtigen und wichtigen Bemühungen um Parität die Kompetenz im Einzelfall mehr zählen muss als das Geschlecht. Ansonsten schadet man dem Ziel der Frauenförderung eher. Das entbindet den Kanzler freilich nicht von der Pflicht, bei jeder Neubesetzung von Ministerposten verstärkt nach geeigneten Frauen Ausschau zu halten. In der jetzigen Situation, in der sich angesichts des Zeitdrucks eine langwierige Kandidatensuche verbot, ist die Abweichung vom selbstgesetzten Ziel der Parität nachvollziehbar. Es sollte dennoch die Ausnahme bleiben.