Gastbeitrag: Immer weniger Menschen können ausreichend gut schwimmen
An diesem Wochenende sind mehrere Menschen in Deutschlands Gewässern ertrunken. DLRG-Präsidentin Ute Vogt fordert mehr Schwimmunterricht und sagt: Wartezeiten auf einen Platz im Schwimmkurs seien keine Seltenheit.

Zur Gast-Autorin Ute Vogt
Ute Vogt ist seit 2021 Präsidentin der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft e.V. (DLRG) und Rechtsanwältin. Zuvor war die 58-Jährige Bundestagsabgeordnete und unter anderem parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesinnenminister sowie stellvertretende Partei- und Fraktionsvorsitzende. Von 1999 bis 2009 war sie Landesvorsitzende der SPD Baden-Württemberg. Zuletzt war sie innenpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion.
Es ist eine Höhle im ägyptischen Teil der Sahara, in der ein Mensch die ersten Hinweise auf die Schwimmfähigkeit verewigt hat. Eine Felsenmalerei, entstanden vor etwa 4000 bis 9000 Jahren. Eine Jahrtausende alte Kulturtechnik also, die bis heute elementar geblieben ist.
Der griechische Philosoph Platon beschrieb in seinem Spätwerk Nomoi (Die Gesetze III, 689) die Fähigkeit, lesen und schwimmen zu können als Merkmal für einen gebildeten Menschen. Die Kultusministerkonferenz teilt diese Einschätzung heute, zumindest auf dem Papier. In einem Beschluss vom Mai 2017 ist unter anderem zu lesen: "Es ist bis zum Alter von 10 bis 12 Jahren anzustreben, dass jede Schülerin und jeder Schüler das sichere Schwimmen und die damit verbundenen Fähigkeiten beherrscht."
20 Prozent der Kinder im Grundschulalter sind Nichtschwimmer
Im Jahr 2023 sind wir davon weit entfernt. Nach einer repräsentativen Forsa-Umfrage aus dem Herbst vergangenen Jahres hat sich die Zahl der Grundschüler, die nicht schwimmen können, innerhalb der letzten fünf Jahre verdoppelt. Damit sind 20 Prozent der Kinder in den Grundschulen Nichtschwimmer.
Den negativen Trend bestätigen unsere ehrenamtlichen Rettungsschwimmer. Machen sie doch immer häufiger die Erfahrung, dass in Not geratene Personen schlechte Schwimmer sind oder gar nicht schwimmen können. Erst neulich haben Rettungsschwimmer der DLRG einen sechsjährigen Jungen stark unterkühlt aus der Ostsee gerettet. Er war von einem Stand-up-Paddel-Board gefallen und klammerte sich gerade noch so am Rand fest. Der Vater, der auf einem anderen Board saß, konnte ihm nicht zu Hilfe kommen. Nicht immer gehen solche Geschichten gut aus. Allein im Jahr 2022 ertranken mindestens 355 Menschen in Deutschland, 56 mehr als noch im Jahr davor.
Die Möglichkeiten für die Ausbildung werden immer schlechter

Mit zusätzlichen Kursen und besonderen Ferienangeboten versucht die DLRG dieser dramatischen Entwicklung entgegenzuwirken. Erste Erfolge sind ablesbar. Allein bei den Seepferdchen konnten 20.000 Abzeichen mehr abgenommen werden als noch im Jahr zuvor. Mit stolzen 56.248 Seepferdchen lagen wir damit 2022 sogar um 6000 höher als 2019, vor den Bäderschließungen wegen Corona und den Energiesparmaßnahmen im vergangenen Winter. Aber Achtung! Ein Seepferdchen bedeutet noch nicht, dass ein Kind sicher schwimmen kann. Von sicherem Schwimmen spricht man ab dem Schwimmabzeichen Bronze, der frühere Freischwimmer.
Unsere ehrenamtlichen Ausbilder setzen alles daran, den Mädchen und Jungen das Schwimmen beizubringen. Die Möglichkeiten zur Ausbildung sind jedoch nicht immer ideal: Es stehen immer weniger Wasserflächen zur Verfügung. In den letzten 20 Jahren wurden hunderte Bäder geschlossen, weil sich viele Kommunen den Betrieb nicht mehr leisten können oder wollen. Die riesige Nachfrage nach Schwimmkursen lässt sich allein im ehrenamtlich getragenen Verein nicht bewältigen. Wartezeiten von zwei Jahren für einen Platz sind leider keine Seltenheit.
Es führt daher kein Weg an einer Grundausbildung in den Schulen vorbei. Zwar findet sich der Schwimmunterricht in den Lehrplänen, ganz wie es der Beschluss der Kultusminister vorsieht. Jedoch hat jede vierte Schule keinen Zugang zu einem Schwimmbad.
Es braucht eine gemeinsame Aktion, um die Bedingungen zu verbessern
Es braucht daher eine konzertierte Aktion von Bund, Ländern und Gemeinden, um eine bundesweite Bäderplanung und -finanzierung gemeinsam vorzunehmen. Damit künftig zumindest alle Grundschulen wieder ein Bad in ihrer Nähe haben. So erreichen wir alle Kinder. Denn die Schwimmfähigkeit ist nach der Forsa-Erhebung auch eine Frage des familiären Hintergrundes. In Familien mit einem Haushaltsnettoeinkommen von unter 2500 Euro kann die Hälfte der Kinder nicht schwimmen. Bei Einkommen über 4000 Euro sind dagegen "nur" zwölf Prozent der Kinder Nichtschwimmer.
Seit inzwischen 110 Jahren sind unsere Lebensretter im Einsatz gegen das Ertrinken. Sie haben in dieser langen Zeit nahezu 23 Millionen Schwimmprüfungen abgenommen. Die DLRG hat somit einen erheblichen Beitrag dazu geleistet, dass heute weit weniger Menschen ertrinken. Wir wünschen uns die Infrastruktur und weiter viele Mitstreiter, um das auch in Zukunft leisten zu können.

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